20. April 2015 · Kommentare deaktiviert für Wer darf retten? Wer darf sterbenlassen? Staatsraison in ARD · Kategorien: Alarm Phone, Italien, Libyen · Tags: , ,

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TV-Kritik: Günther Jauch Todesfalle Mittelmeer: „[…] Die deutsche Handels- und Kriegsmarine bewältigte gegen Ende des Zweiten Weltkrieges die wahrscheinlich größte Evakuierungsaktion in der Geschichte der Menschheit. Mitten im Krieg gelangten so 2,4 Millionen Menschen aus dem früheren deutschen Osten in den Westen. Dabei gingen 245 Schiffe mit 40.000 Passagieren verloren. So zynisch es klingt: Die Flucht über das Mittelmeer ist heute, statistisch betrachtet, wesentlich riskanter als die über die Ostsee im Jahr 1945. […] Europa wird seine Seele verlieren, wenn es noch nicht einmal das leisten kann, was ein verbrecherischer Staat wie das Naziregime in der Ostsee zu leisten vermochte. Oder will man diese Aufgabe wirklich gutwilligen, aber verantwortungslosen Amateuren wie Harald Höppner überlassen?

Der Brandenburger kaufte ein 100 Jahre altes Schiff, um in den kommenden Wochen vor Libyen zu kreuzen. Sein Ziel ist es nicht, Schiffbrüchige zu retten, wie er sagt. Er will nicht in den Verdacht geraten, selber ein Schlepper zu werden. Nur glaubt er wirklich, dieses Seegebiet mit seinen Möglichkeiten besser überwachen zu können als die europäischen See- und Luftstreitkräfte? Was will er mit seinem Kahn eigentlich machen, wenn er tatsächlich auf eines dieser Flüchtlingsschiffe trifft? Abdrehen und den Journalisten an Bord einen Artikel schreiben lassen? Die hunderte Flüchtlinge an Bord eines Seelenverkäufers werden im Ernstfall alles versuchen, sein Boot zu erreichen, um sich selber zu retten. Die möglichen Konsequenzen scheinen ihm nicht bewusst zu sein, oder Höppner ignoriert das schlicht.

Er zwang aber den überraschten Jauch zu einer Gedenkminute für die Flüchtlinge, die vorgestern Nacht ums Leben gekommen waren. Solche Rituale dienen der Trauer über ein die Menschen bewegendes Ereignis. Davon kann trotz der befürchteten 700 Tote nicht mehr die Rede sein. Die „Todesfalle Mittelmeer“ ist zum europäischen Alltag geworden. Über seine Motivation gab Höppner folgende Auskunft: „Wir wollen diese Menschen retten. Da gibt es nichts zu diskutieren.“ Nichts ist falscher als das. Man sollte lediglich damit anfangen, in dieser Debatte auf allen Seiten ehrlicher zu werden. Dann wäre viel gewonnen. Tatsächlich droht die Gefahr für diese europäische Diskussion von anderer Seite: Man gewöhnt sich allmählich daran, das Mittelmeer im Jahr 2015 für gefährlicher zu halten als die Ostsee 1945. Das ist der eigentliche Skandal. […]

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