26. Februar 2018 · Kommentare deaktiviert für „Menschenhandel in Nigeria: Versklavt im eigenen Land“ · Kategorien: Afrika · Tags: , ,

derStandard | 26.02.2018

Tausenden wird in Nigeria lukrative Arbeit auf Palmölplantagen versprochen. Doch viele landen bei Menschenhändlern. Die Bedingungen erinnern an moderne Sklaverei

Katrin Gänsler aus Makurdi

Benjamin Kumaga zieht seine Schultern hoch. Auf die Frage, wo junge Menschen im Landkreis Logo im nigerianischen Bundesstaat Benue arbeiten können, hat er keine Antwort. „Es ist schwer“, sagt der 25-Jährige. Er sitzt auf einer Holzbank auf einem Gehöft. Um die Lehmhäuser liegen kleine Felder. Oft wird dort Yams angebaut, der Boden ist fruchtbar.

Über die Einwohner, die mehrheitlich zur ethnischen Gruppe der Tiv gehören, heißt es, dass sie viel vom Ackerbau verstehen. Einen Job hat das dem jungen Mann aber nicht gebracht. „Um überhaupt anfangen zu können, braucht man Geld“, sagt er. Dazu kommen immer knapper werdende Flächen bei wachsender Bevölkerung. In Nigeria bringt eine Frau statistisch gesehen 5,6 Kinder zur Welt. Durch Konflikte zwischen Farmern und Viehhirten, die allein in diesem Jahr schon mehr als 100 Todesopfer gefordert haben, wird das Leben auf dem Land zunehmend unsicher. Benjamin Kumaga entschied sich deshalb, Benue State im Osten Nigerias zu verlassen und sich im Südwesten sein Startkapital zu erarbeiten.

Migration als Normalität

Arbeitsmigration ist innerhalb Nigerias, aber auch in ganz Westafrika Normalität. Die Verbindung zwischen Benue State und der Region rund um Lagos, die gerne als „Yoruba-Land“ bezeichnet wird, ist nicht neu. In den vielen Dörfern bestätigen das große Häuser von Menschen, die dort zu Geld gekommen sind, das sie in ihre Heimat reinvestiert haben. Für eine verlockende Idee hielt das auch der angehende Farmer Kumaga im Jahr 2015. Ein Bekannter erzählte ihm von einem Unternehmen, das für die Palmölgewinnung Mitarbeiter suche. Nicht einmal die Fahrt müsse er bezahlen.

„Das ist ein klassischer Fall von Menschenhandel, der sich auf lokaler Ebene abspielt“, sagt Valentine Kwaghchimin, der für das Caritas-Komitee für Gerechtigkeit, Entwicklung und Frieden (JDPC) in Makurdi arbeitet. Seiner Einschätzung nach ist Kumaga einer von mindestens 11.000 Fällen. Die Dunkelziffer könnte weitaus höher liegen. Das Phänomen ist aber so neu, dass erst Daten erhoben werden müssen. Was Kwagh chimin entsetzt, sind die Bedingungen vor Ort, die an moderne Sklaverei erinnern.

Unter Druck

Kumaga erzählt seine Geschichte monoton: Schon auf dem Weg in den Südwesten wurde er unter Druck gesetzt und immer wieder aufgefordert zu sagen, für wie viel Geld er arbeiten wolle. Er weigerte sich und erklärte: „Ich muss erst die Arbeit sehen.“ Angekommen an einem Ort, von dem er bis heute nicht genau weiß, wie er hieß, stellte er fest: „Die Arbeit auf der Plantage ist hart. Mitunter mussten wir Palmen fällen.“ 30.000 Naira – keine 70 Euro – forderte er und wurde Monat für Monat vertröstet. Nach einem halben Jahr versuchte er mit anderen Arbeitern, außerhalb der Plantage Geld zu verdienen. „Wir durften das Gelände nicht mehr verlassen.“ Irgendwann gelang es schließlich – aber nur unter Aufsicht.

Kwaghchimin sagt: „Viele müssen ihre Handys abgeben.“ Frauen berichten in Gesprächen von Vergewaltigungen. Wie lange die Menschen auf den Plantagen bleiben müssen, ist unterschiedlich – mitunter sind es sechs Monate, manchmal zwei bis drei Jahre. Kumaga schaffte es, außerhalb der Palmölplantage ein paar Tausend Naira für die Rückfahrt zu erarbeiten, und ist heute zurück in seiner Heimat. Geblieben sind jedoch Perspektivlosigkeit und Stigma. Genau das macht Kwaghchimin große Sorge. „Viele sind mit Drogen vollgepumpt“, sagt er. Außerdem gebe es weder psychologische Hilfe noch Reintegration.

Unterstützung für Landwirte

„Es ist nicht gut, was dort passiert. Manche Opfer haben sich mit dem HI-Virus infiziert und bringen ihn hierher“, sagt Daniel Atokol, der Leiter des Regionalbüros der Naptip, der nigerianischen Behörde zur Bekämpfung des Menschenhandels, in Makurdi. Atokols Antwort für die Reisewilligen lautet deshalb: „Wenn ihr Landwirtschaft betreiben wollt, bleibt hier. Die Regierung versucht eine ganze Menge: Sie kauft euch zum Beispiel den Cassava, den ihr anbaut, ab.“

Kumaga, der noch nie von Naptip gehört hat, schüttelt zwei Autostunden von der Provinzhauptstadt entfernt den Kopf: „Ich wäre gerne geblieben. Aber wie soll das gehen, wenn ich nicht einmal das Geld habe, um überhaupt Yams-Samen zu kaufen.“

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