07. April 2015 · Kommentare deaktiviert für „Ein Kutter gegen den Tod“ – FR · Kategorien: Mittelmeer · Tags: ,

Frankfurter Rundschau

Von Jenny Filon

Immer mehr Menschen kommen auf ihrer Flucht nach Europa ums Leben. Harald Höppner will dabei nicht länger zusehen: Der Brandenburger hat ein Schiff gekauft, um im Mittelmeer zu helfen.

Mit Schwung lässt Harald Höppner die Sektflasche an die frisch gestrichene Bordwand krachen – Marke Rotkäppchen, trocken. „Das kann der Lack schon ab.“ Seine Stimme ist laut und tief; er braucht kein Mikrofon, um gehört zu werden. „One, two, three“: Die Flasche zerschellt, übrig bleibt ihr Hals, befestigt an einem schmalen Tau. „Die Sea Watch ist abfahrtsbereit“, ruft Höppner in die Menge. Applaus, dann Lachen. Trotz der Kälte, die an diesem Nachmittag Ende März durch jede Naht zieht, und der dunklen Wolkendecke ist auf dem kleinen Pier am Hamburg-Harburger Hafen kaum noch Platz. Freunde, Helfer und Journalisten drängen sich auf der schmalen Rampe, die zum Anlegeplatz führt. Einige tragen Schwimmwesten – als Zeichen ihrer Solidarität. Schon bald werden diese Westen für viele Menschen ein überlebenswichtiges Utensil sein.

Harald Höppner feiert Schiffstaufe. Fünf Monate ist es her, dass er den Entschluss gefasst hat, ein Boot zu kaufen, um damit Menschenleben zu retten. Im Mittelmeer – dort wo jeden Monat, jede Woche Hunderte Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Europa ertrinken. Heute gibt er dem 98 Jahre alten Kutter einen neuen Namen: Sea Watch – Seewache. Am Ufer der Elbe, irgendwo in Finkenwerder, hinter der Einkaufsstraße, dem Supermarkt und ein paar Lagerhallen. Ein Ort, an den sich sonst kaum ein Spaziergänger verirrt.

Harald Höppner ist ein Bär von einem Mann. Sein großes Gesicht ist freundlich, er trägt Jeans und Sweatshirt, seine Hände sind schmutzig, voller Lack. Dreck klebt unter den kurzen Fingernägeln. Höppner raucht eine Selbstgedrehte. Seit Monaten arbeitet der 41-Jährige mit seinem Team an der Sea Watch, macht sie bereit für die Überfahrt. Mitte April wird eine sechsköpfige Crew aus Freiwilligen das Schiff nach Malta bringen, von dort soll sie starten, seine „private Rettungsmission“.

Auf dem Dach des Kutters erzählt er von seinem Plan; seine Ungeduld ist spürbar. Er redet schnell. „Ich kann nicht mehr zuschauen“, sagt er. „Diese Menschen kommen, weil sie in ihrer Heimat an Hunger leiden oder Kriege erleben. Und die EU lässt sie an der Grenze ersaufen wie Ratten. Das geht nicht in meinen Kopf rein.“

Zweifeln lässt er keinen Raum. Die Sache ist klar. Er will helfen – jetzt. Und zwar da, wo für ihn die Politik versagt: an der Außengrenze der Europäischen Union – zwischen Malta und der libyschen Küste, dort, wo sich 80 Prozent aller Unfälle von Flüchtlingsbooten ereignen. „Wir wollen doch auch nicht, dass an der deutschen Grenze Tausende von Menschen sterben“, sagt er. „Das müssen die Leute endlich verstehen. Wir müssen zusammenhalten“.

Auf ein Gespräch über die Grenzpolitik der EU lässt sich Höppner nicht ein, er will sich nicht in politischen Details verlieren. Es liege jetzt an ihm, den Job derer zu übernehmen, die eigentlich Hilfe leisten sollten, sagt er. Und den Menschen davon zu berichten. Er zeigt nach oben. In gut acht Metern Höhe ist eine Satellitenanlage befestigt, wie ein großes, weißes Ei hängt sie an einem der Masten. Sie versorgt die Sea Watch mit Internet, über eine Festnetznummer ist das Team rund um die Uhr telefonisch erreichbar.

„Mare Nostrum war eine super Sache“

Es war im November vergangenen Jahres, als Harald Höppner, der mit seiner Frau und seinen drei Kindern im brandenburgischen Tempelfelde wohnt, die Idee zu Sea Watch kam. Im Fernsehen liefen Berichte zum 25. Jahrestag des Mauerfalls. „Die DDR-Bürger sind durch die Elbe und übers Meer geflüchtet. Wenn ich damals hätte die Grenze überwinden wollen, hätte ich mich auch über jemanden gefreut, der mich nicht hätte ertrinken lassen.“ Höppner spricht mit Nachdruck, noch nie hat er sich so für etwas eingesetzt. „Dazu kam der Kampf um die Stadt Kobane, Millionen Syrer auf der Flucht, die Terrormiliz Islamischer Staat“. Er wusste, er würde die Sache selbst in die Hand nehmen müssen – mit einem Schiff. Obwohl er, der Einzelhändler aus Brandenburg, von Schifffahrt und Nautik überhaupt nichts versteht.

Zu diesem Zeitpunkt hatte die italienische Regierung gerade die Mission Mare Nostrum eingestellt; ein Seenotrettungsprogramm mit dem Italiens Marine nach Angaben aus Rom mehr als 100.000 Flüchtlinge vor dem Ertrinken hatte retten können. Italien hatte die Operation nach der Tragödie von Lampedusa am 3. Oktober 2013, bei der fast 400 Menschen auf ihrer Flucht nach Europa ums Leben kamen, im Alleingang begonnen. Doch nach einem Jahr war Schluss. Neun Millionen Euro kostete die Mission pro Jahr – zu viel, um sich zu beteiligen, entschied die Europäische Union und startete „Triton“: Einen Einsatz unter dem Dach der EU-Grenzschutzagentur Frontex, mit dem Auftrag das italienische Hoheitsgebiet bis zu 30 Kilometer vor der Küste zu sichern.

Ein Fehler, kritisiert Höppner. Denn anders als Mare Nostrum soll Triton in erster Linie sogenannte illegale Einwanderer abhalten. Für die Seenotrettung sieht sich die Organisation nicht verantwortlich. „Mare Nostrum war eine super Sache“, sagt Höppner. „Ich will, dass es so etwas wieder gibt. Egal von wem. Es kann doch nicht sein, dass diese Aufgabe jetzt ein kleines deutsches Schiff übernehmen muss.“

Höppner hat das alles schon viele Male erzählt, doch wird er nicht müde, seine Motive zu erklären. Er wisse ja, wofür. Seit dem ersten Zeitungsbericht über sein Projekt steht sein Handy nicht mehr still – auch an diesem Tag klaubt er es immer wieder aus seiner Hosentasche. Darin sei die „ganze deutsche Medienlandschaft“ abgespeichert, lacht er. Sein Plan ist aufgegangen. Jeder soll erfahren, was er vorhat. „Wir können die Grenzen nicht abschaffen“, sagt Höppner, „das wollen wir auch nicht. Aber wir möchten, dass die, die versuchen, zu uns zu kommen, um das angebotene politische Asyl zu beantragen, kommen können, ohne dabei zu sterben.“ Die „Sea Watch“ werde der Politik „den Spiegel vorhalten“ – über Videos und Berichte, die er live in die ganze Welt schicken wird.

An Deck der Sea Watch steht auch Tilmann Holsten, er lehnt an der Reling. Um den Hals trägt auch er eine Schwimmweste. An Höppners Anruf erinnert sich der 36-Jährige mit einem Lächeln. Er zitiert: „Kann ich ein Boot kaufen, mit Freiwilligen ins Mittelmeer fahren und dort Menschen retten?“. Holstens erster Instinkt: „Das wird nichts.“ Heute ist er Skipper auf der Sea Watch, er hat den Kutter im Dezember von Holland nach Hamburg überführt und den Umbau geleitet.

Holsten ist Seemann durch und durch, auf seiner Ernestine segelt er mit seiner Familie und Touristen jeden Sommer über die Ostsee. Anders als Höppner spricht Holsten leise, fast gerührt beobachtet er, wie immer mehr Menschen an den Pier kommen. Er ist froh, dass er seinem ersten Gefühl nicht nachgegeben hat. „Harald hatte quasi nix im Portemonnaie“, sagt Holsten, „doch ich wollte nicht nörgeln“. Und so durchsuchten die beiden das Internet – „von Stockholm bis Malta“, erzählt Höppner. Bis sie „Go 46“ fanden, einen Stahlkutter, Baujahr 1917, 21 Meter lang, 5,2 Meter breit, „bis zu einem gewissen Grad hochseetauglich“ – mit einer Kajüte für acht Personen, Küche und Badewanne. Kosten: 60 000 Euro, für den Umbau nochmal 60 000 Euro obendrauf. „Wir haben Roulette gespielt und alles auf eine Karte gesetzt“, sagt Holsten heute. Mit Erfolg. Übers Internet haben sie nach Freiwilligen gesucht. Mehr als 200 haben sich schon gemeldet: Kapitäne, Ärzte, Schiffsingenieure, Journalisten. In Schichten von zwei bis drei Wochen werden einige von ihnen auf der Sea Watch arbeiten und ab Mai nach Flüchtlingsbooten Ausschau halten. Holsten wird nicht dabei sein. In einer Woche ist seine Arbeit hier vorbei, dann muss er wieder auf sein eigenes Schiff. Doch weiß er schon jetzt: Es war einer der schönsten Jobs, die er bisher hatte.

Auf Spenden angewiesen

Drei Monate, so lange reicht das Geld der Höppners erstmal. Danach ist die Crew auf Spenden angewiesen. Erspartes aus über zehn Jahren haben Höppner und seine Frau Tanja in das Schiff, fünf Rettungsinseln, Schwimmwesten und Trinkwasser für die Flüchtlinge investiert. Sie haben es mit ihren zwei Läden in Berlin und einem Online-Shop verdient. Dort verkaufen sie Möbel, Kleidung und Dekorationsartikel aus Asien und Südamerika. „Es hat sich schon gelohnt, wenn wir nur ein Menschenleben retten konnten“, sagt Höppner. Doch wünscht er sich mehr – und er ist sich sicher, dass er Unterstützer finden wird. „Ich weiß, dass wir mit unserer Einstellung keine Minderheit sind“. Die vielen Gäste und vor allem die Presse, die gekommen ist, um von der Sea Watch zu erzählen, machen ihm Hoffnung.

Harald Höppner zeigt in die Menge. Am Pier steht Stefan Schmidt, der ehemalige Kapitän der Cap Anamur II. Ihm werde immer wieder eine Frage gestellt, sagt Höppner. Ob er etwas Illegales tue. Dann erzählt er die Geschichte – vom Freispruch Schmidts, der im Sommer 2004 im Mittelmeer 37 Afrikaner vor dem Ertrinken gerettet und mit dem Hilfsschiff nach Italien gebracht hatte. Ihm und dem einstigen Cap-Anamur-Vorsitzenden Elias Bierdel drohte damals eine vierjährige Haftstrafe – wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung. Doch sie wurden freigesprochen, nach einem fünf Jahre andauernden Prozess. Für Höppner ein entscheidendes Zeichen. „Wir Menschen sind in der Pflicht, andere Menschen zu retten, wenn sie in Not sind.“

Höppner weiß, was im Mai auf die Mannschaft der Sea Watch zukommen wird. Die Zahl der Toten steigt jedes Jahr. Seit Jahresbeginn starben schon mindestens 470 Menschen auf ihrer Flucht über das Mittelmeer, im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es 15. Doch macht er sich keine Sorgen. Harald Höppner hat sich entschieden nicht länger „auf dem Sofa zu sitzen und zu kotzen“. Und das fühle sich gut an.

Nur noch ein paar Wochen, dann wird die Sea Watch im Mittelmeer Ausschau halten. Und sie wird erste Hilfe leisten, immer dann, wenn es nötig ist: Rettungsinseln auswerfen, die Menschen mit Trinkwasser, Essen und Funkgeräten versorgen. Dann wird sie die Küstenwache rufen. Und „auf die Hilfeleistung der Profis hoffen“, sagt Höppner. Denn im Alleingang werde die Mannschaft und allen voran der Kapitän überhaupt nichts entscheiden. „Wir sorgen dafür, dass sich keiner mehr aus der Verantwortung ziehen kann.“ Er lächelt. „Denn wir werden das zivile Auge auf dem Mittelmeer sein. Und wir werden herausposaunen, was dort wirklich passiert.“

Kommentare geschlossen.