23. April 2015 · Kommentare deaktiviert für »Der verantwortliche Seemann wird unter Druck gesetzt« – jw · Kategorien: Mittelmeer · Tags:

junge Welt

Die Reederei Hapag-Lloyd fordert ihre Kapitäne auf, bei Seenotfällen besser auf Distanz zu bleiben.

Ein Gespräch mit Heike Proske ***

Interview: Burkhard Ilschner

Sie kennen das Rundschreiben, in dem Hapag-Lloyd seine Kapitäne verklausuliert auffordert, bei Sichtung von Flüchtlingsbooten nicht so genau hinzuschauen – was empfinden Sie angesichts solcher Botschaften?

Aufmerksamkeit ist auf See nicht einfach nur selbstverständlich, sondern überlebensnotwendig. Wird diese Aufmerksamkeit durch verordnete Vorsicht eingeschränkt, geht es an die Grundlagen des Überlebens: Denn wer wüsste es besser als Seeleute, dass sie selbst in Seenot geraten können und dann selbstverständlich ohne Verzögerung gerettet werden wollen und müssen. Eine Rückfrage bei der Reederei kann daher Seeleute durchaus in einen inneren Konflikt stürzen: Retten wie gewohnt und dann vielleicht dem Arbeitgeber begründen müssen, warum dies eine lebensbedrohende Situation war – oder nachfragen, abwarten und die Konsequenzen mit sich selbst ausmachen müssen? Der verantwortliche Seemann an Bord wird unter Druck gesetzt, weil Staaten und Politik bislang keine adäquate, humane Problemlösung gefunden haben, finden wollen.

Ist dieses Schreiben Ihrer Kenntnis nach ein Ausnahmefall oder sind Ihnen vergleichbare Appelle anderer Reeder bekannt?

Bisher haben wir in der Seemannsmission derartige Aussagen nur in vertraulichen Gesprächen mit Seeleuten zu hören bekommen: Wenn sie im Mittelmeer unterwegs sind, müssen sie jeden Tag mit ansehen, was sich dort abspielt. Sie beginnen an sich und ihrer Motivation für die Schiffahrt zu zweifeln und wollen über diesen Zwiespalt reden.

Können Sie, dürfen Sie an einem Beispiel darstellen, wie sich das äußert?

Ich darf natürlich keine Details nennen – aber vor kurzem erhielt ich einen Anruf von einem Seemann aus Malta, der mich über Wochen beschäftigt hat: »Kann ich mit Ihnen reden? Seit drei Monaten fahre ich im Mittelmeer – aber ich halte es nicht mehr aus. Immer wieder sehen wir vom Schiff aus Dinge im Meer treiben: kleine Holzplanken von Booten, Kleidung, heute waren es Kinderrucksäcke! Ich habe laut gerufen: Gott, mach, dass ich nicht über ein Kind gefahren bin! Dabei bin ich überhaupt nicht gläubig.« Immer wieder brach seine Stimme ab, ich kam kaum dazwischen. Schließlich bedankte er sich fürs Zuhören: »Nun weiß ich, dass ich doch noch ein Mensch bin!« Anrufe dieser Art erhalten wir wenige, aber wir führen an Bord und in den Seemannsclubs viele solche Gespräche – immer unter vier Augen – und bekommen viele E-Mails.

Sind Ihnen aus solchen Gesprächen Erfahrungen bekannt, wie an Bord von Handelsschiffen die Begegnung mit Flüchtlingsbooten gehandhabt wird?

Solange die Rettungsaktion »Mare Nostrum« lief, ließ sich meist eine gute Lösung finden: Reedereien kümmerten sich schnell und unbürokratisch darum, dass aufgenommene Flüchtlinge in entsprechende Camps kamen. Zur Zeit werden die Schiffe und – wie geschildert – ihre Besatzungen mit dem Problem oft allein gelassen.

Wie beurteilen Sie Äußerungen etwa des Bundesinnenministers, dass die Aufnahme zu vieler Flüchtlinge »Beihilfe für das Schlepperunwesen« bedeutet?

Die Aufnahme von Flüchtlingen gehört grundlegend zu Menschlichkeit und Würde. Das hat nichts mit Schleppern zu tun. Schwarze Schafe sind nicht die Regel. Strukturen zur Aufnahme von Flüchtlingen in deren Zielländern müssen genauso geschaffen werden wie Veränderungen in ihren Herkunftsländern unerlässlich sind als Beitrag, ihnen das Bleiben zu ermöglichen.

Was müsste nach Ihrer Auffassung geschehen, um eine humane europäische Flüchtlingspolitik zu etablieren?

Bezüglich der Flüchtlingsproblematik insgesamt sind andere berufener; mir geht es um die Seeleute: Sie sind – mal wieder! – die schwächsten Glieder in der Kette, weil sie den Flüchtlingen direkt und als erste begegnen; weil sie das Thema im wahrsten Sinne des Wortes vor Augen haben, weil sie diese Erfahrungen nie mehr aus ihrem Leben ausblenden können. Was in der Politik nicht geregelt wird, das müssen die Seeleute ausbaden.

 

*** Pfarrerin Heike Proske ist Generalsekretärin der Deutschen Seemannsmission, die seit mehr als 100 Jahren über alle Glaubensformen, Religionen und Kulturen hinweg Fürsorge für Besatzungen von Handelsschiffen gewährleistet.

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