29. November 2017 · Kommentare deaktiviert für „EU-Afrika-Gipfel: Enttäuschte Hoffnungen“ · Kategorien: Afrika, Europa, Mali, Niger

ARD Tagesschau | 29.11.2017

„Ein besseres Leben“, darauf hoffen sehr viele junge Menschen auf dem afrikanischen Kontinent. Darum soll es auch beim EU-Afrika-Gipfel gehen. Was wünschen sich die Afrikaner von Europa? Oder von ihren eigenen Regierungen? Drei Beispiele aus Niger, Äthiopien und Mali.

Von Sabine Bohland, ARD-Studio Nairobi

Agadez war einst ein malerisches Wüstenstädtchen im Norden Nigers. Heute ist es Durchgangsstation für Menschen aus ganz Westafrika, die in Richtung Europa wollen. Etwa 20 Jahre lang lebten die Menschen in Agadez gut von den Migranten.

„Wir haben kein Problem mit der Flüchtlingskrise“, sagt Issouf Ag Maha, ein Bürgermeister der Region Agadez. „Das betrifft nur Europa. Natürlich kommen Migranten durch unsere Stadt. Aber das freut die Einwohner hier. Die Migranten sind etwa so wie Touristen, die ihr Geld ausgeben. Es gibt Leute, die die Flüchtlinge empfangen, die sie herumführen, bei denen sie wohnen und die für sie kochen.“

Vor gut einem Jahr erklärte die Regierung des Niger das Geschäft mit dem Menschenschmuggel Richtung Norden für illegal – auf Druck von Europa. Stattdessen sollen sich die Schleuser mit EU-Geldern neue Berufsfelder erschließen.

Hadja Alzouma hat als Schleuser gut verdient. Nach dem Verbot landete er für ein halbes Jahr im Gefängnis. Danach wollte er mit dem Hilfsgeld Landwirt werden. Daraus wurde bislang nichts. „Ich weiß, dass Europa eine Menge Geld zur Verfügung gestellt hat, aber wir haben nichts bekommen. Ich habe es nur im Radio gehört“, erzählt Alzouma. „Ich werde wohl bald wieder als Schleuser arbeiten. Ich lasse mich lieber nochmal verhaften als dass ich zusehe, wie meine Kinder nach und nach vor Hunger sterben.“

Alzoumas Erwartungen an den EU-Afrika-Gipfel sind gering. Zumindest sollten die Staatschefs mal daran denken, wie er denn in Zukunft seine Familie ernähren soll, findet er.

„Wirtschaftswunderland“ Äthiopien

Äthiopien gehört zwar nach wie vor zu den ärmsten Ländern der Welt, aber die Wirtschaft wächst kräftig. Im Sommer hat Äthiopiens ehrgeizige Regierung einen ultramodernen Industriepark eingeweiht, entstanden mit chinesischer Hilfe. Hier werden hochwertige Textilprodukte auch für den europäischen Markt hergestellt. Mehr als 60.000 Menschen sollen bis Ende 2018 in Hawassa Arbeit finden.

Die 20-jährige Lemlem Mussie arbeitet bereits für einen der Textilhersteller im Industriepark – mit 700 anderen zusammen. Die junge Frau kommt vom Land und musste erst einmal lernen, wie eine Nähmaschine funktioniert. Jetzt sitzt sie sechs Tage die Woche in einer riesigen Halle und näht Kleidungsstücke zusammen.

Ihre Hoffnungen, als sie den Job bekam, waren groß. „Mir geht es zwar gut, aber das Gehalt, das ich bekomme, passt nicht zu der schweren Arbeit, die wir machen“, sagt sie. „Es reicht nicht zum Leben und schon gar nicht, um unsere Familien zu unterstützen.“ Etwa 50 US-Dollar verdient Lemlem Mussie im Monat, Überstunden werden erwartet, ohne Extrageld.

„Die Produktionskosten in Äthiopien sind am niedrigsten“, sagt der Manager der Epic-Gruppe, Chandana Lokuge. Er kommt aus Singapur. „In Sri Lanka betragen die Gehälter etwa 200 Dollar im Monat, auch in China sind sie gestiegen. In Bangladesch liegen sie zwischen 100 und 200 Dollar. Und in Äthiopien um die 50 Dollar. Das macht Äthiopien interessant für Investoren.“

Menschen wie Lemlem Mussie und ihre Freundinnen haben keine andere Chance, denn auf dem Land in Äthiopien gibt es keine Arbeit. „Ich hoffe, dass ich hier so viel lernen kann, dass ich woanders einen Job bekomme“, sagt sie. „Meine Familie zählt auf mich.“

Dass im fernen Abidjan afrikanische und europäische Staatschefs über die Zukunft der Jugend auf dem Kontinent beraten, weiß Lemlem Mussie nicht. Aber dass viele ihrer Landsleute nach Europa gehen, das weiß sie. „Ich habe darüber auch nachgedacht“, erzählt sie. „Aber als ich gehört habe, dass es auf dem Weg dahin so viele Probleme gibt und dass so viele leiden, habe ich beschlossen, lieber hier zu bleiben.“

Wie die allermeisten ihrer Altersgenossen auf dem afrikanischen Kontinent hofft sie, dass sich in ihrem eigenen Land etwas zum Positiven ändert. Der Industriepark in Hawassa ist vielleicht ein Anfang, auch wenn junge Frauen wie Lemlem Mussie derzeit darauf noch nicht ihre Zukunft aufbauen können.

Das Ende des malischen Traums von Europa

Ein unscheinbares Gebäude an einer staubigen Straße in Malis Hauptstadt Bamako. Wer hier Zuflucht sucht, ist aus Europa oder Libyen ausgewiesen worden. Es sind viele. Die Association Malienne des Expulsés, die Vereinigung der Abgeschobenen, nimmt die gestrandeten Flüchtlinge auf.

So wie den Schüler Tierno Diallo aus Guinea. 16, 17 Jahre alt ist er vielleicht. Der Vorsitzende der Vereinigung, Amadou Coulibaly, hört einfach zu. „Gleich am ersten Tag in Libyen sind wir von den Schleusern geschlagen worden“, berichtet Tierno Diallo mit leiser Stimme. „Nachts haben sie uns eingesperrt.“

Geflohen war er aus dem gleichen Grund wie die meisten: um Geld zu verdienen. Sein Vater ist tot, die Mutter im Heimatdorf. Er lebte bei einer Tante in der Stadt. Sein Handy hat Tierno Diallo verkauft, um sich mit dem Erlös auf den Weg machen zu können. Wie es jetzt mit ihm weitergehen soll, weiß der Junge nicht. Bis zurück nach Guinea ist es von Bamako aus noch ein weiter Weg.

„Man kann diese Menschen nicht einfach nur zurückbringen und sich selbst überlassen. Man muss sich um sie kümmern. Das muss aber vor Ort in ihren Dörfern geschehen“, sagt Amadou Coulibaly. Er kümmert sich seit Langem um gescheiterte Flüchtlinge. Bislang hat sich in seinen Augen an den Umständen der Migrationsbewegungen wenig geändert.

Dementsprechend skeptisch blickt er jetzt nach Abidjan. „Ich erwarte von diesem EU-Afrika-Gipfel nicht viel. Es gab so viele Gipfel. In Valletta auf Malta haben sie auch dieses und jenes versprochen, aber was ist passiert? Nichts. Morgen schon machen sich die nächsten Migranten auf den Weg. So ist das.“ Das einzige, was die Migration Richtung Europa stoppen würde, davon ist Coulibaly überzeugt, sind viele Arbeitsplätze in den afrikanischen Heimatländern. Das wäre die Chance auf ein besseres Leben.

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