25. April 2017 · Kommentare deaktiviert für Flüchtlingspolitik in Uganda: «Ein Modell für die Welt» · Kategorien: Afrika · Tags:

NZZ | 25.04.2017

Nach Ankunft ein Stück Land, eine Arbeitsbewilligung, Bewegungsfreiheit und Zugang zu Schulen: Ugandas Flüchtlingspolitik ist in Afrika einzigartig. Doch ist sie auch praktikabel, wenn innert Kürze Hunderttausende einreisen?

von Fabian Urech

Jeden Tag überqueren derzeit knapp 3000 südsudanesische Flüchtlinge die Grenze zum südlichen Nachbarland Uganda. Sie fliehen vor einem blutigen Bürgerkrieg, einer Hungersnot und einer Regierung, die sich für ihr Schicksal kaum interessiert, da sie vom Chaos sogar profitiert. Seit vergangenem Sommer, als der seit drei Jahren währende Krieg sich neuerlich intensivierte, sind über 620 000 Flüchtlinge aus dem Südsudan in Uganda eingetroffen. Allein in diesem Jahr überquerten bisher 175 000 Vertriebene die ugandische Grenze. Laut dem Uno-Flüchtlingshilfswerk UNHCR handelt es sich um die grösste Flüchtlingskrise Afrikas und die am schnellsten wachsende der Welt.

Eine humanitäre Pflicht

Für das ostafrikanische Binnenland Uganda mit seinen knapp 40 Millionen Einwohnern bedeutet der riesige Flüchtlingszustrom eine immense Herausforderung. «Der beispiellose Anstieg der Flüchtlingszahlen ist eine enorme Belastung für die öffentlichen Dienste und die lokale Infrastruktur», sagte der ugandische Premierminister Ruhakana Rugunda unlängst in lokalen Medien. Es sei jedoch die humanitäre Pflicht des Landes, die Notleidenden aufzunehmen. «Wir heissen unsere Nachbarn weiter willkommen.»

Anders als in anderen afrikanischen Ländern, in denen der Anstieg der Flüchtlingszahlen teilweise zu xenophoben, gewalttätigen Protesten führte – Südafrika ist hierfür das bekannteste, nicht aber das einzige Beispiel –, werden die südsudanesischen Flüchtlinge in Uganda sehr wohlwollend empfangen. Das Land, das in weiten Teilen der Welt noch immer primär mit dem ehemaligen Despoten Idi Amin in Verbindung gebracht wird, verfolgt eine Flüchtlingspolitik, die laut dem UNHCR zu den progressivsten des Kontinents gehört. «Ugandas Flüchtlingsregime ist ein Modell – nicht nur für Afrika, sondern für die Welt», sagt Rocco Nuri, ein Mitarbeiter des Uno-Flüchtlingshilfswerks.

Nach der Ankunft werden die Flüchtlinge innert 36 Stunden registriert, und sie erhalten von den Behörden einen Ausweis, mit dem sie sich im Land frei bewegen und überall arbeiten können. Kinder und Jugendliche, die knapp 60 Prozent aller südsudanesischen Ankömmlinge ausmachen, werden geimpft und können die öffentliche Schule besuchen. Zudem erhalten die Flüchtlinge, die im Südsudan zumeist als Bauern arbeiteten, Baumaterial für eine Unterkunft sowie ein Stück Ackerland in einer Aufnahmegemeinde. Dadurch sollen sie sich in absehbarer Zeit selbst versorgen können.

Die Wirtschaft profitiert

«Das ist ausserordentlich grosszügig, gerade für ein armes Land wie Uganda», sagt Nuri. Im Vergleich zu anderen afrikanischen Ländern setzten die ugandischen Behörden von Beginn weg auf eine wirtschaftliche und soziale Integration der Flüchtlinge, erklärt der UNHCR-Mitarbeiter. «Sie können arbeiten und ein eigenes Geschäft eröffnen, zudem haben sie Zugang zu denselben staatlichen Dienstleistungen wie die Ugander. Davon profitieren sie selbst genauso wie das Empfängerland.» Zudem entstünden dadurch keine abgeschotteten Camps, sondern Siedlungen, die einen direkten Austausch mit der Lokalbevölkerung förderten.

In vielen afrikanischen Ländern werden Flüchtlinge nach ihrer Ankunft in Flüchtlingslager gebracht, die sie ohne Bewilligung nicht verlassen dürfen. Im Nachbarland Kenya sind dadurch riesige Lager entstanden, in denen Zehntausende de facto eingesperrt sind, nicht selten seit über einem Jahrzehnt. Nicht zu Unrecht gelten diese Lager angesichts der dortigen Perspektivelosigkeit als Brutstätten religiöser Radikalisierung.

Eine vom Uno-Welternährungsprogramm in Auftrag gegebene Studie zeigte vergangenen Herbst, dass sich die integrative Flüchtlingspolitik Ugandas auch wirtschaftlich auszahlt. Jeder Flüchtlingshaushalt, dem die Regierung Agrarland zur Verfügung stellt, trägt unter dem Strich jährlich 220 Dollar zur ugandischen Wirtschaftsleistung bei. Als besonders förderlich für die Wirtschaft bewerten die amerikanischen Studienautoren zudem die in Uganda üblichen Geldzahlungen als Ersatz für die direkte Nahrungsmittelhilfe.

«Das Modell funktioniert, weil alle profitieren», erklärt Susan Alupo vom Refugee Law Project der Makerere-Universität in Kampala. Wichtig sei mitunter, dass rund ein Drittel der Mittel, die für Hilfsprojekte im Flüchtlingsbereich zur Verfügung stünden, per Gesetz den benachbarten lokalen Gemeinschaften zugutekomme.

Positive Haltung entscheidend

Nebst dem wirtschaftlichen Nutzen führt die ugandische Juristin aber auch kulturelle und humanitäre Gründe als Erklärung für die liberale Flüchtlingspolitik ins Feld. Der wirtschaftliche Profit sei wichtig, aber letztlich nur durch die positive Grundeinstellung der Bevölkerung gegenüber den Flüchtlingen möglich. «Die Ugander teilen viele historische und kulturelle Gemeinsamkeiten mit den Südsudanesen», erklärt Alupo. Norduganda, wo die meisten Flüchtlinge leben, sei während Jahrzehnten selbst von Konflikten betroffen gewesen. «Wir wissen, was es bedeutet, wenn Krieg ausbricht und einem Hab und Gut genommen wird. Deshalb helfen wir diesen Leuten – zumal die Grenze zum Südsudan für viele sowieso nur auf dem Papier existiert.» Diese offene Haltung gegenüber Migranten widerspiegelt auch die jüngste Umfrage des afrikanischen Meinungsforschungsinstituts Afrobarometer. Demnach stimmen rund 75 Prozent aller Ugander der Aussage zu, Afrikaner sollten sich frei über internationale Grenzen bewegen können, um in anderen Ländern zu arbeiten und Handel zu treiben – der klare Spitzenwert unter den 36 befragten afrikanischen Ländern.

Aufgrund des wirtschaftlichen Erfolgs interessieren sich inzwischen auch andere afrikanische Länder für Ugandas Umgang mit den Flüchtlingen. Die Migrationsbehörde in Kampala empfängt regelmässig Delegationen, die eine Übernahme des Modells in Betracht ziehen.

Weltgrösste Flüchtlingssiedlung

In den vergangenen Monaten ist die ugandische Flüchtlingspolitik ob der schieren Anzahl der Neuankömmlinge jedoch an ihre Belastungsgrenzen gelangt. Besonders eindrücklich zeigt sich dies am Beispiel von Bidi Bidi, einer Siedlung im Nordwesten des Landes, nur einige Dutzend Kilometer von der südsudanesischen Grenze entfernt. Was letzten Sommer noch ein verschlafenes Bauerndörfchen war, ist innert weniger Monate zur grössten Flüchtlingssiedlung der Welt angewachsen. Die 270 000 Flüchtlinge, die inzwischen hier leben, haben zu einer völligen Überlastung der lokalen Infrastruktur geführt. Die Folge ist eine Häufung von Cholerafällen. Zudem sind die lokalen Schulen und Spitäler viel zu klein. Zumindest äusserlich unterscheidet sich der Ort inzwischen kaum mehr von einem herkömmlichen Flüchtlingslager.

Die Uno arbeitet zusammen mit den ugandischen Behörden unter Hochdruck daran, die Bedingungen in Bidi Bidi und ähnlichen Siedlungen zu verbessern. In den vergangenen Wochen wiesen die Uno-Hilfswerke indes immer wieder auf finanzielle Engpässe hin. In Uganda benötigen sie im laufenden Jahr 250 Millionen Dollar, um den südsudanesischen Flüchtlingen – insgesamt sind es inzwischen 820 000 – angemessen Hilfe zu leisten. Bisher wurde davon erst ein Bruchteil zugesichert. Rocco Nuri betont, dass das Konsequenzen habe: «Wir müssen Prioritäten setzen und teilweise sogar bei der Grundversorgung sparen.» Der UNHCR-Mitarbeiter sieht durch den Finanzierungsengpass indes nicht nur die Hilfeleistungen der Uno-Organisationen in Gefahr. Für ihn ist klar, dass bei einem Scheitern Ugandas auch dessen progressive, bisher sehr erfolgreiche Flüchtlingspolitik infrage gestellt würde. «Hier geht es nicht nur um Uganda, sondern um das Überleben eines Erfolgsmodells.»

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Situation für Flüchtlinge in Afrika ist vielerorts erschreckend

cpk. Kapstadt · Auf dem Papier sind die Rechte von Flüchtlingen in Afrika oft vorbildlich, vielerorts klafft zwischen Recht und Praxis aber eine grosse Lücke. «Die Situation vieler Flüchtlinge in Afrika ist erschreckend. Vielen fehlen eine Perspektive und eine langfristige Existenzgrundlage», sagt der italienische Forscher Sergio Carciotto. «Das kann für zahlreiche Flüchtlinge ein Grund dafür sein, den gefährlichen Weg nach Europa zu wagen.»

Carciotto hat in einer Studie die Bedingungen in den afrikanischen Aufnahmeländern analysiert. Das sei ein wichtiger, jedoch oft vernachlässigter Aspekt in der internationalen Debatte, meint der Migrationsforscher. Schliesslich mache sich entgegen der allgemeinen Wahrnehmung nur ein kleiner Teil der afrikanischen Flüchtlinge und Migranten auf den Weg nach Europa. Laut den Vereinten Nationen beherbergen afrikanische Länder 29 Prozent aller Flüchtlinge weltweit (Europa: 6 Prozent). Hinzukommen rund 13 Millionen intern Vertriebene sowie ein Mehrfaches an Migranten, die ihr Land aus wirtschaftlichen Gründen verlassen. «Die afrikanische Flüchtlingskrise wird in erheblichem Masse in Afrika entschieden», sagt Carciotto. Viele könnten sich die hohen Kosten für die illegale Reise nach Europa gar nicht leisten.

Vielerorts in Afrika sind die Lebens- und Arbeitsbedingungen für Flüchtlinge katastrophal. In Kenya – mit über einer halben Million Flüchtlingen das zweitgrösste afrikanische Aufnahmeland hinter Äthiopien – verhindert die restriktive Lagerpolitik eine Integration in den Arbeitsmarkt. In Kongo-Kinshasa, wo knapp 400 000 Flüchtlinge leben, ist eine Arbeitserlaubnis teuer und für die meisten unerschwinglich, zudem gibt es ein strenges Quotensystem. In Nigeria ist das Recht auf Arbeit für Flüchtlinge noch gar nicht in der Verfassung verankert. Selbst im vergleichsweise liberalen Südafrika arbeitet die Regierung an einem Gesetzentwurf, der vorsieht, dass Asylbewerber in Lagern an der Grenze leben müssen, bis über ihren Anspruch entschieden ist. «Den meisten Flüchtlingen in Afrika bleibt nur der Weg in den informellen Sektor, wo sie oft gnadenlos ausgebeutet werden und mit Verhaftungen rechnen müssen», sagt Carciotto. In seinen Augen werden die wirtschaftlichen Vorteile der Integration in den meisten Ländern Afrikas nicht ausreichend berücksichtigt. «Flüchtlinge sind ein positiver Faktor für die Wirtschaft. Sie gründen überdurchschnittlich oft Unternehmen und sorgen so für fallende Preise und Arbeitsplätze.»

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