taz | 23.03.2017
In Europa gibt es ein neues Bedürfnis nach Eindeutigkeit. Das ist mit der Fantasie ethnischer Homogenität verbunden, sagt der Historiker Nenad Stefanov.
Sonja Vogel
taz: Herr Stefanov, Sie sind Koordinator des neuen Forschungszentrums Border Crossings – Crossing Borders an der Humboldt-Universität zu Berlin. Um welche Art von Grenzen geht es?
Nenad Stefanov: Einerseits um ein sozialkonstruktivistisches Verständnis basierend auf der Annahme, dass Grenzen gesellschaftlich produziert sind und sich an ihnen Herrschaft verdichtet. Unsere Vorarbeiten begannen vor zwei Jahren, als die ersten Flüchtlinge hier ankamen. Da stand plötzlich die Frage in der Öffentlichkeit: Brauchen wir neue Grenzen in Europa? Wir arbeiten aber auch zur Metaphorik der Grenze. Die Fragen lauten dann: Was ist Europa? Wo hört Europa auf?
Zehntausende Flüchtlinge an der Schengengrenze. Die Balkanroute ist geschlossen. Großbritannien verlässt die EU. Ist das ein Revival der Grenzen in Europa?
Es gibt ein neues Bedürfnis nach Eindeutigkeit. Und die ist immer auch mit der Fantasie einer homogenen, ethnisch-reinen Abstammungsgemeinschaft verbunden und materialisiert sich in Grenzen. Am Brexit sieht man eins ganz deutlich: Die Irrationalität dieser Fantasie. In England überwindet sie sogar die instrumentelle Rationalität der Ökonomie. Dort wollen große Teile der Gesellschaft die Grenze so sehr, dass sie auf den Freihandel verzichten.
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