13. März 2016 · Kommentare deaktiviert für „Die Unsichtbaren von Tempelhof“ · Kategorien: Deutschland · Tags:

Quelle: rbb

Berlins größte Flüchtlingsnotunterkunft ist in Tempelhof. Etwa 2.000 Menschen leben in den Hangars des ehemaligen Flughafens. Und nach den Plänen des Senats sollen künftig noch Tausende mehr dort untergebracht werden. Das verändert den Kiez um die Notunterkunft – oder auch nicht?

Von Nina Amin

Im U-Bahnhof Platz der Luftbrücke ist deutlich mehr Betrieb, seit die Notunterkunft da ist. „Das ist hier voll wie Friedrichstraße“, murmelt ein genervter Rentner, der auf die Bahn wartet. Familien mit kleinen Kindern, Gruppen junger Männer, Frauen mit modisch geschwungenen Kopftüchern – besonders am Morgen und am späten Nachmittag ist reger Fußverkehr zwischen U-Bahn und den Hangar-Eingängen am Columbiadamm. Im Kiez zwischen Dudenstraße und Tempelhofer Damm kriegen die Tempelhofer hingegen wenig mit von der Notunterkunft.

Flüchtlingsunterkünfte im Hanger

© Adrienne Gerhäuser

„Es ist einfach die andere Straßenseite“

In der Apotheke am Flughafen in der Manfred-von-Richthofen-Straße gibt Inhaber Alexander Göttlich seinen Kunden Tipps für die Grippezeit. „Die Beratung ist am schwierigsten, wenn Kunden aus den Hangars kommen“, meint der Apotheker. Erkennen würde er sie an der Rezeptadresse und daran, dass sie kein Deutsch sprechen. „Wir haben uns ein Übersetzungsbuch gekauft, in dem die wichtigsten Fragen, Krankheiten und Körperteile ins Arabische und Persische übersetzt sind.“

Göttlich findet, dass die Geflüchteten angenehme Kunden sind. „Die meisten sind geduldig, versuchen sich in ihrer Sprache irgendwie verständlich zu machen“. Allerdings wundert sich der Apotheker, dass nicht mehr aus den Hangars zu ihm kommen. „Pro Woche kommen zehn bis 15 Leute, das ist bei fast 2.000 Bewohner nicht viel“, findet Göttlich. „Es ist einfach die andere Straßenseite. Die meisten steigen direkt in die U-Bahn und fahren weg. In unseren Kiez kommen wenige.“

Umsatz bei Handykarten sprunghaft angestiegen

Niyazi Kanal arbeitet im „Surf Point“ gegenüber dem U-Bahn-Eingang. In dem Laden werden Prepaid-Karten für Handys verkauft. „Wir verkaufen mindestens doppelt so viele Karten wie früher und müssen fast wöchentlich Nachschub bestellen“, sagt der junge Deutsch-Türke. Das einzige Problem sei die Verständigung. Manche sprechen Englisch, manche Türkisch. Dann geht’s.

„Aber einmal aber wir einen nicht verstanden, der uns daraufhin die Karten wütend vor die Füße geschmissen hat. Da mussten wir ihm erstmal klarmachen, dass man sich so hier nicht benimmt“, sagt der Filialmitarbeiter. Das sei aber eine Ausnahme gewesen. „Die meisten sind ok.“

„Für uns sind die Flüchtlinge unsichtbar“

Jenseits des Tempelhofer Damms stehen Reihenhäuser mit großen Gärten. In die sogenannte Fliegersiedlung verirrt sich kaum ein Hangar-Bewohner. Ulrike Hoffmann lebt seit 30 Jahren in der idyllischen Wohngegend. „Für uns sind die Flüchtlinge unsichtbar, dabei sind es unsere Nachbarn. Viele in der Siedlung wollen helfen“, meint die Rentnerin.

Mittwochs geht sie deshalb ins Gemeindehaus der evangelischen Paulus-Kirchengemeinde. Die „Kochgruppe“ der Gemeinde holt einmal die Woche Frauen und Kinder aus dem Hangar ab, beim türkischen Gemüsemarkt wird gemeinsam eingekauft, in der Gemeindeküche gekocht.

An diesem Nachmittag sind es überwiegend junge Afghaninnen. Sie stürzen sich direkt in die Küche. Deutsch können sie kaum. Dass sie sich sehr freuen, endlich mal wieder kochen zu können, ist aber nicht zu übersehen. In der Notunterkunft wird das Essen geliefert. Schmecken tut es kaum jemandem. Die jungen Frauen bedanken sich immer wieder bei den anwesenden Gemeindemitgliedern, die lächelnd zusehen.

„Lohnt es sich im Viertel zu investieren? Jetzt, da die Flüchtlinge hier sind“

Die „Fliegersiedlung“ ist sehr begehrt bei jungen Familien. Die Immobilienpreise sind in den letzten Jahren stark gestiegen. „Ein Bekannter fragte mich letztens, ob es sich noch lohnt im Viertel zu investieren. Jetzt, da die Flüchtlinge hier sind“, sagt Herwig Schirmer. Der Pensionär lebt seit Jahrzehnten in der Siedlung, engagiert sich auch für Geflüchtete. „Ich habe ihm gesagt, dass er sich wegen der Flüchtlinge keine Sorgen machen soll, eher wegen der zu hohen Preise“, schmunzelt Schirmer.

Sicher, es gebe in der Nachbarschaft auch starke Vorbehalte gegen die Menschen in den Hangars. „Einige alteingesessene Nachbarn wollen ihre Häuser ja auch nicht an Türken verkaufen. Obwohl sie keinen einzigen Türken kennen.“ Die Angst sei diffus, vor allem Unbekannten.

Aktionen wie das Kochen mit den Frauen aus der Notunterkunft helfen Vorurteile abzubauen. Schirmer hofft, dass im Sommer mehr Familien aus den Hangars in die Siedlung kommen. „Wir haben hier auch Spielplätze.“

Döner-Verkäufer hofft auf den Sommer

Auf den Sommer freut sich auch Sedat Küçükoglu. An seinem Döner-Stand schräg gegenüber der ehemaligen Flughafen-Ankunftshalle steht auf arabisch groß „Halal“. Seine nach islamischen Speisevorschriften zubereiteten Dönerspieße können Muslime ohne Bedenken essen. „Nach der Eröffnung der Notunterkunft hatte ich mehr Kundschaft aus den Hangars erwartet. Einige kommen, aber die essen meistens nur Pommes im Brot“. Das sei billiger. Küçükoglu blickt entspannt auf die nächsten Monate. „Im Sommer kommen bestimmt mehr. Die sind die Kälte ja nicht gewohnt.“

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