24. Juli 2017 · Kommentare deaktiviert für „Migranten aus Libyen: Häfen zu, Kriegsschiffe raus!?“ · Kategorien: Deutschland, Europa, Italien, Libyen · Tags:

Telepolis | 23.07.2017

Die Lage ist hochbrisant, sagt Kanzlerkandidat Schulz und fordert mehr Entschiedenheit. Das tun auch andere. Der Trend geht zu mehr Härte

Thomas Pany

In Deutschland und in Österreich ist Wahlkampf. Der SPD-Kanzler-Kandidat Schulz hat sich nun ein Thema herausgegriffen, von dem er sich offenbar verspricht, dass er damit gegen Merkel punkten kann und den großen Rückstand aufholen kann: die Migranten, die über das Mittelmeer nach Italien kommen. Die wahlkämpferische Absicht tritt aus einem Satz eines Tagesschau-Berichts: „Der SPD-Vorsitzende Martin Schulz hat vor einer Wiederholung der Flüchtlingskrise des Jahres 2015 gewarnt.“ Damit beginnen heute auch die stündlichen Nachrichten im BR.

Die Lage sei „hochbrisant“, man müsse sofort handeln. Sein Vorschlag: Auch andere EU-Länder sollten Flüchtlinge, die vom Mittelmeer kommen, aufnehmen und Italien nicht alleine lassen. Dazu brauche es eine „Koalition der Willigen“, die dafür aus dem EU-Haushalt Geld bekommen. Und die Länder, die nicht dazu bereit sind?

Hier setzt seine Kritik an der Regierung an, sie trete diesen Ländern gegenüber nicht mit der Entschiedenheit auf, die nötig wäre. Ob Schulz mit einem entschiedeneren Vorgehen meint, dass man den Unwilligen im Gegenzug Mittel aus dem EU-Haushalt kürzen will, geht aus seinen aktuellen Äußerungen nicht deutlich hervor, wird aber angedeutet:

Wir zahlen als Deutsche kräftig in einen EU-Haushalt ein, von dem Länder profitieren, die umgekehrt keinen einzigen Flüchtling aufnehmen. Ich finde, damit muss es ein Ende haben.

Martin Schulz

Kurz: Die Insel-Lösung

Einen spektakuläreren Lösungsvorschlag zu den Flüchtlingen und Migranten aus Libyen machte der österreichische Außenminister Kurz, der ebenfalls im Wahlkampfmodus ist. Er hatte seinen italienischen Amtskollegen Angelino Alfano in der vergangenen Woche dazu „aufgefordert“, wie die Zeitung Der Standard schreibt, den „Fährverkehr für illegale Migranten zwischen den Inseln wie Lampedusa und dem Festland einzustellen“. Es ist die nächste Variation der „Insel-Idee“, die Kurz schon länger verficht.

Die Migranten sollen auf keinen Fall an europäischen Küsten anlanden, sondern auf einer Insel festgehalten werden. Australien, das das Vorbild der meisten „Stopp Refugees“-Modelle abgibt, hat damit aus Sicht der Menschenrechte allerdings keine nachahmenswerten Erfahrungen gemacht. Nicht nur der Bürgermeister der 20 Quadratkilometer umfassenden Insel Lampedusa reagierte mit einem Schimpfwort und scharf ablehnend auf den Kurz-Vorschlag („Neo-Nazi“), auch der stellvertretende italienische Außenminister mochte sich für Kurz‘ Idee nicht begeistern: „Italien wird keine KZs aufbauen.“

Italien will keine Lektionen

Auch sein Chef im Außenamt, Alfano, fand die Idee „nicht wirklich gut“. Premierminister Paolo Gentiloni mag generell keine unverlangt eingereichten Stopp-Vorschläge, wie die italienische Nachrichtenagentur Ansa berichtet. Man wolle Solidarität, keine Lektionen oder Drohungen, reagierte Gentiloni auf einen Vorschlag der Visegrad-Staaten. Viktor Orbán machte am Freitag bekannt, dass Ungarn, die Tschechische Republik, die Slowakei und Polen einen Brief an Gentiloni geschrieben hätten, in dem sie die italienische Regierung aufforderten, seine Häfen für Asylsuchenden zu schließen.

Das Problem müsse in Libyen gelöst werden, wird Orbán von der Nachrichtenagentur zitiert, die Flüchtlinge müssten von den „Wirtschaftsmigranten“ unterschieden werden, bevor sie nach Europa kommen. Erwähnt wird auch, dass Orbán eine militärische Option nicht ausschließe.

Kriegsschiffe nach Libyen schicken

Wie Orbáns militärische Lösung aussehen soll, wird nicht erläutert. In der Zeit überraschte vergangene Woche dafür ein Kommentar von Ulrich Ladurner mit einer für diese Publikation ungewohnten Überschrift zur Lösung des Problems mit den Migranten aus Libyen: Schickt Kriegsschiffe!.

Auch der mit Krisen- und Kriegsberichterstattung vertraute Ladurner fordert ein entschlosseneres Vorgehen. Er plädiert für „kluges und hartes“ Vorgehen. Sein Ansatzpunkt: Frankreich, Großbritannien und Italien kennen die Milizen, die beim Menschenschmuggel eine wichtige Rolle spielen, deshalb könnten sie auch hart und zielgerichtet gegen die libyschen Kriminellen vorgehen, die die EU „seit Jahren erpressen und prächtige Geschäfte“ machen.

Es geht um Tatsachenfeststellungen. Dazu gehört: Die intervenierenden Mächte hatten damals beste Kontakte zur bewaffneten libyschen Opposition. Der Informationsfluss war hervorragend, die Kooperation blendend. Nur deshalb konnten sie am Ende den bis auf die Zähne bewaffneten Gaddafi stürzen. Mit anderen Worten: Die europäischen Militärs und Geheimdienste kennen jeden Warlord, der in Libyen Macht hat. Und man darf annehmen, dass dieselben Leute, die damals gegen Gaddafi rebellierten, sowie jene, die für ihn kämpfen, heute am Menschenschmuggel-Business beteiligt sind – jedenfalls ein großer Teil von ihnen.

Ulrich Ladurner

Ein Mandat im UN-Sicherheitsrat beantragen

Sein Vorschlag: Frankreich könnte im UN-Sicherheitsrat ein Mandat beantragen, dass EU-Länder den Menschenschmuggel in Libyen selbst bekämpfen kann. Aber auch ohne ein solches Mandat sollte die EU damit beginnen, in die libyschen Hoheitsgewässer vorzudringen, um zu verhindern, dass die Schleuser ihre Opfer auf ihre gefährliche Reise bringen. Dazu sollte die EU Kriegsschiffe schicken.

Wenn die Nato sich – ähnlich wie in der Ägäis – an der Mission beteiligt: umso besser. Die Menschenschmuggler verstehen die Sprache der Gewalt. Und die würde sich wohlgemerkt nicht gegen die Migranten richten. Wer das für unrealistisch hält, der sollte sich daran erinnern, dass die EU die Piraterie vor den Küsten Somalias recht erfolgreich bekämpft hat.

Ulrich Ladurner

Wenn das aber darauf hinausläuft, mit der libyschen Küstenwache, die ja angeblich zum Teil in die Geschäfte verstrickt sein soll und andrerseits von der EU und Frontex ausgebildet wird, in Scharmützel zu kommen – was dann?

Wie es aussieht, ist auch dieser Plan angesichts der komplexen Situation in Libyen nicht so einfach durchzuführen. Aber je unübersichtlicher die Lage bei genauem Hinsehen wird, desto mehr sind Vorschläge gefragt, die auf Härte und Entschiedenheit setzen.

In diesem Zusammenhang darf man gespannt sein, wie es den „Verteidigern Europas“ in den Gewässern vor Libyen gehen wird. Dort soll demnächst das Schiff „C-Star“ der Identitären („Generation Identity“) auftauchen. Man nimmt den Mund wie immer recht voll: „Bald wird die C-Star für Recht und Ordnung im #Mittelmeer sorgen!“

Quoten für Wirtschaftsmigration nach amerikanischem Vorbild

Weniger martialisch ist der Vorschlag des Think Tanks European Stability Initiative, der federführend am Konzept der EU-Flüchtlingsvereinbarung mit der Türkei beteiligt war. Deren Rom-Plan sieht vor, mit den Herkunftsländern der Migranten direkt zu verhandeln. Schließlich handele es sich, anders als bei Syrien, dem Irak oder Afghanistan, überwiegend um stabile Staaten, berichtete die FAZ über den Vorschlag von Gerald Knaus .

Knapp gefasst lautet er so: Man sollte den Herkunftsländern jeweils jährliche Quoten legaler Wirtschaftsmigration nach amerikanischem Vorbild anbieten und anderseits mit einem schnellen Asylverfahren, dafür sorgen, dass Migranten umgehend zurückgeschickt werden.

Die Abgrenzungskomponente sieht so aus: Mit Unterstützung der Europäischen Union etabliert Italien ein System von schnellen Asylentscheidungen, die nach dem Vorbild der Niederlande innerhalb von wenigen Wochen durchgezogen werden, aber trotzdem den rechtsstaatlichen Ansprüchen genügen. Wer keinen Schutzstatus bekommt, wird von einem bestimmten Stichtag an umgehend zurückgeschickt.

Der Stichtag ist wichtig, um den Herkunftsländern die Sorge vor einer Rückkehrwelle zu nehmen. Und auf das Wort „umgehend“ kommt es an, weil sich eine Abschiebung nach jahrelangem Aufenthalt nahezu überall als undurchführbar erwiesen hat, nicht nur in Deutschland.

FAZ

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