02. März 2017 · Kommentare deaktiviert für „Merkel reist mit konkreten Angeboten nach Ägypten“ · Kategorien: Ägypten, Deutschland, Mittelmeer · Tags:

Die Welt | 02.03.2017

Die Kanzlerin besucht Ägypten: Sie will enger mit Präsident al-Sisi zusammenarbeiten, um die Flucht übers Mittelmeer zu bekämpfen. Im Gespräch ist ein Abkommen wie mit der Türkei. Es geht um viel Geld.

von Manuel Bewarder, Christoph B. Schiltz

Wenn es um eine schnelle Lösung der Flüchtlingskrise in Afrika geht, sollte man die Hoffnung besser begraben. Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat das bereits im Spätsommer 2015 deutlich gemacht. Der CDU-Politiker skizzierte damals Pläne, wie Europa langfristig den Zuzug begrenzen und die eigene Außengrenze besser schützen könne. „Die Lösung kann nicht national, sie muss europäisch sein“, sagte de Maizière. Für ein entsprechendes Konzept habe er eine „Vision“.

Ein passender Begriff – denn bevor es Realität werden kann, wird noch viel Zeit vergehen. Die Fortschritte in der internationalen Migrationspolitik sind bisher schleppend. Und die Idee, in Nordafrika Auffangzentren aufzubauen, ist noch längst nicht umgesetzt. Zudem herrscht in Libyen weiterhin Chaos – doch von dieser Küste legen fast 90 Prozent der Migrantenboote ab.

An diesem Donnerstag besucht Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) das nordafrikanische Land Ägypten. Erst vor Kurzem empfing sie im Kanzleramt Tunesiens Premierminister. Ihre Reise nach Algerien fiel gerade nur aus, weil ihr Gastgeber krank wurde. Aber trotz dieses Klinkenputzens und einer ungewöhnlich hohen Geschwindigkeit bei der Umsetzung von Maßnahmen auf europäischer Ebene zeichnet sich kein Durchbruch ab. Im vergangenen Jahr kamen rund 180.000 sogenannte illegale Migranten aus Afrika nach Italien. Für 2017 rechnen die meisten Experten sogar mit noch mehr.

Es zeigt sich, dass de Maizières „Vision“ tatsächlich nur eine Lösung auf lange Sicht sein kann. Dazu gehört ein europäisches Asylrecht. Dazu gehört aber vor allem auch das Aufgreifen einer Idee, die vor mehr als zehn Jahren vom damaligen Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) geprägt wurde. De Maizière fördert sie seit November auch offensiv und erhielt dafür viel Unterstützung seiner europäischen Ressortkollegen: Migranten sollen künftig keine Aussicht haben, auf illegale Weise das Mittelmeer zu überqueren.

Wer an der EU-Außengrenze aufgegriffen wird, soll nicht mehr nach Italien, sondern zurück nach Nordafrika gebracht werden. Dort soll grob geprüft werden, ob die Migranten in Europa einen Schutzstatus erhalten werden. Wenn das so ist, sollen sie sicher in die EU-Staaten gebracht werden, von denen jeder ein gewisses Kontingent an Flüchtlingen aufnimmt.

Ägypten gilt als Schlüsselstaat in der Region

Wenn das alles wahr werden sollte, könnte manches Problem gelöst werden: Wahrscheinlich würden deutlich weniger Menschen auf der Flucht sterben als bisher – allein im vergangenen Jahr waren es im Mittelmeer etwa 5000. Gleichzeitig könnte sich für Europa die Zahl jener Personen reduzieren, deren Asylantrag abgelehnt wird und die dann in ihre Heimatländer unter größten Anstrengungen zurückgeführt werden müssen.

Die Bundeskanzlerin übt sich in Vorsicht. Während sie vor Kurzem selbst noch von Möglichkeiten für Auffanglager in Nordafrika sprach, ruderte sie in der Pressekonferenz mit dem tunesischen Premierminister zurück. Auffanglager? „Das Wort, was Sie gerade genannt haben, ist eh nicht Teil meines Sprachschatzes“, antwortete Merkel auf die Frage eines Journalisten.

Das passt. Gerade, weil es ihr und der EU zwar um das kurzfristige Reduzieren der Migrantenzahl geht. Vor allem soll das Problem aber langfristig angegangen werden. Ihrer Meinung nach – und dies teilt man im Bundesinnenministerium – ist ein Gesamtansatz notwendig, der nicht nur die Küstenländer wie in ferner Zukunft auch Libyen, sondern auch die Transit- und Herkunftsstaaten einbindet.

Interessant wird es dennoch, wenn man sich die nordafrikanischen Staaten neben Libyen genau anschaut. Nur ein Prozent der in Italien ankommenden Migranten kam 2016 aus Tunesien. Von Ägypten jedoch machten sich nach Angaben von Sicherheitsbehörden mehr als zehn Prozent der 180.000 auf den Weg. Eine engere Kooperation könnte also kurzfristig Erfolge erzielen – zumal man dem ägyptischen Staat ähnlich wie der Türkei zutraut, dafür zu sorgen, dass die Flüchtlingsboote die Küste erst gar nicht mehr verlassen.

Gleichzeitig gilt Ägypten als Schlüsselstaat in der Region. Das Land ist weiterhin in Aufruhr. Bislang ist es vor allem Transitstaat für Migranten aus Eritrea oder Somalia. Aber was passiert, falls sich die Bürger des bevölkerungsstärksten Staates in Nordafrika selbst in die Boote setzen?

In Berlin bestätigt man die Bemühungen: „Die Bundesregierung strebt mit Ägypten eine engere migrationspolitische Zusammenarbeit an“, teilte das Innenministerium auf Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion mit. In der Antwort, die der „Welt“ vorliegt, heißt es weiter: „Konkrete Maßnahmen“ mit Blick auf die Bekämpfung von Fluchtursachen, die Versorgung von Flüchtlingen oder die Aufnahmebereitschaft abgelehnter ägyptischer Asylbewerber „sollen in enger Abstimmung mit der Europäischen Union und Ägypten entwickelt werden“.

Wie die „Welt“ von EU-Diplomaten erfuhr, die mit der Angelegenheit vertraut sind, wird bereits über konkrete Angebote im Zuge von möglichen Flüchtlingsabkommen gesprochen. Sie werden auch bei Merkels Besuch jetzt beraten werden: Während mit Tunesien eine Visa-Liberalisierung sowie ein Freihandelsabkommen mit der EU diskutiert werden, geht es im Fall von Ägypten neben einer Visa-Liberalisierung für Geschäftsleute und Studenten vor allem um Finanzhilfen für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in dem Land.

Grüne kritisieren al-Sisi wegen Menschenrechtslage

Es wird also verhandelt – und am Ende könnten ähnliche Abkommen stehen wie zuletzt mit der Türkei. Das Land steht rechtsstaatlich zwar am Abgrund; aufgrund seiner geografischen Lage an der EU-Außengrenze ist eine Kooperation gegen illegale Migration aus EU-Sicht aber notwendig. Ähnlich die Situation mit Ägypten, wo man genau weiß, dass Ankara Gelder von bis zu sechs Milliarden Euro für die Kooperation bekommen könnte.

Die Kritik ist jedoch laut. Die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Luise Amtsberg, sagt zum Beispiel: „Die Bundeskanzlerin muss ihren Ägypten-Besuch zum Anlass nehmen, der Regierung al-Sisi gegenüber deutliche Worte zu finden zur menschenrechtlichen Lage im Land.“ Rückführungszentren dort lehnt die Innenexpertin ab. „Abgesehen davon, dass das pauschale Zurückschicken von Schutzsuchenden mit dem Nichtzurückweisungsgebot der Genfer Flüchtlingskonvention unvereinbar ist, gibt es in Ägypten kein Asylsystem“, sagt Amtsberg. „Überdies ist die Regierung al-Sisi nicht annähernd in der Lage, Geflüchteten entsprechend internationalen Standards Schutz zu gewähren.“

Und auch aus den Worten von SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz klingt eine ablehnende Haltung heraus. „Die Flüchtlingsaufnahme auf die nordafrikanischen Staaten abzuschieben, halte ich nicht für umsetzbar“, sagte Schulz der „Passauer Neuen Presse“. Das klingt deutlich.

Den Kern der Debatte verfehlt er dabei jedoch. Denn niemand plant, die im Mittelmeer abgefangenen Migranten in die Hand Tunesiens oder Ägyptens zu geben. Die Lager in dem anvisierten „sicheren Ort“ in Nordafrika sollen nämlich gerade nicht von den jeweiligen Staaten, sondern durch eine internationale Organisation wie das Flüchtlingshilfswerk UNHCR gemanagt werden sollen. Irgendwann einmal.

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