22. August 2015 · Kommentare deaktiviert für „Wohnbörse für Flüchtlinge“ · Kategorien: Deutschland · Tags: ,

Quelle: Spiegel Online

„Alle loben uns, nur Politiker melden sich nicht“

Bloß raus aus der Massenunterkunft: Mareike Geiling hat ihr WG-Zimmer in Berlin an einen Flüchtling vermietet – und zeigt nun anderen, wie das geht. Über ihre Wohnbörse haben schon 74 Menschen ein neues Zuhause gefunden.

„Als ich die Zusage für einen Auslandsaufenthalt in Kairo bekommen habe, war klar, dass ich mein WG-Zimmer in Berlin für die Zeit untervermieten würde. Das Thema Flüchtlinge beschäftigt mich schon lange und brachte mich auf die Idee, mit meinem Zimmer jemandem ein neues Zuhause zu geben – schließlich fehlen in ganz Deutschland Unterkünfte für Asylbewerber.

Meine Freundin Golde ist studierte Sozialarbeiterin und hat schon für die Diakonie mit Flüchtlingen gearbeitet. Sie hatte das nötige Hintergrundwissen: Wer in Deutschland um Asyl bittet, muss in den ersten Wochen in einer Erstaufnahmeeinrichtung leben. Ab wann jemand in eine Wohnung umziehen darf, ist von Bundesland zu Bundesland und Kommune zu Kommune unterschiedlich. Wer in Deutschland nur geduldet ist, darf beispielsweise in Bayern das Heim nicht verlassen – in Berlin aber schon.

Also haben wir Freunde und Verwandte gefragt, ob sie sich an den Mietkosten für einen Flüchtling beteiligen würden. Die Resonanz war überwältigend, innerhalb von zwei Wochen hatten wir die Miete für sechs Monate zusammen. Eine Freundin machte uns mit Bakary bekannt, einem Goldschmied, der aus Mali geflüchtet ist und in Berlin auf der Straße lebte. Er ist noch am gleichen Tag eingezogen. Mittlerweile lebt er in einer anderen WG, wir sehen uns aber noch häufig.

Die Webseite ‚Flüchtlinge willkommen‘ hat mein Mitbewohner Jonas im November programmiert – eigentlich nur, um unser Wissen mit Bekannten zu teilen. Wir haben den Link an Freunde über Facebook verteilt, und nach zwei Tagen hatte er mehr als tausend Likes! Da war uns klar, dass eine Wohnbörse für Flüchtlinge in Deutschland fehlt – und wir haben alles getan, um diese zum Laufen zu bringen.

Mittlerweile haben wir schon 74 Flüchtlinge an Wohngemeinschaften vermitteln können, die meisten kommen aus Syrien und den Subsahara-Staaten. Bei einem Treffen in Berlin habe ich viele kennengelernt: Der Umzug in eine Wohnung ist für sie ein echter Zugewinn an Lebensqualität, sie blühen richtig auf.

Mehr als 1500 Menschen, die einen Flüchtling bei sich aufnehmen wollen, haben sich schon bei uns registriert. Und jeden Tag kommen neue dazu. Wir rufen alle an und klären die wichtigsten Fragen: Ab wann könnte der Flüchtling einziehen? Soll es ein Mann oder eine Frau sein? Und wie kann die Miete finanziert werden? Wir können das selbst nicht übernehmen, haben aber ein großes Netzwerk, über das wir mögliche Spender vermitteln. Je nach Fall übernimmt auch das zuständige Amt der jeweiligen Stadt die Miete. Bei in Berlin anerkannten Flüchtlingen zahlt das Jobcenter zum Beispiel eine Kaltmiete von 364,50 Euro brutto im Monat.

Mit den Flüchtlingen, die sich bei uns registrieren, sprechen wir persönlich. Wenn wir für sie ein passendes Zimmer in unserer Datenbank haben, vereinbaren wir mit den potenziellen Mitbewohnern ein Treffen, bei dem ein sogenannter Pate von uns dabei ist. Massen-Castings gibt es bei uns nicht. Wenn es zwischen beiden Parteien nicht passt, suchen wir eine Alternative. In neun von zehn Fällen klappt die Vermittlung aber auf Anhieb.

Das Ganze ist leider sehr, sehr zeitaufwendig und mit viel Bürokratie verbunden. Und täglich kommen neue Anfragen, das Telefon klingelt ständig, das E-Mail-Postfach quillt über. Allein könnten wir das schon lange nicht mehr schaffen. Knapp 50 Menschen helfen uns ehrenamtlich.

Seit ich im Mai aus Kairo zurückgekommen bin, arbeite ich Vollzeit für das Projekt. Auch mein Mitbewohner Jonas macht nichts anderes mehr. Wir sind jeden Tag von morgens bis abends im Einsatz, auch am Wochenende, deshalb haben wir uns nun über den Verein angestellt. So können wir uns wenigstens ein kleines Gehalt auszahlen. Ich will aber nicht jammern: Die Arbeit macht mir viel Spaß, und ich könnte mir keinen schöneren Job vorstellen.

Wir bekommen von überall her Lob, nur Politiker melden sich bei uns nicht. Dabei wäre es doch eigentlich Aufgabe des Staates, eine solche Wohnbörse zu betreiben.“

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