FAZ | 28.11.2017
Eigentlich sollten die Flüchtlinge auf Lesbos die Insel schnell wieder verlassen können. Doch das ist nur Theorie. Kurz vor dem Wintereinbruch werden sie immer verzweifelter.
Franziska Grillmeier
Es ist Samstagabend. Vier Mädchen in Cocktailkleidern stolpern aus der angesagten Monkey Bar von Mytilini, Hauptstadt der ägäischen Insel Lesbos. An eine Hauswand gelehnt ziehen sie die Strumpfhosen hoch und den Lippenstift nach. Auf dem Hafenplatz vor ihnen reihen sich ein Dutzend Schlafsäcke aneinander. Eine Frau erhebt sich und schüttelt eine Decke aus. Neben ihr flattert ein Leintuch im Wind. „Open the Island“ steht darauf. Eines der Mädchen vor der Bar zündet die Kerzen einer Geburtstagstorte an. Nach kurzer Zeit steht der Kuchen in Flammen und die Gruppe läuft kreischend zurück auf die Tanzfläche. Die Frau auf dem Hafenplatz sinkt langsam zurück in den Schlafsackhaufen.
Seit achtzehn Tagen sitzt die Afghanin Adele Tajik auf einer pinken Isomatte mitten auf dem Hafenplatz von Mytilini. Dreißig weitere Flüchtlinge, darunter Familien und Kinder, protestieren mit ihr. Gegen die europäische Flüchtlingspolitik, die sie und 15.000 andere Flüchtlinge auf den ägäischen Inseln festhält. Einige haben sich Alufolie um die Füße gewickelt, andere ihren Kopf so tief in den Schlafsack gegraben, als ob sie darin eine andere Welt finden möchten. Adele Tajik streckt die Beine aus, sie gähnt, ihr Oberkörper erzittert. Sie streut ein paar Erdnüsse in ihre Hand. Es sollen die letzten für eine Weile sein. Morgen fängt der erste Tag ihres Hungerstreiks an.