Die Zeit | 10.08.2017
In Süditalien sind allein seit Jahresbeginn 100.000 Migranten angekommen. Viele werden als Arbeiter ausgebeutet – davon profitiert die Mafia.
von Ulrich Landurner
Crotone
Es ist Mittag, das Thermometer zeigt 45 Grad. Im Hafen von Crotone gibt es keinen Schatten. An der Mole stehen Polizisten, Ärzte, Krankenpfleger, Helfer, Übersetzer. Das norwegische Schiff Olympic Commander legt an. Es fährt im Auftrag der europäischen Grenzagentur Frontex und hat 1.242 Migranten an Bord. Zuerst kommen die Kranken und Verletzten auf die Mole, es folgen Frauen und Kinder, schließlich die Männer. Jeder von ihnen wird fotografiert, bekommt ein Schild angeheftet und wird in einen Bus gebracht. Unter den Übersetzern am Pier ist ein Mann aus dem Senegal. Am Pier rufen sie ihn nur Chico, seinen echten Namen will er nicht nennen. Seit sechs Jahren lebt er mit Frau und Kindern in Crotone. Er spricht fließend Italienisch, die Kinder gehen hier zur Schule, in der Stadt ist er ein bekanntes Gesicht.
Rund 60.000 Einwohner hat Crotone und sieht doch mancherorts aus wie eine Brache. Nichts ist geblieben von dem Traum der sechziger Jahre, den Süden Italiens mittels Industrie der Armut zu entreißen. Der größte Arbeitgeber der Stadt ist mit 350 Beschäftigten heute Misericordia, eine kirchennahe Hilfsorganisation.
Rund 100.000 Migranten sind seit Jahresbeginn an Italiens Küsten gelandet. Anders als früher winken die Behörden sie nicht mehr Richtung Norden durch – jedenfalls nicht so schnell. Sie versuchen, ihre europäische Pflicht zu erfüllen und den Asylanspruch der Ankommenden hier zu prüfen. Rund 80 Prozent haben keinen Anspruch.
Wer aber einmal im Land ist, bleibt und versickert im riesigen Schwarzmarkt, der von der Mafia dominiert wird. Wer über die Wüste und das Meer kommt, um in Europa ein besseres Leben zu finden, landet oft genug in einer neuen Form der Sklaverei.
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