10. Mai 2016 · Kommentare deaktiviert für „Bild-Zeitung“: EU prüft Alternativen zum Deal mit der Türkei · Kategorien: Europa, Griechenland, Österreich, Türkei

Quelle: DW

Traut die EU der Türkei in der Flüchtlingsfrage nicht mehr über den Weg? Das berichtet die „Bild-Zeitung“, die deutsche Regierung dementiert. Und in Österreich tritt Kanzler Faymann wegen der Flüchtlingspolitik zurück.

Das Szenario, das in der „Bild-Zeitung“ am Montag ausgebreitet wird, klingt abenteuerlich: Einige griechische Ägäis-Inseln werden zu zentralen Aufnahmeorten für Flüchtlinge gemacht, dort werden die Gestrandeten registriert. Der Schiffsverkehr zum griechischen Festland wird ausgesetzt, damit die Flüchtlinge nicht unkontrolliert in die Europäische Union kommen können. Mit anderen Worten: Die Asylbewerber würden auf den Inseln festsitzen, abgelehnte Bewerber könnten von dort direkt in ihre Heimatländer abgeschoben werden. Und die Milliarden Euro an Unterstützung, die bisher die Türkei als Partner der EU in der Flüchtlingspolitik erhalten soll, werden nach Athen überwiesen.

So beschreibt die Zeitung die Überlegungen einiger EU-Staaten, sollte der Flüchtlingsdeal mit der Türkei scheitern. Das Blatt beruft sich auf Aussagen von hochrangigen Politikern, die natürlich anonym bleiben wollen. Tatsache ist aber auch, dass die Bild-Zeitung über erstklassige Kontakte in die deutsche Regierung hinein verfügt.

Regierung dementiert eilig

Dennoch bemühte sich eben diese deutsche Regierung schnell, die Gerüchte zu dementieren. Ein Sprecher von Bundesinnenminister Thomas de Maizière sagte: „Es gibt keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass die Umsetzung der Vereinbarung weiter voranschreitet.“ Auch die Bundesregierung tue alles, um ihren Beitrag zu leisten. „Insofern stellt sich die Frage nach Alternativen nicht“, fügte der Sprecher hinzu. Und in Brüssel hieß es von Seiten der EU-Kommission, sie kommentiere keine Presseberichte. Eine Sprecherin verwies aber auf Äußerungen von Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Der hatte am Wochenende gesagt: „Wir haben mit der türkischen Regierung verhandelt, wir haben das Wort der türkischen Regierung und wir werden weiterhin mit der türkischen Regierung zusammenarbeiten.“

Sorge nach Davutoglu-Rücktritt

Klar ist aber auch: In der EU wachsen die Sorgen, dass die seit März bestehende Vereinbarung mit der Türkei langfristig bestehen bleibt. Sie sieht vor, dass die Türkei in Griechenland gestrandete Bürgerkriegsflüchtlinge zurücknimmt. Die Türkei erhält dafür drei Milliarden Euro von der EU. Die Auszahlung verläuft aber noch schleppend, sehr zum Ärger Ankaras. Und: Die Türkei darf sich Hoffnungen auf Visa-Erleichterungen in der EU machen.

Gleichzeitig beobachtet die EU aber die Politik des autokratischen türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan mit großer Skepsis. Zuletzt hatte Erdogan seinen Ministerpräsidenten Davutoglu zum Rücktritt gezwungen. Gerade der, so heißt es in Berlin, sei ein Garant für den Flüchtlingsdeal gewesen. Vor allem die Bundeskanzlerin hatte ein belastbares Verhältnis zu ihm aufgebaut. Wenn in der EU also über Alternativen zum Türkei- Deal nachgedacht wird, wäre es nicht verwunderlich.

Wellmann: Aufregung nicht zu verstehen

„Ich kann die ganze Aufregung nicht nachvollziehen“, sagte der CDU Außenpolitiker Hans-Georg Wellmann zur DW. „Es ist doch klar: Wir können uns nicht auf Gedeih und Verderb auf die Türkei verlassen, an Alternativen zu denken ist normal.“ Und: Schon vor der Vereinbarung mit Ankara habe die EU in Griechenland und auch in Italien Hotspots für die Flüchtlingsaufnahme geschaffen und nach eigenen Wegen gesucht, die Zahl der Flüchtlinge zu verringern.

Diese Zahl ist im April erneut gesunken. Merkels Sprecher Steffen Seibert sagte am Montag, zuletzt seien rund 16.000 Flüchtlinge in Deutschland erfasst worden, im Vormonat seien es noch 20.600 gewesen. Der Grund ist in erster Linie darin zu suchen, dass der Weg über den Balkan für die Menschen aus Syrien oder dem Irak praktisch versperrt ist.

Österreich: Faymann mag nicht mehr…

Wie stark aber das Thema Flucht die Politik der EU-Staaten nach wie vor bestimmt, zeigt der Rücktritt des österreichischen Bundeskanzlers Werner Faymann von der SPÖ. Seine Koalition aus Sozialdemokraten und Konservativen hatte in der Flüchtlingspolitik eine Kehrwende vollzogen und die Grenzen des Landes weitgehend geschlossen. Dennoch siegte bei der Präsidentenwahl im April die rechtspopulistische FPÖ, die Flüchtlingspolitik bestimmte den Wahlkampf. Daraus zog Faymann nun die Konsequenz.

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siehe auch: Deutsche Wirtschafts Nachrichten

Merkels Flüchtlings-Deal mit Erdogan vor dem Scheitern

In der EU hat die Suche nach Alternativen zu dem Deal von Angela Merkel mit der Türkei begonnen: Nun sollen die Flüchtlinge auf den griechischen Inseln interniert werden. Die Hilfsgelder sollen an Griechenland gehen und nicht an die Türkei.

Nach den rabiaten Aussagen des türkischen Präsidenten Erdogan in Richtrung EU diskutierten Regierungschefs einiger EU-Staaten laut Bild-Zeitung nun über Alternativen. Die Zeitung beruft sich auf Aussagen von mit den Vorgängen vertrauten Personen. Erdogan hatte am Wochenende mehrfach klargemacht, dass er seine rigiden Anti-Terror-Gesetze nicht ändern werde – eigentlich eine Bedingung der EU für den Deal (siehe Video am Anfang des Artikels).

Wie das Blatt schreibt, wird unter anderem erwogen, griechische Inseln zu zentralen Aufnahmestellen für Flüchtlinge zu machen, sollte die türkische Regierung die Grenzen für Migranten Richtung EU wieder öffnen. Die Flüchtlinge sollten dann auf den Inseln registriert werden. Zugleich soll der Fährverkehr zum griechischen Festland ausgesetzt werden. Die Menschen würden dann auf den Inseln festsitzen, abgelehnte Asylbewerber könnten von dort direkt in ihre Heimatländer abgeschoben werden, zitiert «Bild» einen Minister eines EU-Landes.

Die Hilfszahlungen an die Türkei sollten im Falle eines Scheiterns außerdem gestoppt werden und stattdessen Griechenland zugute kommen. Der CDU-Außenpolitiker und Bundestagsabgeordnete Karl-Georg Wellmann sagte, sollte sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan nicht mehr an das Abkommen halten, würde dies hinfällig. Dem Blatt sagte Wellmann: «Wir müssen in jedem Fall auch eigene Vorsorge treffen: Schutz der EU-Außengrenzen, Bearbeitung der Asyl-Fälle vor Ort auf den Inseln – nicht auf dem Festland, Zurückweisung von illegalen Flüchtlingen.»

Erdogan machte nach dem angekündigten Rückzug seines Regierungschefs Ahmet Davutoglu klar, dass er eine Änderung der Terrorgesetze seines Landes ablehnt. Die Gesetzesänderung ist ein wichtiger Baustein des Flüchtlingspaktes der EU mit der Türkei, weil sie Voraussetzung für die von Ankara geforderte Visumfreiheit für Türken ist.

Die Bundesregierung kommentierte die Pläne zurückhaltend: Es gebe keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass die Umsetzung der Vereinbarung „weiter voranschreitet“, sagte ein Ministeriumssprecher der AFP. Die Bundesregierung tue alles, um ihren Beitrag zu leisten. „Insofern stellt sich die Frage nach Alternativen nicht“, sagte der Sprecher.

Die EU-Kommission sagte, man kommentiere keine Presseberichte.

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