In der aktuellen marokkanischen Wochenzeitung Telquel (Nr. 822) wird ausführlich berichtet, wie in den letzten Jahren die Hierarchien in den migrantischen westafrikanischen Communities zusammengebrochen sind. Befragte Repräsentanten der landesspezifischen Zusammenschlüsse in Marokko berichten, dass sie früher in allen größeren marokkanischen Städten ein regelrechtes Personenregistrierungssystem hatten, um Ankunft, Aufenthalt, Abfahrt und Reiserichtung ihrer Landsleute festzuhalten. Ertranken Boat-people im westlichen Mittelmeer, so zogen die Gerichtsmediziner die Identifizierungsfähigkeiten dieser Community-Repräsentanten heran. Inzwischen sind die meisten Repräsentanten in Marokko legalisiert, während die neuen, jüngeren Durchreisenden der Registrierung durch ihre jeweilige Community in Marokko zu entgehen versuchen. Diese sind nicht mehr so sehr auf die kleinen sozialen Dienste der etablierten migrantischen Communities angewiesen, sondern sind von Abfahrt aus ihrem Herkunftsort bis Ankunft in Europa viel besser vorbereitet und organisiert. Fehlt es an Geld, so nutzen sie die Social Media zusammen mit den transnationalen Geldüberweisungsmöglichkeiten, anstatt auf die innercommunitäre Solidarität zurückzugreifen.
Die Identifizierung Ertrunkener sei dadurch schwieriger geworden. Aus der neuen Generation der Durchreisenden kann es sich niemand erlauben, zur Identifizierung Ertrunkener beispielsweise zur Gerichtsmedizin nach Nador zu reisen, weil man dort sofort festgenommen und nach Südmarokko zurückgebracht werde, auch wenn man ein Visum für den Aufenthalt in Marokko habe.
Die Reportage wurde u.a. in Nador im Krankenhaus El Hassani, bei der Rechtsmedizin und am Friedhof der Stadt sowie in Rabat und Tanger geführt. Die Menschenrechtsorganisation AMDH Nador sowie Repräsentanten von Communities werden zitiert. Es heisst, die marokkanische Rechtsmedizin habe eine Datenbank mit DNA-Angaben Ertrunkener aufgebaut. Überprüfen lässt sich diese Angabe nicht. Laut UNHCR seien von den mehr als 46.000 Personen, die zwischen 2000 und 2016 im Mittelmeer ertrunken seien, 71 % nicht geborgen worden.