Movements | Ausgabe 3(1)
Mathias Fiedler, Fabian Georgi, Lee Hielscher, Philipp Ratfisch, Lisa Riedner, Veit Schwab, Simon Sontowski
Als wir im Frühjahr 2016 den Call for Papers für die nun vorliegende Ausgabe 3 (1) der Zeitschrift movements formulierten, befand sich EUropa1 in einem migrationspolitischen Ausnahmezustand. Im Sommer und Herbst 2015, der als »der lange Sommer der Migration« (Kasparek/Speer 2015) in die Geschichte eingehen sollte, hatten mehr als eine Million Geflüchtete die EUropäischen Außengrenzen überwunden und sich über den neu entstandenen ›humanitären Korridor‹ weiter in Richtung Norden bewegt. Als Reaktion darauf begannen verschiedene EU-Mitgliedsstaaten im Winter 2015/2016, ihre Grenzen wieder systematisch zu kontrollieren und einzelne Grenzübergänge zu schließen. Gleichzeitig war das Dublin-System, durch das vor allem die Mitgliedsstaaten im Süden und Osten für die Bearbeitung von Asylanträgen verantwortlich gemacht werden, de facto außer Kraft gesetzt. Angesichts dieser Dynamiken stand neben den Außengrenzen, deren partielle Durchlässigkeit nun endgültig sichtbar geworden war, auch das Fortbestehen des Schengenraums auf dem Spiel – und mit ihm auch die reibungslose Zirkulation von Personen und Waren im Binnenmarkt, eine der neoliberalen Grundfesten der Europäischen Union. Zudem hing das Referendum über den Brexit wie ein Damoklesschwert über dem europäischen Projekt. Der damalige britische Premierminister David Cameron forderte, die EU-Personenfreizügigkeit einzuschränken und den Zugang zu Sozialleistungen für EU-Staatsangehörige, die sich in Großbritannien niedergelassen hatten, weiter zu limitieren. Die diskursiven Figuren der ›Armutsmigration‹ und des ›Sozialtourismus‹ prägten eine zunehmend nationalistisch geführte Debatte um die Zukunft EUropas.
- Häufig wird von Europa gesprochen, wenn die EU gemeint ist. Indem wir den Begriff ›EUropa‹ verwenden, wollen wir einer solchen Gleichsetzung entgegenwirken und gleichzeitig darauf hinweisen, dass das EU-europäische Projekt nicht auf die Institutionen der EU zu reduzieren ist (vgl. Stierl 2016, Fn. 1). ↩