25. März 2016 · Kommentare deaktiviert für „Bundespolizei warnt vor Gewalt an geschlossenen Grenzen“ · Kategorien: Balkanroute, Griechenland, Mazedonien

Quelle: Die Welt

Die Bundespolizei befürchtet in der Flüchtlingskrise „gewaltsame Ausschreitungen“ an der griechisch-mazedonischen Grenze. Dass die Balkanroute wirklich dicht ist, widerlegen Zahlen aus Deutschland.

Zwischen den drei Männern aus Damaskus und den mazedonischen Grenzbeamten liegen nur acht Meter und ein Zaun. Ihnen bleibt nur das Starren. „Es muss gut werden, zurück können wir nicht“, sagen sie.

Ein paar Hundert Meter weiter warten weitere 12.000 Migranten auf den Gleisen der Strecke Thessaloniki–Skopje, die durch das Camp führen. Sie wollen nicht in besser ausgestatteten Lagern in Nordgriechenland untergebracht werden. Sie befürchten, dort interniert zu werden. Mit einem Sitzstreik machen sie auf die aussichtslose Situation in dem Lager neben dem Dorf Idomeni aufmerksam.

Ihre Verzweiflung könnte sich bald in einem dritten Grenzsturm entladen, prognostiziert die Bundespolizei: „Trotz des restriktiven Grenzmanagements sind aktuell kaum Ausweichbewegungen festzustellen. Vielmehr zeigt der Versuch, die griechisch-mazedonische Grenze zu ,überrennen‘, dass die Flüchtlinge noch immer auf die Balkanroute setzen. Gewaltsame Ausschreitungen in diesem Zusammenhang werden wahrscheinlicher“, heißt es in einem internen Bericht der Bundespolizei.

Tritt dieses Szenario ein, wäre die deutsche Sicherheitsbehörde selbst betroffen: Die EU-Kommission will in den kommenden beiden Wochen 2400 Beamte aus den Mitgliedsstaaten mobilisieren, um die jüngsten Vereinbarungen mit der Türkei umzusetzen – darunter Beamte der Bundespolizei. Diese prognostiziert auf Grundlage ihrer internen Untersuchung, die am Montag abgeschlossen wurde: „Stabilere Wetterverhältnisse in der Ägäis ab Ende März werden sich begünstigend auf Seewegschleusungen auswirken.“

Davon ist am Donnerstag noch nichts zu spüren. Zum ersten Mal seit Monaten sei in den vergangenen 24 Stunden kein einziger Migrant von der türkischen Ägäisküste zu den griechischen Inseln übergesetzt, teilte am Donnerstag der griechische Stab für die Flüchtlingskrise mit. „Die Ursache ist ein schwerer Sturm, der gestern in unserer Region wütete“, sagte ein Offizier der Küstenwache.

Am Donnerstag nahm die Türkei 76 illegal nach Griechenland gereiste Migranten aus Pakistan, Marokko, Algerien, Tunesien und Bangladesch zurück. Seit Jahresbeginn wurden nach Angaben des Bürgerschutzministeriums in Athen damit 673 Migranten in die Türkei gebracht. Griechenland und die Türkei hatten vor 14 Jahren ein bilaterales Rückführungsabkommen unterzeichnet, das allerdings nur selten angewendet wurde – bis es Anfang März von beiden Staaten neu belebt wurde.

Im Norden Griechenlands blockierten am Mittwochabend Hunderte Flüchtlinge die Autobahn Richtung Mazedonien, bauten Zelte auf und forderten die Öffnung der Grenzen, die sie von ihren Zielländern trennen.

Seit Österreich und die südlich gelegenen Länder Slowenien, Kroatien, Serbien und eben Mazedonien keine Flüchtlinge ohne Papiere mehr einreisen lassen, stauen sich Zehntausende von ihnen nicht nur in Idomeni; 1500 Migranten wurden in Zeltdörfer an der albanischen Grenze gebracht, doch dort bewachen Polizisten die Grenzübergänge, an der grünen Grenze werden allenfalls vereinzelt kleine Grüppchen aufgegriffen.

Die Verantwortlichen in Tirana, Rom und auch in Brüssel befürchten, dass Schmuggler alte Verbindungen über die Adria nutzen könnten, um im großen Stil Menschen aus Albanien nach Italien zu schleusen. Bulgarien bewacht mit Soldaten die Landgrenze zur Türkei.

Fluchtroute nach Deutschland zu? Von wegen

Die Schlussfolgerung, die Balkanroute sei „dicht“, ist allerdings irreführend. Immer noch kommen viele Schutzsuchende in Deutschland an. Zwischen dem 18. und 23. März stellte die Bundespolizei 808 irreguläre Einreisen an den deutschen Grenzen fest, davon 576 in Bayern, wie die Behörde der „Welt“ mitteilte. Als irregulär werden Einreisen von Menschen ohne Papiere oder Visa bezeichnet.

Falls die Asylzuwanderung auf diesem Niveau bliebe, würden in diesem Jahr – die im EU-Türkei-Deal vorgesehenen Kontingentflüchtlinge nicht eingerechnet – mehr als 50.000 Schutzsuchende kommen. Dies entspräche der Größenordnung der Jahre vor 2012, seit dem die Asylanträge jährlich stark angestiegen waren.

Letztere Entwicklung war Ausdruck des Zerfalls des europäischen Asylsystems. Ursprünglich hatten die Europäer im Zuge der mit dem Namen Schengen verbundenen Einführung der Reisefreiheit die sogenannten Dublin-Verordnungen vereinbart: Die Staaten an den Außengrenzen sollten den Schutz derselben übernehmen; irreguläre Migranten sollten dort einen Asylantrag stellen, wo sie erstmals europäischen Boden betraten.

Diese ungleiche Lastenverteilung funktionierte nie vollständig; die Randstaaten der EU waren für die meisten Asylsuchenden nicht Ziel-, sondern Transitländer, wie sich an den jährlichen Asylantragszahlen ablesen ließ.

Wenn die Dublin-Regeln vollständig eingehalten worden wären, hätten im vergangenen Jahr nur 1699 Migranten in Deutschland einen Asylantrag gestellt. Die übrigen etwa eine Million Neuankömmlinge waren bereits in einem sicheren Drittstaat, bevor sie nach Deutschland kamen. „Die Bundespolizei stellte im Jahr 2015 insgesamt 1699 Asylsuchende fest, die nicht über einen sicheren Drittstaat beziehungsweise sicheren Herkunftsstaat nach Deutschland eingereist sind. Die Einreisen erfolgten überwiegend über die Flughäfen und nur zu einem sehr geringen Teil über die Seehäfen“, hatte die Bundespolizei der „Welt“ im Februar auf Anfrage mitgeteilt.

Auf die aus der offensichtlichen Nichteinhaltung der völkerrechtlich bindenden Dublin-Verträge resultierenden Grenzschließungen reagierten die Staats- und Regierungschefs vergangene Woche: Die wegen der Flüchtlingsströme errichteten Grenzkontrollen in Europa sollen enden. Dazu soll vor allem der Aktionsplan zwischen der EU und der Türkei beitragen. Demnach sollen die Europäer alle Flüchtlinge, die in Griechenland ankommen, wieder in die Türkei zurückführen. Im Gegenzug werden die EU-Staaten – außer Polen, Ungarn und der Slowakei – syrische Flüchtlinge direkt aus der Türkei nach Europa holen.

Der Plan soll der Einstieg in ein Flüchtlingsaufnahmesystem über Kontingente und – so die Hoffnung – der Anfang vom Ende der Flüchtlingsaufnahme über irreguläre Migration sein. Szenen wie in Idomeni würden dann der Vergangenheit angehören. Zumindest in Europa.

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