Telepolis | 01.03.2017
Eine Rolle könnte auch die Spekulation mit Lebensmitteln spielen, das aber ist umstritten
Dirk Eckert
Die Hungersnot ist wieder da, diesmal in Ostafrika. Zehntausende Menschen fliehen deshalb inzwischen aus dem Südsudan nach Norden in den Sudan. Das UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR rechnet mit weiteren Flüchtlingen.
Damit erreicht die Staatsgründung Südsudan einen weiteren Tiefpunkt: Erst 2011 unabhängig geworden, hat sich der Traum von nationaler Unabhängigkeit in einen Alptraum verwandelt. In dem Land tobt ein Bürgerkrieg. Seit 2013 bekriegen sich Präsident Salva Kiir und sein ehemaligen Stellvertreter Riek Machar.
Menschen sterben schon an Hunger
Die Welternährungsorganisation FAO, das Welternährungsprogramm WFP und die Kinderhilfsorganisation UNICEF haben inzwischen offiziell eine Hungersnot ausgerufen. Jeremy Hopkins, UNICEF-Vertreter im Südsudan, schätzt, dass mehr als eine Million Kinder mangelernährt ist. 100.000 Menschen litten an Hunger, eine weitere Million Menschen stünde an der Schwelle zur Hungersnot:
Die offizielle Hungersnot-Erklärung bedeutet, dass bereits Menschen an Hunger sterben. Die Lage ist die schlimmste Hungerkatastrophe seit Ausbruch der Kämpfe vor mehr als die Jahren.
FAO
Ursache seien der Bürgerkrieg und die schlechte wirtschaftliche Lage. Mehr als 40 Prozent der südsudanischen Bevölkerung, ca. 5 Millionen Menschen, bräuchten aktuell Nahrungsmittelhilfe. „Die Menschen sind hauptsächlich Bauern und der Krieg hat die Landwirtschaft zerstört“, so der FAO-Vertreter im Südsudan, Serge Tissot. „Sie haben ihr Vieh verloren, manchmal sogar ihre landwirtschaftliches Gerät.“ Durch den Krieg seien Landwirtschaft und Viehzucht zusammengebrochen.
Verhungern am Nil
„Die Hungersnot ist menschengemacht“, sagte auch WFP-Länderdirektor Joyce Luma. Das Welternährungsprogramm habe zwar allein im Jahr 2016 im Südsudan 4 Millionen Menschen mit Nahrungshilfen versorgt, darunter mit Geldzahlungen im Wert von 13,8 Millionen Dollar und mehr als 265.000 Tonnen Nahrung. Aber wenn Frieden und Sicherheit fehlten, seien auch die Möglichkeiten von Hilfsorganisationen begrenzt.
Dass der Hunger im Südsudan vermeidbar wäre, sieht man, wenn man sich vergegenwärtigt, dass der Nil durch das Land fließt. Es wäre also prinzipiell ein Leichtes, entsprechende Bewässerung zu organisieren, damit die Bevölkerung Landwirtschaft betreiben und sich selbst versorgen kann. Zumal der Weiße Nil ausgerechnet durch den Bundesstaat Unity fließt – also genau durch jene Region, in der die Hungersnot herrscht.
Hungerursache Krieg
Bürgerkriege wie im Südsudan führen in Ostafrika immer wieder zu Hungerkrisen. Schaut man sich die Geschichte der Hungernöte an, fällt auf, dass in den vergangenen Jahrzehnten fast ausschließlich Ostafrika betroffen war. Zuletzt wütete 2011 eine Hungerkatastrophe in Somalia, Kenia und Äthiopien. Und auch jetzt sind wieder der Nordosten von Kenia und Somalia bedroht. „Dürre und der Konflikt mit den radikal-religiösen islamischen Al-Shabaab-Milizen führen zu Landflucht und verhindern den Zugang zu Wasser und Lebensmitteln“, so die Hilfsorganisation medico international. „Eine erneute Hungersnot scheint nur eine Frage der Zeit.“
Auch die Kinderhilfsorganisation „Save the Children“ warnt vor einer Katastrophe in Somalia und Somaliland. „Es ist die schlimmste Dürre, die ich seit Jahrzehnten erlebt habe. Die Landschaft ist mit Tierkadavern übersät“, so Hassan Noor Saadi, Länderdirektor von Save the Children in Somalia. „An einigen Orten sehen wir inzwischen auch tote Kamele – normalerweise ein düsteres Vorzeichen, dass auch Menschen sterben werden.“ Im Schnitt mehr als 100 Menschen pro Tag würden über die Grenze nach Äthiopien ins Flüchtlingslager Dollo Ado fliehen.
Papstreise und Krisendiplomatie
Papst Franziskus plant jetzt eine Reise in den Südsudan, zusammen mit dem Oberhaupt der Anglikanischen Kirche. Es werde gerade geprüft, ob eine Reise möglich sei, sagte er am Sonntag in Rom. Das katholische Kirchenoberhaupt will damit die Aufmerksamkeit auf das Land lenken. Aus Sicherheitsgründen wird der Besuch aber wohl nicht mal einen Tag dauern, sagte Franziskus.
Gegenwärtig gibt es auch noch andere afrikanische Länder, die von Hunger bedroht sind: Nigeria, Niger, Kamerun und Tschad. Auch hier ist es ein Krieg, der die Versorgung gefährdet: Die islamistische Gruppe Boko Haram kämpft dort für einen Gottesstaat. Eine internationale Geberkonferenz hat deswegen vergangene Woche in Oslo den betroffenen Ländern 634 Millionen Euro zugesagt.
Haben Finanzmarktspekulationen einen negativen Einfluss auf die Weltmarktpreise für Nahrungsmittel?
Es sind also lokale Probleme, die die Versorgung gefährden, denn auch weltweit sind genügend Nahrungsmittel da. Hier gibt es aber ein anderes Problem, das in den vergangenen Jahren immer größer wurde: die Spekulation mit Lebensmitteln, die nach Ansicht von Kritikern zu Preistreibereiführt, was vor allem die Ärmsten trifft, die auf niedrige Preise angewiesen sind. Markus Henn, Finanzexperte bei der NGO WEED, beschreibt da Problem so:
Wenn der Aktienmarkt eine Spekulationsblase erlebt, ist dies im Wesentlichen ein Problem der AnlegerInnen. Wenn die Blase im Weizenterminmarkt und dann im Weizenmarkt stattfindet, ist es eine Katastrophe für Millionen Menschen.
Markus Henn
Das Europaparlament hat jedoch neulich eine Chance verpasst, die Spekulation einzudämmen. Die nötige Mehrheit gegen strengere Regeln kam nicht zustande, wie Organisationen wie Oxfam kritisierten. Somit gelten die Regulierungsstandards der EU-Kommission vom 1. Dezember 2016. Die Kommission setzte damit die Finanzmarkt-Richtlinie MiFID II um. Demnach darf ein Händler bis zu 35 Prozent eines Rohstoffs am Markt halten. Oxfam und anderen ist das zu viel. Sie hatten gefordert, die Höchstgrenze bei 10 bis 15 Prozent festzulegen – damit nicht nur drei Händler den Markt kontrollieren können.
Oxfam fordert jetzt von den nationalen Behörden, ihren Ermessensspielraum auszunutzen und „angemessene Grenzwerte“ einzuführen, denn ständiges Weiterverkaufen ein und desselben Produkts steigere den Preis. „Nahrungsmittelpreise sind für Millionen Menschen in Entwicklungsländern eine Frage von Leben und Tod. Denn sie geben bis zu 75 Prozent ihres Einkommens für Nahrungsmittel aus. Stabile Preise sind für sie wie auch für Bauern und Bäuerinnen essentiell.“
Umstrittene Thesen
Es gibt allerdings auch Kritiker der NGO-Einschätzung, dass moderne Börsenpraktiken Nahrungsmittel verteuern. So argumentiert Ingo Pies, Professor an der Universität Wittenberg, dass „die schweren Anschuldigen, finanzwirtschaftliche Akteure seien ‚Hungermacher‘ oder ‚Spekulanten des Todes‘, gemessen am aktuellen Erkenntnisstand wissenschaftlicher Forschung als ungerecht(fertigt) zurückgewiesen werden müssen“.
Pies bestreitet nicht, dass Indexfonds vor einigen Jahren begonnen hätten, „sich auf dem Terminmarkt für Agrarrohstoffe zu engagieren. Danach kam es zu starken Preissteigerungen, durch die Lebensmittel global verteuert wurden, so dass von Armut betroffene Menschen in existenzielle Bedrängnis gerieten“. Doch tatsächlich gebe es keinen kausalen Zusammenhang. Vielmehr hätten die starken Preissprünge der Jahre 2007/8 und 2010/11 realwirtschaftliche Ursachen: Wachsender Fleischkonsum in Schwellenländern und die verstärkte Förderung von Biokraftstoffen hätten dazu geführt, dass die Vorräte aufgebraucht wurden.
„Sicherlich muss man nicht so weit gehen, in Indexfonds einen Segen zu sehen. Aber ein Fluch sind sie gewiss nicht. Eher im Gegenteil: Indexfonds erfüllen sinnvolle Funktionen. Sie tragen dazu bei, dass sich Agrarproduzenten gegen das Risiko fallender Preise absichern können.“
Positive Finanzspekulation?
Doch diese These ist ihrerseits stark umstritten. Hans-Heinrich Bass, Professor an der Hochschule Bremen, betont in einer Studie für „foodwatch“ ausdrücklich: „Eine verbesserte Effizienz der Märkte durch das Auftreten von Finanzmarktakteuren auf Nahrungsmittelmärkten wird in großen Teilen der empirischen Literatur in Zweifel gezogen – mit Hinweis auf die Verstärkung rein zufälliger (erratischer) Preisbewegungen und die Entstehung von Preisblasen.“ Bass kritisiert, Ingo Pies hätte im Zusammenhang mit den Preissprüngen der vergangenen Jahre „keine umfassende methodisch-kritische Metastudie vorgelegt“, sondern nur „drei Dutzend Aufsätze anderer Autoren zum Thema Indexspekulation“ ausgewertet:
„Selbstverständlich ist es aller Ehren wert, wenn man im Gestus des ‚Hier stehe ich, ich kann nicht anders‘ auf der Basis seiner Lektüre eine Ansicht vertritt, die im krassen Gegensatz zu der Meinung der Öffentlichkeit (…) steht. Denn der Tatsache, dass eine Meinung von Autoritäten oder Mehrheiten vertreten wird, sollte in der Wissenschaft kein eigener Wert beigemessen werden – anderenfalls gäbe es keinen wissenschaftlichen Fortschritt. Aber nicht jeder, der nach Indien segeln wollte, entdeckte Amerika. Die These, man wisse, dass die Finanzspekulation mit Sicherheit positive Auswirkungen habe, jedenfalls ist aus erkenntnistheoretischer Sicht kühn.“
Diese These sei vielmehr „vermessen“, denn einen wissenschaftlichen Konsens gebe es bislang nicht, so Bass. „Empirische Studien, die sich ausgefeilter Methoden bedienen, kommen tendenziell eher zu dem Schluss, dass Finanzmarktspekulation einen negativen Einfluss auf die Weltmarktpreise für Nahrungsmittel haben kann.“
Zukunft der Ernährung
Unabhängig von Hungerkrisen und Nahrungsmittelspekulation sieht die Welternährungsorganisation FAO aber auch noch andere Probleme bei der Versorgung der Weltbevölkerung. Das bisherige Wachstum gehe nämlich auf Kosten der Umwelt, heißt es in dem neuen Bericht: „Fast die Hälfte der Wälder, die einst die Erde bedeckten, sind weg. Die Grundwasserreserven schwinden rapide. Die Artenvielfalt ist schwer reduziert.“
Wenn der derzeitige Trend anhalte, werden die Kapazitäten des Planeten überstrapaziert, warnt der Report. Die FAO sieht also mit gemischten Gefühlen in die Zukunft: Ja, prinzipiell gebe es genug Nahrung für alle. Und nein, nicht, wenn so weiter produziert werde. Sonst sei das Ziel in Gefahr, bis 2030 chronische Versorgungsunsicherheit und Mangelernährung zu beseitige, das in den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung festgelegt ist. Nötig sei deswegen, die Produktivität zu steigern und ressourcenärmere Produktion zu fördern. „Die große Herausforderung ist, mehr mit weniger zu produzieren“, so die FAO.