05. Juli 2017 · Kommentare deaktiviert für UNHCR-Libyen-Bericht Die Schlepper und ihre „Kunden“ · Kategorien: Afrika, Libyen · Tags: ,

ARD Tagesschau | 04.07.2017

„All-Inclusive“ oder doch lieber das „Schritt-für-Schritt“-Angebot? Das eine ist teuer, das andere beinhaltet die Gefahr, als Geisel zu enden. Ein aktueller UNHCR-Bericht beschreibt, wie Flüchtlinge in Libyen von Schleppern ausgebeutet werden.

Von Sebastian Schöbel, ARD-Studio Brüssel

Junge Männer, wohl aus Eritrea und Somalia, zwängen sich verzweifelt durch winzige Löcher in einem schäbigen Barackenbau, um an einen Bissen Brot zu kommen. Viele schaffen es nicht, sie schreien stattdessen durch die Gitterstäbe ihres Gefängnisses.

Es ist das Leben von Tausenden afrikanischen Flüchtlingen in Libyen – präsentiert von denen, die versprochen haben, sie nach Europa zu bringen: Schlepperbanden filmen das Elend ihrer Opfer, laden es auf YouTube oder in sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter hoch. Und es gibt Schlimmeres: Flüchtlinge, die an Händen und Füßen gefesselt mit Stangen und Kabeln ausgepeitscht werden – für Lösegeld, das in die Tausende US-Dollar geht.

„All-Inclusive“ vs. „Individual-Paket“

Videos wie diese hält das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, UNHCR, für authentisch. Eine Masche der Schlepper, um noch mehr Geld aus ihren „Kunden“ zu quetschen, sagt Marie-Cecile Darmé. Sie hat die Situation in Libyen für die UN analysiert. Doch nicht alle Migranten müssten durch diese Hölle gehen, sagt Darmé. Die Schmuggler bieten zwei Möglichkeiten an. Option eins – das Rundum-Paket, ähnlich einem Reiseangebot. „Das Schmugglernetzwerk kümmert sich um alles und bringt sie bis zum Boot an der libyschen Küste oder zum Teil sogar nach Europa und dort bis zum Zug, bis nach Deutschland.“ Das koste zwischen fünf- und zehntausend US-Dollar.

Bezahlt wird meist durch Familienangehörige im Ausland, vor allem in Europa, per Überweisung. Und zwar auch auf Konten europäischer Banken, so Darmé. Geheim sei das nicht, die Kontonummern kenne man. Leisten könne sich das jedoch kaum ein Flüchtling.

Die meisten würden stattdessen das Schritt-für-Schritt-Paket kaufen, für rund 1000 Dollar. Eine lange, beschwerliche Reise mit vielen Zwischenstopps, wechselnden und teils rivalisierenden Schmugglernetzwerken und der ständigen Gefahr, als Geisel zu enden.

Vom Meer in die Wüste

Jüngste Maßnahmen der EU, über Partnerschaften mit den Regierungen in Ländern wie Mali oder Niger die Routen der Migranten zu unterbrechen, würden die Sache noch viel schlimmer machen, sagt Darmé: „Dann wird das Geschäft noch geheimer abgewickelt. Geschmuggelt werden die Leute trotzdem, nur eben über neue, gefährlichere Routen durch die Wüste, wo es oft tagelang kein Wasser gibt.“ Das sei einfach kontraproduktiv. „Man kann nicht einfach nur Grenzen schließen wollen.“

Die meisten Flüchtlinge kommen über Niger, Sudan, Tschad und Algerien nach Libyen. Wie viele es insgesamt sind, weiß niemand genau – mehr als 180.000 Menschen kamen jedoch über das Mittelmeer nach Europa.

Das ist aber längst nicht das Ziel aller Flüchtlinge in Libyen: Laut UNHCR würde etwa die Hälfte gar nicht nach Europa wollen, sondern trotz der Lage lieber in Libyen bleiben. Das Schleppergeschäft sei hoch flexibel, erklärt Darmé. Die Fluchtrouten in Libyen passten sich ständig den Gegebenheiten an, während die Preise konstant stiegen. Immer öfter seien bewaffnete Milizen beteiligt, zum Teil auch libysche Sicherheitskräfte.

Den Geldströmen folgen

Die Boote würden nun fast alle von den Stränden rund um die Hauptstadt Tripolis abfahren – vorbei an europäischen Frachtschiffen, die weiter Handel mit Libyen treiben. Auf dem Mittelmeer würden sie aber schon mal SOS-Signale der Flüchtlingsboote ignorieren, kritisiert Eugenio Ambrosi von der Internationalen Organisation für Migration.

Besonders makaber: Die später heillos überfüllten Gummiboote würden immer häufiger von europäischen Unternehmen an die Schmuggler geliefert. „Wir müssen noch mehr dem Geld nachgehen, statt einzelne Leute zu verhaften. Wenn wir die Finanzströme unterbrechen, treffen wir die Schmugglernetzwerke viel effektiver und unterbinden diese Verbrechen“, so Ambrosi.

Das UN-Flüchtlingshilfswerk plant nun, verstärkt im Süden Libyens aktiv zu werden, um Flüchtlinge möglichst frühzeitig versorgen zu können. Von der Europäischen Union fordern die Helfer, dass sich die EU-Missionen in Niger und Mali verstärkt an der Rettung von Menschen in der Wüste beteiligen. Denn dort, nicht etwa auf dem Mittelmeer, seien die meisten Toten zu beklagen. Nur würde das in Europa kaum einer bemerken.

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