Quelle: taz
Essay: Linke und Flüchtlingspolitik
Mit der Abschottung Europas sind auch viele Linke erleichtert, weil weniger Flüchtlinge kommen. Aber für Flüchtlinge bedeutet sie neues Leid.
Bernd Pickert
Unter dem Titel „Geständnisse eines Linken“ schrieb am Montag der überaus geschätzte Kollege Ulrich Schulte über seine Zweifel, ob es nicht doch eine ziemlich gute Nachricht sei, dass derzeit nur noch sehr wenige Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Zweifel, die, wie er schrieb, innerhalb der liberalen Linken eigentlich tabu sind. Wolle er wirklich, fragt der Autor sich selbst, dass „noch viele Millionen Flüchtlinge kommen?“ Dass „all die Müden, Armen und Heimatlosen, die Ausgebombten und Verzweifelten aus dem Nahen Osten“ nach Deutschland kämen? Und sagt: „Es schmerzt, das zuzugeben. Aber die Antwort auf diese Fragen ist: Nein.“
Wer keine Zweifel hat, dessen Überzeugungen sind auch nicht viel wert. Und wer in der Hilfe für geflüchtete Menschen aktiv ist, dürfte mehr als einmal Zweifel bekommen haben: An der Funktionsfähigkeit der deutschen Bürokratie, an der eigenen Rolle, Staatsversagen durch ehrenamtliche Hilfe auszugleichen, an den eigenen Fähigkeiten, das Engagement über einen längeren Zeitraum durchzuhalten, und letztendlich, ja, auch an der Frage, ob „wir“ das wirklich schaffen.
Und es stimmt, auch für viele der Ehrenamtlichen bedeutet es ein Durchatmen, nicht mehr jede Nacht unterwegs zu sein, um obdachlos gewordene Flüchtlinge irgendwie unterzubringen, bis in die Morgenstunden Feldbetten aufzubauen oder täglich Tausende von Essen bereitzustellen.
Aber das ist zu kurz gedacht. Um von unseren Befindlichkeiten wegzukommen: Nicht nur für diejenigen, die jetzt in Idomeni im Schlamm stecken, bedeuten die geschlossenen Grenzen eine Katastrophe, sondern auch für viele derjenigen, die schon hier sind.