22. März 2017 · Kommentare deaktiviert für „Illegale in türkischen Nähstuben“ · Kategorien: Syrien, Türkei · Tags:

nd | 22.03.2017

Syrische Flüchtlinge werden bei Textilproduktion für europäische Händler ausgebeutet

von Hendrik Lasch

In der Nachbarschaft von Bego Demir kam unlängst ein syrischer Textilarbeiter ums Leben. Nach einer überlangen Schicht geriet er mit dem Arm in eine Maschine; den Unfall habe er nicht überlebt. Demir, Aktivist beim türkischen Ableger der »Clean Clothes Campaign« (CCC; Kampagne für saubere Kleidung), sieht das nicht als Einzelfall. Die Textilindustrie seines Landes stütze sich zunehmend auf syrische Flüchtlinge, die ohne reguläre Arbeitsverträge beschäftigt und ausgebeutet würden. »Sie erhalten nur die Hälfte des Mindestlohns«, sagt Demir, »dabei reicht dieser ohnehin nicht aus, um einigermaßen über die Runden zu kommen«.

Die Türkei gehört zu den Hauptstandorten der Textilindustrie weltweit. Jahrelang war sie wichtigster Lieferant für die großen Handelsketten in Europa. Inzwischen ist zwar China zur Nummer eins aufgestiegen; die Betriebe in Istanbul und Izmir bleiben aber wichtig für Aufträge mit kurzen Lieferfristen. Offiziell beschäftigt die Branche 960 000 Arbeiter; die Zahl der illegal Beschäftigten liege aber bei über einer Million, sagt Demir. Er selbst kam als 15-Jähriger Binnenflüchtling aus Anatolien in eine Textilfabrik, die ihm neben einem Job auch einen Schlafplatz bot. Demir wurde beim Sandstrahlen eingesetzt, mit dem Jeans das gefragte gebrauchte Aussehen erhalten. Der feine Staub ruinierte jedoch seine Lunge; der heute 36-Jährige leidet an Silikose, die eigentlich Bergleute trifft. 2008 gründete er »Clean Clothes« in der Türkei und engagiert sich für bessere Arbeitsbedingungen. Er reist dazu auch in Länder, in denen die in der Türkei gefertigte Kleidung gekauft wird. Dieser Tage war er in Deutschland: zu Vorträgen in Greifswald und Leipzig sowie einem Treffen mit Hugo Boss, für dessen Label ebenfalls in der Türkei genäht wird.

Offiziell werden dabei keine syrischen Arbeiter eingesetzt. Das Problem ist jedoch: Die Vertragspartner in der Türkei lagern einen Großteil der Produktion an Subunternehmen aus; diese erledigen bis zu 70 Prozent der Auftragsvolumina, schätzt Demir. Die Handelsketten kontrollieren Arbeitsbedingungen und Sozialstandards indes meist nur bei ihren direkten Partnern. Eine Studie der Organisation »Fair Action«, die Anfang des Jahres fünf nordeuropäische Handelsketten unter die Lupe nahm, kritisiert, es gebe eine »große Lücke« zwischen deren Kenntnissen über die Zustände in ihren Lieferketten und Daten aus dritter Hand. Letztere legten die Vermutung nahe, dass Syrer »in großer Zahl in die türkische Bekleidungsindustrie drängen«. Das Monitoring der Handelsketten sei aber ungenügend, unter anderem deshalb, weil man über die Auslagerung von Teilen der Produktion an Subunternehmer nicht informiert worden sei.

Als problematisch wird vor allem angesehen, dass die syrischen Zuwanderer in der Regel illegal beschäftigt werden. Zahlen von CCC zufolge haben von 250 000 bis 400 000 Syrern, die im Land beschäftigt sind, nur 7000 eine offizielle Arbeitserlaubnis. Kein Wunder, sagt Demir: Das Papier muss vom Arbeitgeber beantragt werden – der daran freilich kein Interesse hat, weil er dann Sozialabgaben und Mindestlohn zahlen müsste. Dieser stieg zuletzt auf 1332 Lira im Monat, was gut 350 Euro entspricht. Ein solches Einkommen liege aber unter der Armutsgrenze, viele Arbeiter willigten deshalb ein, mehr als die gesetzlich erlaubten acht Stunden an sechs Wochentagen zu arbeiten, um auf einen höheren Lohn zu kommen. Die illegal beschäftigten Syrer erhalten noch weniger Geld und keine soziale Absicherung, wehren sich aber gegenüber Arbeitgebern und Behörden kaum, um nicht den Verlust ihres Jobs zu riskieren, konstatiert die »Clean Clothes Campaign«.

Die Organisation appelliert daher an die Abnehmer in Europa sowie deren Kunden – mit unterschiedlichem Erfolg. Nach dem Gutachten von »Fair Action« hätten H & M und eine weitere Kette »einige Schritte in die richtige Richtung« unternommen, heißt es; andere »ließen nicht erkennen, dass sie überwachen und die Risiken zu vermeiden versuchen«, beklagt CCC in einer Stellungnahme. Demir hofft derweil auch auf wachsendes Bewusstsein bei Kunden. »Sie sollten Fragen an die großen Marken stellen«, sagt er: »Setzt ihr Chemikalien ein? Welche Löhne zahlt ihr?« Bei den Vorträgen habe er Zustimmung festgestellt. Vor Bekleidungsläden hat er sich diesmal indes nicht gestellt.

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