14. März 2016 · Kommentare deaktiviert für „Das Dilemma des UNHCR in der Flüchtlingskrise“ · Kategorien: Balkanroute · Tags:

Qulle: der Standard

Die UN-Organisation soll in der Flüchtlingskrise in der EU zu spät eingegriffen haben. Dabei liegt das gar nicht in ihrem Aufgabenbereich

Josef Hofer ist 27, Salzburger, Behindertenbetreuer und Teil der sogenannten österreichischen „Willkommenskultur“, die in der Flüchtlingskrise zuerst international gelobt wurde und mittlerweile von einigen Seiten als naiv kritisiert wird. Er fuhr im Herbst 2015 als Freiwilliger nach Budapest, um Flüchtlinge in Eigenregie nach Österreich zu befördern. Und er überlegte nicht lange, als er von den Ereignissen im ungarischen Röszke erfuhr.

Dort, nahe der Grenze zu Serbien, waren vergangenen September tausende Schutzsuchende von den ungarischen Behörden unter laut Augenzeugen unmenschlichen Bedingungen untergebracht worden. Hofer packte als einer der zahlreichen Freiwilligen an, denn es fehlte an allen Ecken und Enden – auch an den großen Hilfsorganisationen. Rotes Kreuz, Ärzte ohne Grenzen, UNHCR: Die ganzen Big Player der humanitären Hilfe trudelten erst langsam ein. Bis dahin, sagt Hofer, hatten sich die Freiwilligen notgedrungen schon selbst organisiert.

Schließlich ging der Salzburger zu einer Vertreterin des UN-Flüchtlingshochkommissariats und bat um ein Meeting: „Wir wollten ein Treffen organisieren, um uns besser zu koordinieren.“ Die Frau von UNHCR schien hocherfreut über das Angebot zu sein, notierte sich Josef Hofers Nummer – und rief nie an.

Beschwerden in der Ägäis

Es ist nur eine kleine Anekdote in diesem gigantischen Themenkomplex Flüchtlinge. Sie wäre vernachlässigbar, wäre sie nicht Teil einer stattlichen Anzahl an Beschwerden, die an UNHCR adressiert sind. Sie betreffen auch die griechischen Ägäis-Inseln, dort, wo zigtausende aus der Türkei kommende Flüchtlinge zum ersten Mal EU-Territorium betreten. UNHCR beobachte, trage aber kaum etwas zur Linderung des Leids bei, schrieb etwa ein freiwilliger Helfer Ende des vergangenen Jahres auf Facebook.

„Wir sind hier in der EU, wir dürften hier gar nicht gebraucht werden“, entgegnete damals Aikaterini Kitidi, die für UNHCR auf Lesbos tätig war. Und brachte damit das ganze Dilemma auf einen Punkt: Wieso sollte eine UN-Organisation, noch dazu chronisch unterfinanziert, in der Europäischen Union operativ tätig sein? „Wir dachten lange Zeit: ‚Das muss Europa allein schaffen können.'“ Doch Europa belehrte Christoph Pinter eines Besseren. Der Leiter des UNHCR-Büros in Wien versucht, mit seinen sieben bis zehn Mitarbeitern den rechtlichen Flüchtlingsschutz in Österreich sicherzustellen.

Plötzlich operativ tätig

Ähnlich groß war lange Zeit auch das griechische Büro in Athen. Humanitäre Hilfe leistet die UN-Organisation vor allem in Asien und Afrika. Nun aber, im Angesicht der Notlage auf den Ägäis-Inseln, wurde UNHCR Griechenland binnen weniger Monate von einer Mission mit einer rein anwaltschaftlichen Aufgabe zu einer operativen Operation mit mehr als 100 Mitarbeitern umfunktioniert. Auch in anderen Ländern entlang der Balkanroute hat man längst umgesattelt auf humanitäre Hilfe. Aber wer weiß, wo sich die nächste Notsituation auftut, jetzt wo die Balkanroute geschlossen wurde?

„UNHCR ist gefangen in der Position, permanent antizipieren zu müssen, was als Nächstes kommt, und das in einer Zeit, in der sich alles kontinuierlich ändert“, sagt Demetrios Papademetriou, Präsident des Migration Policy Institute in Washington. „Wer hätte im April gedacht, dass statt des zentralen Mittelmeers nun die Ägäis im Mittelpunkt steht?“

Neben der Leistung humanitärer Hilfe in der EU hat UNHCR auch seine europäische Struktur den aktuellen Entwicklungen angepasst. Zuvor waren die nationalen Büros den Regionalvertretungen unterstellt – Brüssel ist etwa für Westeuropa und damit auch für Österreich zuständig. Diese berichten Europa-Direktor Vincent Cochetel, der sich gegenüber dem UNHCR-Kommissar verantworten muss – seit 1. Jänner der Italiener Filippo Grandi. Nun aber fungiert der Europa-Direktor auch als Flüchtlingskoordinator. „Von der Türkei bis nach Deutschland wurden die Länder entlang dieser Route aus den regulären Strukturen herausgenommen und berichten direkt dem Flüchtlingskoordinator“, erklärt Christoph Pinter.

Auf Spenden angewiesen

Dies löst allerdings nicht das mit Abstand größte Problem von UNHCR: die Finanzierung. Zwei Prozent des Jahresbudgets werden von der Uno für Verwaltungszwecke zur Verfügung gestellt. Den Rest muss das Flüchtlingshochkommissariat selbst durch Spenden aufbringen – von NGOs, Stiftungen, Unternehmen, aber vor allem von Staaten. Daher ist Fundraising eine essenzielle Aufgabe der nationalen UNHCR-Büros. Österreich befand sich für das Jahr 2015 mit 3,7 Millionen Euro auf Platz 39 in der Spenderliste (siehe Grafik). „Bei der wirtschaftlichen Kraft des Landes gibt es sicherlich Potenzial, um mehr zu geben“, sagt Pinter.

Auch abseits österreichischer Sparsamkeit fehlt es bei UNHCR seit Jahren an Geld. Vom geplanten Budget für 2015 – knapp 6,3 Milliarden Euro, um sämtliche Aktivitäten zu finanzieren – konnte nicht einmal die Hälfte eingesammelt werden. Und auch wenn angesichts der aktuellen Lage immer wieder spontan Gelder zugeschossen oder zumindest versprochen werden – zuletzt waren es neun Milliarden Euro bei einer Geberkonferenz für Syrien -, muss UNHCR regelmäßig humanitäre Hilfsprojekte beenden. „Für alles, was über Lebensrettung hinausgeht – etwa Traumabehandlung für Kinder und Frauen -, reicht das Geld nicht“, sagt Udo Janz, ehemaliger Direktor des UNHCR-Büros in New York.

„Niemand kann genug tun“

„Wir kommen jetzt mal über den Winter“, sagt Christoph Pinter über die Lage im Nahen Osten – um gleichzeitig darauf hinzuweisen, dass die Krisen etwa im Kongo oder im Südsudan nicht verschwinden. „Das bereitet uns Sorgen, dass sich keiner mehr dafür interessiert, wenn große Geberländer selbst von der Flüchtlingskrise betroffen sind und sich dann zuerst darum kümmern.“

Für Demetrios Papademetriou ist die Botschaft für alle Länder angesichts dieser Notlage klar: „Steckt die Hände in die Tasche und leistet einen substanziellen Beitrag, um den Menschen in der Krisenregion zu helfen.“ Erst dann werden sie von einer Flucht nach Europa absehen, wenn sie sich in den Ländern rund um Syrien so etwas wie ein Leben aufbauen und eine Zukunft vorstellen können.

Und zur Kritik an der Arbeit von UNHCR meint Papademetriou: „Es ist unfair zu sagen, UNHCR tue zu wenig. Niemand kann hier genug tun.“

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