26. März 2016 · Kommentare deaktiviert für „Ängste im luftigen Wartesaal“ · Kategorien: Deutschland, Italien, Österreich

Quelle: Frankfurter Rundschau

Am Brenner stranden tausende Flüchtlinge. Südtirols Wirtschaft fürchtet schweren Schaden durch den Abschottungskurs Österreichs.

Norbert Mappes-Niediek

Pass? Nein. Auch eine Fahrkarte hat Babba nicht. Geld? Schon gar nicht. Nur drei zusammengeheftete Blatt Papier führt der Junge aus Gambia mit sich. Sie sind das Protokoll einer Irrfahrt – einer tatsächlichen, aber auch einer rechtlichen.

Gestern noch war Babba Faity am Ziel, in Deutschland. „Die Deutschen haben mich in einen Bus gesetzt und zurück über die Grenze geschickt“, erzählt er. In Kufstein haben ihn die Österreicher in Empfang genommen. Die haben ihn dann „asylrechtlich amtsbehandelt“ und ihm eine „Anordnung zur Außerlandesbringung“ mitgegeben. Mit dem Zettel sitzt Babba jetzt auf den Stufen vor einem verlassenen Geschäftslokal in der Ortschaft Brennero/Brenner, dem ersten Ort in Italien, und friert. Wenn die Sonne untergeht, sinken die Temperaturen hier, auf 1370 Meter Meereshöhe, immer noch unter null.

Babbas Schicksal trifft zurzeit täglich ein paar Dutzend Menschen. Schon bald könnten es aber Tausende sein. Auch jetzt schon ist völlig unklar, wie Flüchtlinge von woher auch immer zu behandeln sind. Klarheit schaffen im rechtlichen Niemandsland nur noch Zäune, Grenzen – und Polizisten, die Gestrandete einfach physisch über die Grenze ins nächste Land weiterschicken oder irgendwo aus einem Zug weisen. Gewonnen hat, wer am rigorosesten vorgeht.

„Eigentlich dürften die Österreicher Babba gar nicht einfach ziehen lassen“, erklärt Alessio, ein junger Flüchtlingshelfer aus Bozen, der hier seit mehr als einem Jahr im Einsatz ist und schon Tausende hat vorbeiziehen sehen. Eigentlich ist Babba ein „Dublin-Fall“: Die Österreicher müssten erst einmal nachweisen, dass der Junge überhaupt aus Italien gekommen ist. Dann hätten die Italiener drei Monate Zeit, um den Antrag auf „Dublin-III-Überstellung“ anzunehmen oder abzunehmen. Außerdem ist Babba, wie aus dem Papier der Österreicher hervorgeht, erst siebzehn und damit ein unbegleiteter Minderjähriger, den die Behörden nicht einfach so weiterschicken dürfen. Wie siebzehn sieht er nicht aus, eher wie fünfzehn.

Klären lassen die Fälle sich alle nicht mehr. Österreich könnte klagen gegen Deutschland, das den jungen Gambier einfach zurückschickt, Italien gegen Österreich, weil es ihn nicht angenommen hat. Dann könnten Italien und Deutschland die Österreicher vor Gericht ziehen, die sich um Rechtsvorschriften ebenso wenig scheren und entgegen dem Schengen-Abkommen dauerhafte Grenzkontrollen einführen. Schließlich könnte Österreich Italien verklagen, das Flüchtlinge nach Norden weiterwinkt – und Italien alle jene EU-Länder, die sich weigern, die beschlossene Quote zur Verteilung von Flüchtlingen umzusetzen.

Wo niemand sich mehr auf irgendein Recht verlassen kann, muss jeder sehen, wo er bleibt. „Es kommen täglich noch immer zwei, drei Dutzend Menschen auf den Brenner, die nach Norden wollen“, sagt Andrea Tremolada, der in Bozen für die Hilfsorganisation Volontarius die Flüchtlingsarbeit koordiniert. „Aber spätestens Anfang April wird das Mittelmeer ruhiger.“

Die Boote aus Libyen fahren wieder. In den letzten Tagen sind im Süden bereits wieder 1800 Menschen angekommen. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UN) zählt seit Jahresbeginn 14 000, die übers Mittelmeer in Italien angekommen sind. Nichts spricht dafür, dass es besser werden könnte als vor einem Jahr, als es noch keine Balkanroute gab und die meisten im unsicheren Libyen in seeuntaugliche Boote stiegen.

Neu ist nur, dass Flüchtlinge inzwischen auch in umgekehrter Richtung unterwegs sind. „Genauso viele wollen nach Süden wie nach Norden“, schätzt Tremolada. Die Rückwärtsbewegung vergrößert das Chaos nur. „Die bleiben alle in Italien“, sagt Alessio, „und versuchen es dann irgendwann wieder.“

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