11. März 2016 · Kommentare deaktiviert für „Ziel der EU-Politik ist Flüchtlingsabwehr“ · Kategorien: Deutschland, Europa · Tags:

Quelle: Telepolis

Peter Nowak

Wenn so viel von einer europäischen Lösung in der Flüchtlingsfrage die Rede ist, hat das nichts mit Humanität und Wilkommenskultur zu tun

Besser kann man den Hegemonieverlust Deutschlands in der EU nicht dokumentieren. Am Montag hieß es, dass Merkel auf dem EU-Gipfel zur Flüchtlingskrise einen Passus in der Abschlusserklärung verhindert hat, der eine Schließung der Balkanroute festschreiben sollte. Es waren vor allem ost- und südosteuropäische Staaten, die darauf drängten. Nun haben diese Staaten die Balkanroute zumindest kurzfristig einfach ohne den Passus in der Erklärung dichtgemacht.

Für Angela Merkel mag es ein Affront sein, für die griechische Regierung eine Brüskierung. Für Tausende von Migranten, die in Griechenland gestrandet sind, ist diese Entwicklung aber eine Katastrophe. Schließlich haben sie und ihre Angehörigen oft viel Geld ausgegeben, um in den europäischen Kernländern ein besseres Leben zu beginnen. Nun sollen sie in Griechenland bleiben oder sogar wieder zurückgeschickt werden.

Doch bei der Auseinandersetzung um die Schließung Balkanroute ging es nie um den Kampf zwischen einer humanistischen Willkommenskultur versus einer harten Abschreckungspolitik, wie es die Freunde und Gegner von Merkel immer wieder behaupten. Auch nach dem Gipfel wiederholten sie, dass Merkel angeblich für die Humanität gekämpft hat. Da ist die Einschätzung der globalisierungskritischen Organisation Attac schon realitätsnäher, wenn sie als Ergebnis des Gipfels zusammenfasst:

„Merkel treibt hinter den Kulissen Abschottung Europas voran. Die Grenzen entlang der Balkanroute sind nahezu dicht. Nun sollen Flüchtlinge, die es unter Lebensgefahr über das Meer nach Griechenland geschafft haben, in die Türkei zurückgeschickt werden“, erklärt Attac-Sprecher Thomas Eberhardt-Köster.

Auch zahlreiche Flüchtlingsorganisationen sehen in den Plänen, die Türkei zum Vorposten der Festung Europas zu machen, einen Verstoß gegen internationale Regelungen. Dabei wird besonders auf die autoritäre Verfasstheit des Erdogan-Regimes verwiesen. Tatsächlich wird im Umgang mit der Türkei besonders prägnant deutlich, dass die europäischen Werte nichts weiter als die Bemäntelung einer EU-Interessenpolitik sind.

Dabei ist die viel zitierte „europäische Lösung“ in der Flüchtlingspolitik, die vor allem Merkel in den letzten Wochen immer wieder betonte, genau diesen Vorgaben verpflichtet. In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift für Bürgerrechte & Polizei Cilip mit dem Schwerpunktthema Europas Staatsgewalten gegen Migration haben mehrere Autorinnen und Autoren klar herausgearbeitet, wie die EU-Politik seit Jahren gegen Migranten gerichtet ist. Bereits in der Einleitung skizziert der Publizist Heiner Busch die EU-Abschreckungspolitik gegen Migranten in den letzten Jahren, die ohne die Hilfe von Staaten jenseits der EU nicht möglich geworden.

„Das war in den 1990er Jahren so, als Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn zu Pufferstaaten gemacht wurden bzw. sich machen ließen. Das geschah in den 2000er Jahren, als die Staaten des Maghreb diese Rolle im Mittelmeer übernahmen. Die gegenwärtige diplomatische Offensive richtet sich sowohl an die Transitländer als auch an die Herkunftsländer derjenigen, denen die EU keinen Schutz gewähren will. Die Ziele und Mittel sind weitgehend die gleichen wie in früheren Phasen: Von den Partnern wird erwartet, dass sie Rückführungsabkommen mit der EU abschließen und diese dann auch einhalten“, resümiert Heiner Busch.

Dabei scheinen sich nur noch wenige daran zu erinnern, dass damals die deutsch-polnische Grenze eine Gefahren- und manchmal auch eine Todeszone für Migranten war. Die Antirassistische Initiative Berlin hat ihre alljährlich aktualisierte Dokumentation der bundesdeutschen Flüchtlingspolitik und ihrer tödlichen Folgen schließlich begonnen, als Migranten aus Asien in der Neiße ertrunken waren und ihre Angehörigen diese suchten.

Zur Flüchtlingsabwehr hatte die EU auch Verträge mit Libyen unter Gaddafi abgeschlossen. Er verpflichtete sich, Migranten aus Afrika festzuhalten. Nach Angaben von Betroffenen hatten sie aber damals dort ein leidlich gutes Auskommen. Bedrohlich wurde ihre Lage erst nach dem Sturz von Gaddafi. Denn die neuen Eliten, die nun um die Macht im Land stritten, warfen Gaddafi vor, sich zu stark panafrikanisch ausgerichtet zu haben und auch im Innern keine explizit gegen Schwarzafrikaner gerichtete Politik gemacht zu haben. Das änderte sich mit dem Sturz.

Viele der dann aus Libyen Geflüchteten schlossen sich in der Gruppe Lampedusa in Hamburg und Lampedusa in Berlin zusammen, kämpften in Deutschland um ihre Rechte und berichteten differenziert über ihre Erlebnisse in Libyen, die sich von den Horrorberichten über die Gaddafi-Herrschaft doch unterschieden.

Wenn aus Flüchtlingshelfern Schlepper werden

Was die unterschiedlichen Beiträge des Cilip-Heftes verdeutlichen, sind die jahrelangen umfangreichen Bemühungen der EU, sich gegen Migranten abzuschotten. Dafür wird die Grenzschutzorganisation Frontex ebenso ausgebaut, wie die Aktionspläne gegen sogenannte Schlepper, über die der Publizist Matthias Monroy berichtet. Er zeigt an zahlreichen Beispielen auf, wie aus Fluchthelfern Schlepper werden, die dann auch juristisch verfolgt werden.

So haben die österreichische und die deutsche Justiz Ermittlungen gegen Menschen aufgenommen, die Migranten im Rahmen eines Refugee-Convois über die Grenze geleitet hatten. Auch die Webseite Fluchthelfer.In, die vom Peng-Kollektiv initiiert wird, ist Gegenstand juristischer Ermittlungen geworden. In den letzten Wochen wird gegen Rettungsschwimmer ermittelt, die in Griechenland Migranten vor dem Ertrinken bewahrt haben.

Hier zieht sich eine Linie der Repression gegen Menschen, die die Festung Europa etwas durchlässiger machen wollen. Monroy zeigt auch auf, das mittlerweile die Internetseiten, auf denen sich Migranten für ihren Transit Informationen holen, im Visier der Ermittler sind. Zudem wachsen die Datenbanken, in denen vermeintliche Fluchthelfer gespeichert sind. In anderen Datenbanken werden Informationen über die Migranten gesammelt.

Auch diese Maßnahmen dienen der Flüchtlingsabwehr. Die Beiträge in der Cilip machen noch einmal deutlich, dass die europäische Lösung in der Flüchtlingsfrage sich nur graduell vom Modell Orbán unterscheidet. Merkel will die Grenze möglichst aus dem Schengenraum nach Außen verlagern. Hier bestehen auch die Differenzen zwischen ihr und einigen südosteuropäischen Staaten. Doch das gemeinsame Ziel, Flüchtlinge aus Europa rauszuhalten, teilen beide Seiten.

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