16. März 2016 · Kommentare deaktiviert für Spanische Regierung: Flüchtlingspakt mit Türkei ist „inakzeptabel“ · Kategorien: Europa, Mittelmeer, Spanien, Türkei

Quelle: Telepolis

Gedroht wird mit einem Veto beim EU-Gipfel, ausgerechnet Spanien argumentiert mit Menschenrechten

Ralf Streck

Es deutete sich schon seit Tagen an, dass Spanien deutliche Veränderungen am Abkommen mit der Türkei über die Flüchtlingskrise fordern würde. Deshalb hatte die Tageszeitung El País schon berichtet, dass es auf dem EU-Gipfel am 17. und 18. März zur Flüchtlingskrise deutliche Veränderungen an dem Text geben werde, um juristische Probleme zu umschiffen und Flüchtlinge „legal“ aus der EU abschieben zu können. Offensichtlich reichen die bisherigen Veränderungen Spanien bei weitem nicht, denn nun hat Außenminister José Manuel García-Margallo gedroht, ein Veto gegen das Abkommen einzulegen. Er führt Menschenrechtsfragen an. Doch darum haben sich ausgerechnet seine Konservativen bisher nicht geschert.

Plötzlich hat die spanische Regierung in den letzten Tagen damit begonnen, den Flüchtlingspakt mit der Türkei als „inakzeptabel“ zu bezeichnen. Vor dem Gipfelbeginn am Donnerstag drohte der Außenminister, der das Amt seit den Wahlen am 20. Dezember nur noch kommissarisch innehat, am Dienstag praktisch damit, dass Spanien sein Veto gegen das Abkommen einlegen wolle. Spanien ist „konkret gegen die Massenabschiebungen“ in die Türkei, denn die verstießen gegen die Genfer Konvention, die EU-Verträge und der Rückkehr-Richtlinie der Gemeinschaft, erklärte García-Margallo. Die Menschenrechte von Flüchtlingen seien für Madrid „nicht verhandelbar“, fügte er an.

Doch schon die nähere Begründung des Außenministers lässt zweifeln, ob es ihm wirklich um die Rechte der Flüchtlinge und Menschenrechte geht. Spanien scheint vielmehr vieles an dem Abkommen zu stören, das es am liebsten komplett aufschnüren will. „Am 7. März gab es kein Abkommen, sondern eine Erklärung, in welcher die Vorschläge der Türkei vermerkt wurden. Wenn es ein Abkommen gegeben hätte, wäre das Treffen am Donnerstag unnötig“, erklärte er mit Blick auf den Gipfel. „Der spanischen Regierung erschien es inakzeptabel, und so wurde es auch mitgeteilt, dass der Pakt gegen internationales Recht verstößt und dass einige Punkte verändert werden müssen.“

Spanien als Vorbild für Ungarns Flüchtlingspolitik

Dass ein Land plötzlich mit Menschenrechten argumentiert, in dem sogar Journalisten von illegal geschlossenen Zeitungen erst vor dem Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg wegen erlittener Folter Gehör finden, weil Spanien gegen Folterer praktisch nicht ermittelt, macht dies schon als Heuchelei deutlich („Es ist billig, in Spanien zu foltern„). Doch noch deutlicher wird sie, schaut man sich an, wie Spanien selbst mit Flüchtlingen umgeht, seit die Konservativen die Macht 2011 übernommen haben.

Es war genau diese rechte Regierung, die wieder den gefährlichen Klingendraht an den Grenzen zu den Exklaven Ceuta und Melilla installiert hat, wo Europa über dem Landweg von Afrika aus erreicht werden kann. Der verursacht nicht selten schwere und auch tödliche Verletzungen. Der Klingendraht, der zur Abschottung gegen Flüchtlinge auch nach Ungarn geschickt wurde, stammte ebenfalls aus spanischer Produktion. Ungarn hatte sich ohnehin bei seiner Politik „Spanien zum Vorbild“ genommen. Die ungarische Botschafterin in Spanien hatte extra Ceuta besucht, um dort Erfahrungen zu sammeln („Spanien als Vorbild“ für Ungarn).“Europa muss daraus lernen, was in Ceuta in Jahren erarbeitet wurde“, plädierte Eniko Gyori schon im vergangenen Herbst für die Abschottung Europas. Damals wurde Ungar allerdings für seine Politik, anders als Spanien, noch massiv an den Pranger gestellt.

Verwiesen sei auch noch einmal darauf, dass an der Grenze zwischen Spanien und Marokko längst üblich ist, was rechtsradikale Parteien auch in Deutschland fordern. Denn dort wird immer wieder mit Gummigeschossen, Blend- und Gasgranaten und sogar mit scharfer Munition auf Flüchtlinge gefeuert, die auf der Flucht vor Krieg und Folter nach Europa wollen. Bei einer solchen Aktion kamen allein in Ceuta an einem Tag im Februar 2014 mindestens 15 Menschen ums Leben, weil die spanische Guardia Civil sogar auf hilflose schwimmende Menschen im Wasser geschossen hat (Guardia Civil für Tod von Flüchtlingen verantwortlich gemacht). Muss man noch anmerken, dass keiner der Paramilitärs angeklagt oder bestraft wurde? Die Verfahren wurden allesamt eingestellt.

Auch was Massenabschiebungen angeht, die plötzlich nach Ansicht der spanischen Konservativen in Richtung Türkei nun illegal sein sollen, muss man sich die spanische Praxis anschauten. Auch an diesem mörderischen Tag im Februar 2014 waren wieder Menschen mit „heißen Abschiebungen“ in großer Zahl von Ceuta nach Marokko zurückgeschafft worden, die es unter Einsatz ihres Lebens die Exklave erreicht hatten. Derweil wurden, versteckt im Knebelgesetz, das demokratische Rechte in Spanien bis zur Unkenntlichkeit entstellt, nun auch diese Massenabschiebungen legalisiert (Meinungsfreiheit futsch und alles kann in Spanien nun Terrorismus sein). Von der Prüfung der Einzelfälle, wie sie der Außenminister nun im Fall der Türkei fordert, ist keine Spur. Die Menschen bekommen nicht einmal die Chance, einen Asylantrag zu stellen.

Da Spanien massiv gegen Konventionen, Abkommen und Richtlinien verstößt, die auch auf Rechte von Flüchtlingen abzielen, wird die Heuchelei in diesem Fall besonders deutlich. Spanien will nun also etwas in Richtung Türkei verhindern, was im Fall des nicht weniger autokratischen Marokko längst übliche Praxis ist. Das kann als neuer Fall der großen Flüchtlings-Heuchelei gelten. Und damit wird klar, dass die Menschenrechte wieder einmal nur für andere Ziele missbraucht werden sollen.

Spanien hat bislang 18 der zugesagten 17.500 Flüchtlinge aufgenommen

In Spanien sind es zwei Faktoren, die derzeit dabei besonders wirken, warum gerade die Konservativen nun den Menschenrechts-Diskurs anstimmen. Erstens muss die Volkspartei (PP) des abgestürzten Plasma-Ministerpräsidenten nun auf die Opposition zugehen. Denn eigentlich hatte Mariano Rajoy das Abkommen mit der Türkei zunächst verteidigt. Doch sein Problem ist, dass er seit Dezember keine absolute Mehrheit mehr im Parlament hat. Alle Parteien stellen sich gegen den Pakt mit der Türkei. Rajoy, der gerne mit den Stimmen der rechten Ciudadanos (Bürger) oder denen der Sozialdemokraten (PSOE) weiterregieren würde, muss also Zugeständnisse machen. Die PSOE klagt nicht nur wegen der heißen Abschiebungen nach Marokko gegen das Knebelgesetz, sondern ihr Chef Pedro Sánchez spricht auch von einem „schändlichen Abkommen“, das „unmoralisch“ und „illegal“ sei.

Noch schlimmer stellt es sich für Rajoys Volkspartei (PP) dar, dass auch die rechten Bürger von einem „Symptom der Schwäche“ und von einer „Auslagerung des Problems“ ausgerechnet in ein Land sprechen, das sich „immer stärker autokratisch“ gebärdet. So muss sich die PP mit Blick auf eine Mehrheitsbildung, sei es noch bis zum 3. Mai oder im Hinblick auf Neuwahlen im Juni, in dieser Frage einen anderen Diskurs zulegen. Das zentrale Ziel der PP ist, eine Linksregierung nach portugiesischem Vorbild verhindern zu wollen, die die Austeritätspolitik beendet. Eine solche Regierung wäre möglich, doch die lehnt der PSOE-Chef sie bisher mit Blick auf Forderungen der linken Podemos (Wir können es) ab. Der Druck auf ihn wird auch aus der eigenen Basis immer stärker (Große spanische Gewerkschaft auf Podemos-Kurs).

Der zweite wichtige Faktor, warum die Konservativen das Lied vom Schutz der Menschenrechte anstimmen, ist schlicht Eigennutz. Denn für Menschenrechte sollen vor allem andere einstehen und bezahlen. „Wenn die Flüchtlinge in Griechenland sind, dann muss auch dort ihr Asylantrag bearbeitet werden“, hatte der spanische Außenminister am Dienstag in Brüssel formuliert. Denn dort sollen die Flüchtlinge möglichst auch bleiben, nach Deutschland oder sonst irgendwo nach Nordeuropa gebracht werden, jedenfalls nicht nach Spanien.

Der konservative Rajoy hatte sich einst auch gegen die Umverteilung von Flüchtlingen in der EU gestemmt. Plötzlich änderte er aber seine Meinung und wollte im Land plötzlich sogar mehr als die gut 14.000 Flüchtlinge aufnehmen, wie sie in der EU im vergangenen Herbst beschlossen worden war. Das war freilich nur ein Trick. Wie erwartet wurden nicht 17.500 aufgenommen, was Spanien angeboten hatte, sondern es sind in mehr als sechs Monaten ganze 18 Flüchtlinge gewesen. So sieht spanische Solidarität aus.

Spanien hat Angst, dass die Fluchtroute sich von der Türkei nach Spanien verlagert

Der Schwenk von Spanien hat auch damit zu tun, dass die spanische Regierung befürchtet, der Türkei würde zur erneuten Änderung von Fluchtrouten führen. So machte der kommissarische Innenminister Jorge Fernández Díaz letzte Woche keinen Hehl daraus, dass er davon ausgeht, dass Spanien wieder zentraler Anlaufpunkt für Flüchtlinge werden könnte. „Wird die Balkanroute und die über das zentrale Mittelmeer geschlossen, wird die Tendenz sich in Richtung auf neue Routen ins östliche Mittelmeer und speziell die Küsten Algeriens, Marokkos, Mauretaniens und Senegals verlagern.“ Damit sei das Risiko für die „EU und Spanien offensichtlich“, sagte er. „Wir passen schwer auf, weil damit das Problem nur verlagert würde“, unterstrich er.

Vor diesem Hintergrund muss der Einspruch gegen das Abkommen mit der Türkei von Seiten des Landes vor allem gesehen werden. Lange hatte Spanien mit seiner Abschottung – auch mit Hilfe von Frontex – daran gearbeitet, die Routen immer tödlicher werden zu lassen (Das Flüchtlingssterben geht weiter). Doch man darf davon ausgehen, dass der Weg über die Meerenge von Gibraltar, der in die Exklaven von Ceuta und Melilla oder der auf die Kanarischen Inseln reaktiviert werden würde, wenn es tatsächlich zu einem Abkommen mit der Türkei kommt. Dann wäre Spanien in der Situation wie Griechenland oder auch Italien und hätte mit der fehlenden Solidarität zu kämpfen, die das Land seinerseits an den Tag legt.

Dass es Spanien nicht sonderlich gefällt, der Türkei auch noch Milliarden zu zahlen, dass eine Visa-Freiheit für Türken kommen soll und die Verhandlungen über die EU-Mitgliedschaft beschleunigt werden sollen, wird auch nur wenig verhüllt geäußert.

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