Telepolis | 13.03.2017
Italien wird vorgeworfen, dass es eine Regierung unterstützt, die mit al-Qaida im Bunde steht
Thomas Pany
Schaut man sich einen Artikel der Zeit von 2008 an, so war Libyen anscheinend einmal eine „junge Braut“, die von europäischen Konzernen umworben wurde. Der damalige EU-Energiekommissar Andris Piebalgs erhoffte sich von der „ernst zu nehmenden Alternative für die Förderung von Öl, Gas und erneuerbaren Energien“, dass sie einmal die Energieabhängigkeit Europas von Russland vermindern könne.
Seither hat sich viel verändert. Gegenwärtig ist Libyen für die EU keine „junge Braut mit großer Mitgift“ und auch keine „Schatzkammer“ mehr, sondern vor allem eine Bedrohung für die Außengrenzen. 90 Prozent der 180.000 Flüchtlinge und Migranten, die im letzten Jahr über das Mittelmeer Europa erreichten, legten von Libyens Küsten ab, berichtete die Tagesschau Anfang Februar 2017. Ungarns Premier Orbán ist der Überzeugung, dass „Hunderte Millionen Afrikaner“auf ihre Gelegenheit warten.
Die Regierung in Deutschland glaubt daran, dass man in Libyen eine funktionierende Küstenwache aufbauen kann und Italien hatte im Januar mit der libyschen Regierung ein Abkommen zur Flüchtlingskontrolle abgeschlossen. Ärger sei abzusehen, schrieb Matthias Monroy Anfang Januar an dieser Stelle.
Wie der Ärger genau aussehen wird, ist noch unklar, aber er zeichnet sich ab: Der jüngste Vorwurf an Italien lautet, dass die Regierung in Rom al-Qaida in Libyen unterstützt.
Kämpfe um die Herrschaft über die Ölterminals
Derzeit wird um die Vorherrschaft über die libyschen Ölterminals gekämpft und Italien steht auf der Seite einer Milizenallianz, die sich Benghazi Verteidigungsbrigaden (BDB) nennen. Diese wird zumindest in Teilen vom Präsidentenrat (PC) unterstützt. Der wiederum hat Rückendeckung aus Rom.
Die Verbindungen der BDB zur al-Qaida seien offensichtlich, ist in einer Kurzmitteilung von Mohamed Eljahr zu erfahren. Der libysche Journalist Eljahr gehört dem Think Tank Atlantic Council an, der sich in der Vergangenheit in Syrien kräftig bemüht hat, das Phänomen al-Qaida herunterzuspielen.
Die Verbindung zwischen der BDB und al-Qaida kommt auch in einem kurzen Abriss der Journalistin Claudia Gazzini über den derzeitigen Krieg über die Ölanlagen zur Sprache. Gazzini arbeitet für den Think Tank International Crisis Group. Auch der ICG ist wie Eljahr bislang nicht als „russophil“ in Erscheinung getreten. Aus Deutschland gehören der NGO Walter Ischinger und der frühere Verteidigungsminister Rühe an.
Warum die Erwähnung „russophil“? Weil abzusehen ist, dass dem vielschichtigen Konflikt demnächst ebenfalls so einfache Lesarten übergestülpt werden wie dem Krieg in Syrien. Das liegt daran, dass sich Russland nach Stand der Dinge in Libyen mit wachsendem Einsatz an einem „Projekt“ versucht, das als Alternative zu den westlichen Ordnungsversuchen verstanden wird.
Russland in Libyen – die Wiederholung von Russland in Syrien?
Als ein Kernansatz gilt die russische Unterstützung für General Haftar, der im Augenblick versucht, Ölanlagen in Es-Sider und Ras Lanuf zurückzuerobern, die in die Hände der Milizen der Benghazi Verteidigungsbrigaden (BDB) gefallen sind.
Am vergangenen Donnerstag wurde der Chef des US Africa Command, General Thomas D. Waldhauser, bei einer Senatsanhörung nach Einfluss Russlands in Libyen gefragt, ob Russland dort das versuche, was es in Syrien tue. Waldhausers Antwort: „Yes, that’s a good way to characterise it.“
US Africom präzisiert Waldhausers Aussage: „Sie versuchen Einfluss auf die ultimative Entscheidung auszuüben, welche Entität die Regierung in Libyen stellt.“
Als ob nicht auch andere Außenmächte und interne politische Kräfte dies versuchten. Um es vereinfacht zu sagen: Es gibt drei Regierungen in Libyen, zwei in der Hauptstadt Tripolis und eine in Tobruk. Um es etwas schwieriger zu machen: Die eine Regierung in Tripolis, die sich Einheitsregierung nennt (englisches Kürzel GNA), wird von der UN nur so halb anerkannt, weil die Legitimation durch das von der UN anerkannte Parlament in Tobruk noch immer nicht erfolgt ist.
Serraj und Haftar
Deshalb gilt der Präsidentenrat (PC), aus dem plangemäß die neue, vollständig legitimierte Regierung herausgehen sollte, als offizielle Übergangsregierung. Der amtierende Premier heißt Premier Fayez Serraj. Er hat nur teilweise Rückhalt im Land.
Um es noch ein bisschen komplizierter zu machen: Schaut man sich die beiden anderen Regierungen und Parlamente, das GNC in Tripolis und das HoR in Tobruk genauer an, so zeichnen sie sich nicht gerade durch Zusammenhalt aus. Sie zerfallen in „Entitäten“, die von divergierenden Machtinteressen und Bündnissen bestimmt sind. Sie stehen mit unterschiedlichen Milizen und Stämmen in Verbindung oder paktieren nur zeitweilig mit ihnen. Manche Verbindungen ändern sich schnell.
Mittlerweile hat das Parlament in Tobruk die Vereinbarung zum politischen Prozess, zur Verständigung der beiden Machtpole in Tripolis und Tobruk, aufgekündigt. Sie hat die durch die UN zustandegekommene Vereinbarung von Skhirat 2015 einseitig als aufgelöst erklärt.
Vieles dreht sich um General Haftar, den Oberbefehlshaber der so genannten libyschen Nationalarmee, die man im Grunde auch als Konglomerat von Milizen begreifen kann. Sein schillernder Lebenslauf mit Stationen aufseiten Gaddafis, dann auf der Seite der Gaddafi-Gegner, schon weit vor 2011, aber 2011 eben auch, und zwischendrin – sehr viele Jahre – bei der CIA ist von der SZ prägnant zusammengefasst.
Haftar ist ein Gegenspieler von Premier Fayez Serraj. Nachdem immer deutlicher wurde, dass Haftars Macht im Parlament in Tobruk (HoR, Repräsentantenhaus) so bedeutend ist, dass eine Legitimation der Regierung Serraj ohne seine Mitwirkung unmöglich ist, setzten sich der UN-Libyen-Sonderbeauftragte Kobler wie auch die EU sachte dafür ein, dass er eine Rolle bekomme. Russland solle vermitteln, am besten in Übereinstimmung mit den USA, berichtete der Guardian Anfang Februar.
Italien blieb auf Distanz, ein weiterer starker Mann und Warlord an der Spitze Libyens sei nicht die Lösung, die man anstrebe, hieß es aus Rom. Haftar hat wegen seiner Gegnerschaft zu den Muslimbrüdern, die das Parlament in Tripolis beherrschen, und den mit ihnen verbündeten Milizen die Unterstützung von Ägypten – und wie sich durch eine Veröffentlich von Le Monde herausstellte auch die Unterstützung von Frankreich.
Der Titel der Veröffentlichung hieß: Frankreichs geheimer Krieg. Dabei zeigte sich, dass auch die USA dort längst mit Spezialkommandos am Boden agieren. Inwieweit Frankreich die Sache Haftars unterstützt, ob das nur ein zeitweiliger Opportunismus ist oder eine Strategie, ist nicht offenkundig. Laut Mediapart spielt Frankreich ein Doppelspiel, es untertsützt Haftar und hält den Kontakt zu Serraj. Was die USA betrifft, so berichtet der Guardian, dass Haftar auf Unterstützung durch Trump hofft.
Ein geplantes von Ägypten vermitteltes Treffen zwischen Serraj und Haftar Ende Februar in Kairo glückte nicht. Der österreichische Standard berichtete, dass Haftar durchblicken ließ, er diskutiere keine Vorschläge, „die die von ihm geführten Streitkräfte, die er nationale Armee nennt, einer politischen Kontrolle unterstellt hätten“. Serraj erklärte demnach, Haftar hätte es abgelehnt, ihn zu treffen.
Die Milizenallianz BDB
Italien scheint sich nun ganz auf der Gegenseite Haftars zu platzieren. Das Land hat Serraj dabei geholfen, in Tripolis Fuß zu fassen und will ihn weiter unterstützen. Beim gegenwärtigen Kampf um die Ölanlagen unterstützt der von Serraj geleitete Präsidialrat die oben genannten BDB, die allerdings, wie sollte es in Libyen anders sein, gespalten sind.
Das meisten Milizen der BDB haben ihre Basis im Westen, zwischen Tripolis, Misrata und Jufra. Sie haben keinen offiziellen Status und ihre politische Anhängerschaft fällt unterschiedlich aus. Die meisten Kämpfer unterstützen nominell den international anerkannten Präsidentenrat (PC) und die GNA in Tripolis, aber eine kleinere Gruppe erkennt die Regierung in Tripolis an, die von Khalifa Gweell und seinem Alliierten Sadiq al-Ghariani, dem Hard-Liner-Mufti von Tripolis geleitet wird.
Die Beziehung zwischen der BDB und dem Präsidentenrat bzw. der Einheitsregierung sei komplex, so Gazzini. Während der Verteidigungsminister der Einheitsregierung, al-Mahdi al-Barghati, die Gruppen unterstütze, wie auch einige Mitglieder des PC, habe der PC offiziell den Angriff auf die Ölanlagen (am 3. März) verurteilt und erklärt, dass man keine Verbindungen zur BDB habe. Beim BDB mit dabei sind frühere Mitglieder der dschihadistischen Ansar al-Sharia, die von der UN als Terrorgruppe eingestuft wird und die Verbindungen zur al-Qaida hat.
Einig sind sich die Milizen der BDB darin, dass ihr gemeinsamer Feind Haftar ist. Teile des Präsidenterats haben die BDB früher als terroristische Gruppe deklariert. Nun ist man laut Gazzini etwas zurückhaltender. Der PC kritisierte eine „gefährliche Eskalation“, als die BDB die Ölanlagen eroberten, bezeichnete die Milizen-Allianz aber nicht mehr als „terroristisch“. Es hat den Anschein, als ob auch die Regierung damit zufrieden ist, dass man einen Feind, nämlich Haftar, gemeinsam hat.
Das Parlament im Osten, das HoR (Repräsentantenhaus) zeigt sich nun in den Kontakten mit dem Präsidentenrat noch verschlossener, berichtet Claudia Gazzini. Die Verbindungen, die der Präsidentenrat nun eingehe, sei politisch und moralisch verwerflich, weil sie auf eine Kooperation mit al-Qaida hinauslaufen, so der Vorwurf aus Tobruk.
Italien hoffe, dass durch den Druck des BDB auf Haftar dessen Machtansprüche zurückgeschraubt werden können, so ein Kommentar auf al-Arabija. Es bleibt die Frage, wie hoch der Preis dafür ist. Al-Qaida ist in Nordafrika bei weitem stärker als der IS. Auch wenn dies US-Generäle anscheinendnoch nicht richtig in den Blick genommen haben. Indessen geht die Ölproduktion in Libyen runter.