27. November 2017 · Kommentare deaktiviert für „Tschad: Die unerwartete Migrationsdebatte“ · Kategorien: Europa, Frankreich, Tschad · Tags: ,

DW | 26.11.2017

Viele Tschader wundern sich: Seitdem Frankreichs Präsident Macron die Einrichtung von Asylzentren im Tschad plant, steht das Land im Mittelpunkt einer Migrationsdebatte. Dabei ist das im Land gar kein Thema.

Katrin Gänsler

Marie Larlem sitzt in ihrem Büro in der Nähe der US-amerikanischen Botschaft mitten in der tschadischen Hauptstadt N’Djamena. Sie ist Leiterin der Gesellschaft zur Stärkung der Freiheit im Tschad (APLF) und befasst sich gemeinsam mit ihren 118 Mitarbeitern mit zahlreichen gesellschaftspolitischen Themen wie Bildung und Armutsbekämpfung. Außerdem leistet sie Rechtsbeistand. Nur Migration gehört nicht zu ihrem Portfolio. „Europa beschäftigt sich viel damit. Bei uns spürt man aber wenig davon“, sagt Marie Larlem fast lachend, als sie darauf angesprochen wird.

Im internationalen Diskurs über Migration ist der Tschad, wo gut 14 Millionen Menschen leben, plötzlich Gesprächsthema. Grund dafür ist der Versuch von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, ein sogenanntes Asylzentrum zu etablieren. Das ist auch für das Nachbarland Niger geplant. Ziel ist es, dass künftig schon in Afrika über Asylanträge entschieden wird. Frankreich will aus beiden Ländern bis zu 3000 Personen aufnehmen. Neu ist die Idee nicht: 2016 haben die USA noch 523 so ausgewählten Flüchtlingen Asyl gewährt. Die Trump-Regierung hat den Tschad jedoch mit einem Reiseverbot belegt, so dass von Januar bis September 2017 nur noch 99 Personen Asyl erhielten.

„Geste der Solidarität“

Der Sprecher des UN-Flüchtlingswerks (UNHCR) in N’Djamena, Ibrahima Diane, unterstützt die Idee, bereits in Afrika Asylbewerber auszuwählen: „Das ist eine Geste der Solidarität in Richtung eines Landes, das Asyl gewährt. Für die Flüchtlinge bedeutet das, dass sie endlich besseren Schutz erhalten, der ihren Bedürfnissen entspricht.“ Die Umsetzung der französischen Pläne liegt beim Ofpra, dem französischen Büro zum Schutz von Flüchtlingen und Staatenlosen. Wie genau das Asylzentrum aussehen soll und ob es überhaupt ein dauerhaft besetztes Büro geben wird, ist unklar.

Bereits im Oktober führten französische Gesandte mehr als 200 Gespräche mit potentiellen Asylbewerbern – eine verschwindend geringe Zahl bei 407.996 Flüchtlingen, die aktuell im Tschad leben. Mehr als 322.000 sind während des Darfur-Konflikts gekommen und sitzen im Tschad fest: Sie dürfen nicht arbeiten. Gleichzeitig ist für sie wie auch für zahlreiche andere Flüchtlinge eine Rückkehr in die Heimat ausgeschlossen, sagt Ibrahima Diane: „Die Lage hat sich in den meisten Ländern noch nicht wieder normalisiert. Wir sehen, was in der Zentralafrikanischen Republik sowie in Nigeria und der Region am Tschadsee passiert.“

Zentren als Magnet für neue Migranten

Gar nicht einverstanden mit den Asylzentren ist allerdings Béral Mbaïkoubou. Der Oppositionspolitiker sitzt für die Bewegung der tschadischen Patrioten für die Republik (MPTR) im Parlament: „Wir gehen davon aus, dass sie mehr Menschen anziehen werden. Es gibt das Risiko, dass alle Personen, die einen Antrag stellen wollen, in Richtung Tschad aufbrechen.“ Damit ist die Sorge verbunden, dass der Tschad verstärkt zum Transitland wird. Vergangenes Jahr sagte Präsident Idriss Déby während seines Deutschlandbesuchs, dass 90 Prozent der Migranten aus dem Niger über den Tschad nach Libyen gelangten. Prüfbare Zahlen gibt es jedoch nicht.

Tschad-Expertin Helga Dickow, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Arnold-Bergstraesser-Institut in Freiburg, bewertet das jedoch anders: „Als Transitland spielt der Tschad noch keine große Rolle. Die Migrationsströme führen am Land vorbei.“ Dass künftig mehr Tschader ihr Heimatland verlassen, gilt allerdings als unwahrscheinlich. „Die meisten Menschen sind schlichtweg zu arm und können die Kosten für eine Überfahrt nach Europa gar nicht aufbringen“, sagt Helga Dickow.

Viel zu arm zum Auswandern

Der zentralafrikanische Staat ist laut Entwicklungsindex der Vereinten Nationen das drittärmste Land der Welt und befindet sich durch den Verfall des Ölpreises in einer schweren Wirtschaftskrise. „Die Menschen sind viel mehr mit dem täglichen Überlebenskampf und dem schwierigen sozialen Klima befasst“, sagt Politiker Mbaïkoubou. Dazu gehört die immer stärkere Einschränkung von Grundrechten wie Meinungsfreiheit, was auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International in ihrem aktuellen Tschad-Bericht „Zwischen Rezession und Repression“ angeprangert hat. Für Marie Larlem gibt es noch eine weitere Ursache, warum Migration kein Thema ist: „Die Bevölkerung des Tschad hat gar nicht die Tradition, ins Ausland zu gehen.“

Dass Migration plötzlich mit dem Tschad verbunden wird, kann jedoch politisches Kalkül sein, wird in N’Djamena spekuliert. Seit dem Valetta-Gipfel im November 2015 gibt es zahlreiche Fördertöpfe für Projekte, die den Titel „Fluchtursachen bekämpfen“ tragen. Nach einem Treffen im September 2017 in Paris sagte Präsident Déby, Förderzusagen von bis zu 15,2 Milliarden Euro erhalten zu haben. Zum Vergleich: das Bruttoinlandsprodukt des Tschad liegt bei weniger als zehn Milliarden Euro pro Jahr.

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