03. März 2017 · Kommentare deaktiviert für Italien greift durch: „Die Sache hat einen Namen: Anis Amri“ · Kategorien: Europa, Italien, Libyen · Tags: ,

Welt | 03.03.2017

Innenminister Minniti greift bei Identifizierung und Abschiebung von Migranten hart durch. Er verfügte, dass Moscheen nun öffentliche Gebäude sind und Imame nur noch auf Italienisch predigen dürfen.

Von Constanze Reuscher

Marco Minniti macht nicht gern viele Worte. „Anis Amri ist den Sicherheitskräften als möglicherweise radikalisiert signalisiert worden“, sei dann trotzdem nach Deutschland gereist, habe dort das Attentat am Berliner Weihnachtsmarkt begangen, sei quer durch Europa zurück nach Italien gereist, „Berlin, Amsterdam, Brüssel, Lyon, Turin, Mailand“, und im Grunde nur durch einen Zufall aufgehalten worden. Damit sich dies nicht wiederholt, soll in Italien nun vieles anders werden.

Am Donnerstag kommt Minniti zum Faktencheck mit den Auslandskorrespondenten. Dass er keine Ausreden versucht, macht den 60-Jährigen sympathisch – trotz des schier undurchdringlich ernsten Ausdrucks in dem kantigen Gesicht.

Warum hat es in der Vergangenheit starke Verzögerungen bei den Abschiebungen gegeben? Wie konnte der Fall Amri geschehen? „Es gab Verspätungen“, sagt Minniti trocken. Aber statt Vorgänger oder Gesetze verantwortlich zu machen, will er dies nun ändern, und zwar schnell: „Ich bin der Innenminister, ich muss das machen.“

Proteste von Gemeinden interessieren ihn nicht

Minniti rollte den Teppich der Maßnahmen aus, die er seit seiner Amtseinführung am 12. Dezember ergriffen hat. Herzstück ist ein Dekret, das Minniti Anfang Februar durchgedrückt hat und das Identifizierung und Abschiebung beschleunigen soll. Dazu kommen eine Reihe bilateraler Abkommen mit Tunesien und Libyen sowie intensive Verhandlungen mit den Herkunftsländern.

Mit Tunesien gebe es bereits eine Einigung auf die Beschleunigung der Identifikation von Migranten. Banal, weil nur verschwindend wenige Migranten aus diesem Land nach Italien kommen? „Nein, das ist nicht banal! Es betrifft ja eine Sache, die kurz vor Weihnachten passiert ist und die einen Namen hat: Anis Amri.“

Flächendeckend werden in allen Regionen neue Zentren für Identifizierung und Abschiebung (CIE) entstehen, außerhalb der Stadtgrenzen, direkt in der Nähe von Bahnhöfen oder Flughäfen. Dort werden Gefährder, potenzielle Islamisten oder Verdächtige interniert, nicht mehr als 100 pro Zentrum. Städte und Gemeinden haben protestiert, aber Minniti will Antworten, „innerhalb weniger Wochen!“.

Zeit für Inhaftierung von 30 auf 90 Tage erhöht

Der gesetzlich zulässige Zeitraum für die Inhaftierung – viele sind ja nur Verdächtige, und es fehlt die rechtliche Grundlage einer längeren Haft – wurde von 30 auf 90 Tage hochgesetzt. Jeder Flüchtling, der den „Anforderungen für politisches Asyl nicht entspricht, wird abgeschoben“.

Um Radikalisierung auf italienischem Boden zu verhindern, hat der Innenminister eine Einigung mit den islamischen Gemeinden Italiens erreicht. In Zukunft gelten die Moscheen in Italien als öffentliche Gebäude, „daher für jedermann zugänglich“. Die Imame dürfen ausschließlich in italienischer Sprache predigen.

Minniti will Tempo in die schleppende Flüchtlingspolitik bringen, dafür übt er sich auch als Außenpolitiker. Im vergangenen Jahr sei der Flüchtlingsstrom auf der westlichen und östlichen Balkanroute eingebrochen, aber auf der Mittelmeerroute nach Italien um 15 Prozent gestiegen, erläutert er. Über Libyen kämen heute 95 Prozent der Flüchtlinge nach Europa, „aber es ist kein einziger Libyer darunter“. Anfang Januar verhandelte er mit der international anerkannten Regierung von Fayez Sarraj in Libyen.

Bilaterales Abkommen mit Libyen

Anfang Februar konnte Premier Paolo Gentiloni mit Regierungschef Sarraj in Rom ein bilaterales Abkommen unterzeichnen, in dem Italien im Gegenzug für finanzielle und Infrastrukturhilfe von Libyen eine intensivere Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Schlepperbanden, eine Verbesserung der humanitären Situation in den Auffanglagern und die Mitarbeit internationaler Organisationen vonseiten Libyens zugesagt bekommt.

„Dies ist ein bilaterales Abkommen, doch ich hoffe, dass es auch Teil der europäischen Initiativen wird“, kommentiert der Innenminister die Vereinbarung. Die Südgrenze Libyens sei ein Brennpunkt, ein Tor für Dschihadisten nach Europa: „Sollte der Islamische Staat in Rakka und Mossul unterliegen, kann es eine Welle von Rückkehrern der Auslandskämpfer nach Europa geben.“

Gentiloni-Regierung und Sozialdemokraten setzen auf den entschlossenen Innenminister, um Populisten und ausländerfeindlichen Rechtsparteien wie der Lega Nord Wind aus den Propaganda-Segeln zu nehmen. In Italien wird entweder im Herbst 2017 oder spätestens im Frühjahr 2018 das Parlament neu gewählt.

Warnung vor Unterschätzen des Terrorismus

Auch in Italien sind viele Gemeinden hoffnungslos mit dem Flüchtlingsproblem überfordert, vor allem im Süden auf Sizilien sowie in den Großstädten Mailand und Rom. Minniti hat ein Abkommen mit dem Städtebund durchgedrückt: In Zukunft sollen sämtliche Gemeinden Flüchtlinge und Migranten mit einer simplen Verteilungsformel aufnehmen: zwei bis drei Personen auf 1000 Einwohner.

Der aus dem süditalienischen Kalabrien stammende Minniti ist Sicherheitsexperte, unter Premier Matteo Renzi war er als Staatssekretär beim Ministerpräsidenten zuständig für die Nachrichten- und Geheimdienste. Zum Schluss kommt er wieder auf das Thema Terrorismus zurück. Italien habe zwei Langzeit-Veranstaltungen, die Expo 2015 und das Jubiläumsjahr der katholischen Kirche 2016, ohne Zwischenfälle überstanden.

Nun bereite sich das Land auf die Feierlichkeiten der Europäischen Union am 25. März in Rom und den G-7-Gipfel im Mai auf Sizilien vor, sagt Minniti und fordert große Wachsamkeit: „Ich warne davor, die Gefahr des IS-Terrorismus zu unterschätzen.“

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