Süddeutsche Zeitung | 17.07.2017
Europa lässt Italien mit dem Flüchtlingsproblem allein. Das geht nicht mehr lange gut. Italien braucht Solidarität.
Von Mario Fortunato
Dimitris Avramopoulos ist EU-Kommissar für Migration. Ich würde ihm an dieser Stelle gerne einen Vorschlag polittouristischer Art unterbreiten. Er könnte doch unseren Mitbürgern aus Nordeuropa kostenlose Urlaubsreisen an den Küsten von Kampanien, Kalabrien, Apulien und Sizilien anbieten; die Plätze könnte man verlosen, mit speziellem Vorzugsrecht für die aus Ländern wie Österreich und Ungarn stammenden Interessenten, die der Idee anhängen, die eigenen nationalen Grenzen seien der Zaun ums Eigenheim.
Solche Ferienfahrten würden nicht nur die europäische Integration fördern, sondern gleichzeitig für eine schärfere Wahrnehmung des Migrationsproblems sorgen, was insbesondere EU-Kommissar Avramopoulos am Herzen liegen müsste. Man kann davon ausgehen, dass sich die EU-Bürger aus dem Norden beim Bad im Mittelmeer recht bald inmitten einer Anlandung Tausender Afrikaner wiederfinden würden, zwischen Menschen, die vor Krankheit, Hungersnöten und Diktatoren geflohen sind, vielen unbegleiteten Kindern, schwangeren Frauen, Sterbenskranken und Invaliden. Ich nehme an, dass diese Erfahrung, obgleich chaotisch und vielleicht hier und da beklemmend, von entscheidendem pädagogischen Wert wäre: Was soll man anfangen mit ihnen, die nun mal da sind, diesen tragischen Gestalten von elternlosen Kindern, schwangeren Frauen? Soll man sie an Ort und Stelle erschießen? Mit einer „Pizza Zyanid“ vergiften? Auf eleganten Kreuzfahrtschiffen unter der knatternden Flagge Luxemburgs nach Libyen zurückschicken? Oder sollte man ihnen nicht doch Unterschlupf gewähren und versuchen, mit dieser so entsetzlichen wie grenzenlosen Notsituation fertig zu werden? Sollten wir Europäer, die die Werte von Zivilisation und Demokratie so gerne im Munde führen, nicht nur als Nationen, sondern auch als Individuen, nicht doch zur Hilfe bereit sein?
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