23. März 2016 · Kommentare deaktiviert für Der EU-Türkei–Deal und seine Konsequenzen · Kategorien: Europa, Griechenland, Türkei · Tags: ,

Quelle: bordermonitoring.eu

Nachdem am Freitag, den 18. März 2016 der EU-Türkei-Deal beschlossen wurde, wird er nun mit Hochdruck umgesetzt. In diesem Artikel, den wir laufend aktualisieren werden, verfolgen wir die Umsetzung mit einem groben Fokus auf Griechenland und die Ägäis.

Dienstag, 22. März 2016

Der UNHCR weigert sich auf Lesbos, an der Umsetzung des Deals mitzuwirken. Kritikpunkt ist die Inhaftierung aller Flüchtlinge, die auf Lesbos ankommen […]

Ein Teil der, von den Inseln verteilten Geflüchteten wird auf dem griechischen Festland in Abschiebehaft genommen. 150 Personen afghanischer und pakistanischer Nationalität kamen heute Morgen am Hafen von Pireaus an, wurden in Handschellen von der Fähre geführt und in das Abschiebegefängnis nach Corinth gebracht. Von dort aus sollen sie in die Türkei abgeschoben werden.

Montag, 21. März 2016

Über 3000 Menschen wurden in den letzten zwei Tagen in einer Eilaktion von den Inseln Lesvos und Chios auf das griechische Festland transferiert. Nun, da der herbeigesehnte Deal mit der Türkei endlich festgezurrt ist, soll alles ganz schnell gehen.

Am Freitag, den 18.3.2016, wurde sich beim EU-Türkei Gipfel auf eine 1-1-Umverteilung geeinigt, die vorsieht, für jede/n von Griechenland in die Türkei zurückgewiesen Syrer_in, eine für schutzbedürftig befunden/e Syrer_in aus der Türkei in ein anderes EU-Land umzuverteilen. Der Deal zielt darauf ab, Geflüchtete von Überfahrt auf die griechischen Inseln abzuschrecken und die Ankunftszahlen zu reduzieren. Der Rückschiebe-Umverteilungs-Handel soll am 4.4. starten und umfasst vorerst 18.000 Plätze. Diese sind Teil eines bereits zuvor von der EU verabschiedeten Kontingents, wonach 22.000 Geflüchtete aus den Anrainerstaaten Syriens in die EU umverteilt werden sollten. Statt mit diesem Kontingent Staaten wie Jordanien zu entlasten, nimmt nun der „Gefangenenaustauch“ mit der Türkei die meisten dieser Plätze ein. Weiterhin wurde vereinbart, die Zahl gegebenenfalls um weitere 54.000 Plätze aufzustocken, wonach also insgesamt 72.000 Menschen nach diesem Deal in die Türkei zurückgeschoben und andere dafür aus der Türkei umverteilt werden sollen.

Im Gegenzug wurde der Türkei eine vorgezogene Visafreiheit ab Juni in Aussicht gestellt und die Zahlung weiterer 3 Milliarden bis 2018 (insgesamt also 6 Milliarden) vereinbart.

Der Deal trat am Sonntag, den 20.3. in Kraft. Alle Geflüchteten, die nach diesem Datum auf den griechischen Inseln ankommen, sollen nicht mehr registriert werden und weiterreisen dürfen, sondern in den Hotspots festgehalten werden. Damit werden die Hotspots, wie befürchtet, in eine reine Internierungs-Infrastruktur umgewandelt.

Bereits am Samstag, einen Tag nach der Vereinbarung begann die griechische Regierung die Inseln zu räumen. In einem massiven Polizeieinsatz wurden Menschen auf Lesvos und Chios dazu gezwungen, die Camps zu verlassen und auf Fähren gebracht. Ihre Fährtickets mussten sie trotzdem aus eigener Tasche bezahlen. Eine bereits seit Wochen im Hafen von Mytilini bereit stehende Fähre mit einer Kapazität von 2500 Plätzen, verließ am Sonntag die Insel Lesvos. Die Menschen wurden nach Elefsina (nahe Athen) und Kavala verschifft und sollen von dort aus in Camps verteilt werden.

NGOs und Freiwillige Helfer_innen wurden aufgefordert die Inseln zu verlassen, viele Organisationen packen bereits ihre Sachen, Freiwilligen-Initiativen haben angekündigt die Inseln zu verlassen und auf das griechische Festland umzuziehen. Der UNHCR hat den Bustransport auf Lesvos von den Küsten zum Hotspot „Moria“ eingestellt. Wer jetzt noch ankommt, ist wieder auf sich gestellt. In Moria wurde unterdessen die Registrierungspraxis eingestellt, es laufen Umbauarbeiten, um den Hotspot möglich schnell in ein geschlossenes Abschiebegefängnis umzuwandeln.

Bisher fungierten die sogenannten Hotspots als simple Registrierungszentren, in denen Frontex – im Fall von Moria vor allem deutsche Offiziere – zusammen mit griechischen Behörden eine Identifizierung, Fingerabdrucknahme und Nationalitätenfeststellung vollzog. Eine Security-Maßnahme mit wenig Zeitaufwand, die primär darauf abzielt, alle Ankommenden in den Europäischen Datenbanken zu erfassen. Abhängig von der im Registrierungsprozess zugeordneten Nationalität wird eine Person als potentiell schutzberechtigt oder „illegal“ einkategorisiert. So wurden den meisten Menschen nach der Registrierung ein 30-tägigen Aufenthaltspapier ausgestellt, was sie berechtigt ein Fährticket zu kaufen und durch Griechenland weiterzureisen. Für SyrerInnen war das Papier sechs Monate lang gültig. Pakistaner_innen und Angehörige der Maghreb-Staaten waren von dieser Praxis jedoch grundsätzlich ausgeschlossen und wurden vereinzelt inhaftiert. Ihnen wurde kollektiv das Recht auf Asyl und jegliche Versorgung verwehrt. Seit Anfang des Jahren wurden bereits 608 Personen pakistanischer, marokkanischer, tunesischer und algerischer Nationalität in die Türkei abgeschoben.

Dieses Verfahren soll nun auf alle Ankommenden ausgeweitet werden. Ob dies in der Praxis so umsetzbar ist, hängt davon ab, wie schnell Griechenland die Detention-Plätze in den Hotspots ausbauen kann und ob sich die Menschen durch den Deal tatsächlich von einer Überfahrt abhalten lassen. Am Sonntag kamen trotz Inkrafttretens der Vereinbarung mehrere hundert Menschen auf Lesvos an. Auf Chios landeten am Montag den 21.3. doppelt so viele Boote wie am Vortag. Alle Ankommenden wurden in die jeweiligen Hotspots nach Moria und Vial gebracht und bisher nicht registriert. Der Startschuß für die Rückführungen in die Türkei, der 4. April, liegt jedoch noch zwei Wochen entfernt. Sollten die Ankunftszahlen nicht sinken und weiterhin hunderte Menschen pro Tag ankommen, werden die Kapazitäten nicht ausreichen, um alle Menschen in den Hotspots festzuhalten und schließlich konsequent abzuschieben.

Mit den Verschiffungen der Geflüchteten auf das Festland soll offensichtlich Platz gemacht werden.

Auch zielt es darauf ab, die in den letzten Monaten etablierte Infrastruktur an Hilfsorganisation und das Netzwerk zivilgesellschaftlicher Initiativen von den Inseln zu vertreiben. Die nun zu implementierenden Maßnahmen sollen nicht mehr von Freiwilligen und NGOs begleitet werden, sondern hinter Mauern und Stacheldraht ausschließlich in den Hotspots geschehen. Zu diesem Zweck haben Deutschland und Frankreich die Entsendung von 600 Grenzschützern und Asyl-Experten nach Griechenland angekündigt.

Aktuell befinden sich rund 50.000 Flüchtlinge in Griechenland, und es ist unklar, wie mit ihnen verfahren werden wird.

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