21. März 2016 · Kommentare deaktiviert für „Marokko wird dringend als Grenzwächter gebraucht“ · Kategorien: Marokko, Mauretanien, Mittelmeer, Spanien

Quelle: Die Welt

Nach der Schließung des Balkans könnten Menschenhändler die alte Schmugglerroute am westlichen Mittelmeer reaktivieren. Jetzt hängt alles vom nordafrikanischen Königreich ab. Sonst droht ein Desaster.

Schon von Weitem erkennt man die meterdicken, gut erhaltenen Festungsmauern aus dem 16. Jahrhundert. In der verwinkelten Altstadt steht eine barocke Kathedrale mit einem Vorplatz voller Palmen, der Sandstrand mit Restaurants und Kinderspielplatz ist nur fünf Minuten entfernt. Auf den ersten Blick sieht es hier in Ceuta aus wie in einem der vielen anderen spanischen Küstenorte. Doch das trügt: Die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla in Marokko liegen an der gegenüberliegenden Seite des Mittelmeeres auf dem afrikanischen Kontinent. Die Städte, mit jeweils etwa 80.000 Einwohnern, gehören nicht zum Schengen-Raum. Trotzdem sind sie natürlich ein Stück Europa im äußersten Norden Afrikas und damit der große Anziehungspunkt für Tausende von Flüchtlingen.

Denn von Marokko aus kann man nicht, wie etwa von der Türkei aus, einfach mit dem Boot nach Europa übersetzen. Das nordafrikanische Königreich hat seit zehn Jahren die Grenze entlang der Mittelmeerküste dichtgemacht. Viele Flüchtlinge sehen nur mehr Ceuta und Melilla als letztes Nadelöhr ins vermeintlich europäische Paradies.

Es waren überwiegend Menschen aus Subsahara-Afrika, die zu Tausenden die Exklaven belagerten. Sie hofften, irgendwann über den Grenzzaun springen zu können, in Schmugglerbooten oder im Auto versteckt ihr Ziel zu erreichen. Seit über einem Jahr sind unter den Flüchtlingen auch vermehrt Menschen aus Syrien. 2013 waren es in Melilla nur 250 Syrer, die Asyl beantragten. 2014 stieg die Zahl auf 3092 und im letzten Jahr bis September auf 5700. Danach ging der Ansturm zurück, da der Weg über die Türkei und Griechenland populärer wurde. Aber nun ist die Balkanroute dicht, und in Spanien geht die Angst um.

„Wenn eine Tür geschlossen ist, suchen sie eine andere“, warnte der spanische Innenminister Fernández Díaz in einem Interview mit dem nationalen Fernsehsender RTVE. „Spanien muss weiter auf dem Wachtposten bleiben und weitsichtig sein.“ Der Minister befürchtet, die westliche Mittelmeerroute von Marokko nach Spanien könnte erneut in großem Ausmaß genutzt werden.

Seit den 90er-Jahren war sie von Schmugglern immer wieder reaktiviert worden. Díaz weiß natürlich auch, dass alles vom guten Willen des Königreichs abhängt. Sollte sich die marokkanische Regierung plötzlich wie die Türkei verhalten, käme es zu einem Desaster, das alle bisherigen weit in den Schatten stellen könnte.

Zurzeit sollen nach Schätzungen rund 50.000 Schwarzafrikaner im gesamten Norden Marokkos planen, nach Europa zu gehen. Ihnen ist die zentrale Mittelmeerroute über das vom Bürgerkrieg geplagte Libyen zu gefährlich. „Lieber länger warten als sterben“, sagen Kerdal und Wael aus Kamerun, die seit einigen Monaten in der Nähe von Tanger kampieren. Sie wollen in einem Schlauchboot über die Meerenge rudern. Denn die schnellen Zodiacs der Schmugglernetzwerke gibt es seit Langem nicht mehr. „Wir können nur noch paddeln“, meint Kerdal.

Bisher sind sie jedes Mal schon beim Auslaufen erwischt worden. Denn an jeder auch noch so kleinen Bucht entlang der Küste stehen Militärposten. Sie melden jede verdächtige Bewegung. Es ist ein enormer Personalaufwand bei einer beinahe 500 Kilometer langen Küstenlinie am Mittelmeer. Aber die Maßnahme ist effektiv. „Wenn diese Soldaten nicht wären, dann wären wir schon längst in Spanien“, sagt Kerdal. „Ganz Afrika würde nach Marokko kommen.“

Neue Anlaufstelle: Mauretanien

Bei der Frage der Westsahara versteht das Königreich keinen Spaß. Es beansprucht diese 1976 offiziell annektierte Region, und das ist bis heute Teil der Staatsräson. Das musste unlängst selbst UN-Generalsekretär Ban Ki-moon feststellen. Auf einem Besuch in der Westsahara hatte Ban Ki-moon im März das Wort „Besatzung“ in den Mund genommen. In Rabat brach ein Sturm der Entrüstung los. Auch ein UN-Generalsekretär könne fälschlicherweise nicht das marokkanische Recht auf die Westsahara als „Besatzung“ bezeichnen. Eine Protestdemonstration mit einer Million Menschen wurde abgehalten.

Zudem will Marokko 84 Mitglieder der UN-Mission für ein Referendum der Westsahara (Minurso) nach Hause schicken. Scheinbar um die Wogen zu glätten, gaben die USA am Samstag bekannt, sie würden den „Autonomieplan Marokkos für ernst, realistisch und glaubwürdig halten“. Marokko ist ein wichtiges Mitglied in der internationalen Koalition gegen islamistischen Terror. Es macht nicht viel Wind um sein Engagement, obwohl es entscheidende Geheimdiensterkenntnisse liefert.

Das Königreich macht seinen Job. Um den Strom von Syrern einzudämmen, wurden die Visaauflagen verschärft. Selbst Algerien verlangt nun ein Transitvisum, nachdem immer mehr Syrer eingereist und illegal über die geschlossene marokkanische Grenze nach Melilla und Ceuta gegangen waren. Nun wächst die Zahl der Syrer in der mauretanischen Hauptstadt Nouakchott langsam, aber stetig.

Für Mauretanien brauchen Syrer immer noch keine Einreisegenehmigung. Nach der Schließung der Balkanroute könnte das Nachbarland Marokkos eine der nächsten Anlaufstellen werden. Von dort ginge es einfach weiter in den Norden ans Mittelmeer und nach Melilla oder Ceuta. Mit gefälschten Papieren könnte jedoch die Einreise nach Marokko, Algerien oder in einen anderen afrikanischen Staat gelingen – wie es eben Tausende Menschen in der Türkei, Griechenland und selbst in Deutschland gemacht haben.

Alle erfolgreichen Maßnahmen gegen den Flüchtlingsstrom werden jedoch Makulatur, sobald Marokko als Wächter der Grenzen Europas nicht mehr mitspielt. Und das kann unter Umständen sehr schnell gehen. Erst im Februar hat das Königreich die Handelsbeziehungen mit der EU ausgesetzt. 2015 hatten die einen Wert von umgerechnet vier Milliarden Euro. Der Grund dafür war ein Urteil des europäischen Gerichtshofs, der einer Klage der Polisario, der sogenannten Befreiungsbewegung Westsaharas, in erster Instanz stattgegeben hatte. Mit der Klage will sie das landwirtschaftliche Handelsabkommen zwischen Marokko und der EU für ungültig erklären lassen. Bisher hat das Urteil keine direkten Auswirkungen, da es vor Gericht in die zweite Runde geht.

Bei der Frage der Westsahara versteht das Königreich keinen Spaß. Es beansprucht diese 1976 offiziell annektierte Region, und das ist bis heute Teil der Staatsräson. Das musste unlängst selbst UN-Generalsekretär Ban Ki-moon feststellen. Auf einem Besuch in der Westsahara hatte Ban Ki-moon im März das Wort „Besatzung“ in den Mund genommen. In Rabat brach ein Sturm der Entrüstung los. Auch ein UN-Generalsekretär könne fälschlicherweise nicht das marokkanische Recht auf die Westsahara als „Besatzung“ bezeichnen. Eine Protestdemonstration mit einer Million Menschen wurde abgehalten.

Zudem will Marokko 84 Mitglieder der UN-Mission für ein Referendum der Westsahara (Minurso) nach Hause schicken. Scheinbar um die Wogen zu glätten, gaben die USA am Samstag bekannt, sie würden den „Autonomieplan Marokkos für ernst, realistisch und glaubwürdig halten“. Marokko ist ein wichtiges Mitglied in der internationalen Koalition gegen islamistischen Terror. Es macht nicht viel Wind um sein Engagement, obwohl es entscheidende Geheimdiensterkenntnisse liefert.

Europa und der Westen kann es sich mit dem nordafrikanischen Land nicht verscherzen. Trotz aller Querelen gibt es bisher keine Anzeichen, dass sich Marokko in der Flüchtlingsfrage so verantwortungslos verhalten würde, wie es die Türkei tat. Brüssel und in erster Linie aber Spanien können dankbar sein. Denn sollte es sich Marokko anders überlegen, droht eine neue Flüchtlingskrise in Europa, und die Iberische Halbinsel würde zu einem zweiten Griechenland.

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