08. März 2017 · Kommentare deaktiviert für „EuGH-Urteil zu Flüchtlingen: Europas Zynismus“ · Kategorien: Europa · Tags: , ,

Spiegel Online | 07.03.2017

Die EU-Staaten müssen in ihren Botschaften keine humanitären Visa vergeben – das Urteil des EuGH sorgt bei Regierungen für Erleichterung. Es legt aber auch das ganze Drama der europäischen Asylpolitik offen.

von Markus Becker

Theo Francken brauchte nur zwei Worte, um sein Verständnis von Humanität zusammenzufassen: „Yesss! Gewonnen!“ Der Grund für den Jubel-Tweet des belgischen Asyl-Staatssekretärs: Der Europäische Gerichtshof hatte entschieden, dass EU-Staaten in ihren Auslandsbotschaften keine Visa für Flüchtlinge ausstellen müssen, damit diese einreisen und Asyl beantragen können.

Zur Erinnerung: Anlass war der Fall einer christlichen Familie aus dem syrischen Aleppo, die in der belgischen Botschaft im Libanon Schutz vor Verfolgung und Folter gesucht hatte. „Ekelhaft“ und „zynisch“ waren deshalb nur einige der Begriffe, die Francken als Reaktion auf seinen „Gewonnen!“-Tweet zu lesen bekam.

Allerdings war der Mann von der nationalliberalen N-VA keineswegs der einzige EU-Politiker, der Erleichterung verspürte. Andere drückten sie nur ein wenig diplomatischer aus. Obendrein erweckte Francken den Eindruck, das Urteil sei politisch beeinflusst worden: Er dankte der EU-Kommission und 13 Mitgliedstaaten, die „Belgien bei diesem wichtigen EuGH-Urteil unterstützt haben“.

Ein Ansturm wäre absehbar gewesen

Sicher: Hätte der EuGH anders geurteilt, hätte er auf einen Schlag die EU-Asylpolitik ins Wanken gebracht und die Mitgliedsländer vor enorme Probleme gestellt. Ein Ansturm auf die Botschaften in diversen Ländern wäre die mögliche Folge gewesen, und in jedem Einzelfall wäre zu prüfen gewesen, ob wirklich eine Verfolgung vorliegt.

Auch die Debatte um die Verteilung von Flüchtlingen wäre wieder aufgeflammt. Denn dass die deutschen oder schwedischen Botschaften mehr Anträge abbekommen hätten als etwa die ungarischen oder polnischen, das dürfte außer Frage stehen.

Dennoch öffnet das Urteil der Luxemburger Richter den Blick auf den zweifelhaften Status quo, den sie nun zementiert haben: Ob jemand Asyl in Europa bekommt, entscheidet sich nicht zuerst an der Frage, ob er verfolgt wird – sondern ob er es bis nach Europa schafft. Wem dazu das Geld oder das Glück fehlt, hat keine Chance.

Immerhin arbeitet die EU an einem neuen Asylsystem, und dabei wird auch über humanitäre Visa verhandelt. Ob man sich am Ende auf sinnvolle Regeln wird einigen können, ist jedoch keinesfalls sicher. Dabei zeigt das EuGH-Urteil erneut, wie dringend die EU neue Asylregeln in Verbindung mit einem Einwanderungsrecht braucht, das diesen Namen verdient. Europa sollte nicht nur auf Abschottung setzen, sondern im eigenen Interesse legale Zuwanderung von Arbeitskräften ermöglichen – und jenen Schutz bieten, die ihn wirklich nötig haben.

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