17. April 2017 · Kommentare deaktiviert für „Flüchtlinge und Retter auf dem Mittelmeer: Schrecklicheres verhindert“ · Kategorien: Alarm Phone, Mittelmeer · Tags: , ,

taz | 17.04.2017

Am Osterwochenende häuften sich Notrettungen von Flüchtlingen, mehr als 5.000 wurden lebend geborgen. Vermutlich gab es trotzdem mehrere Tote.

Christian Jakob

Eine bislang beispiellose Serie von Seenotfällen hat am Osterwochenende im Mittelmeer Flüchtlinge und Retter in dramatische Situationen gebracht. Insgesamt wurden mehr als 5.000 Menschen gerettet, vermutlich starben mehrere Dutzend.

Das Schiff Iuventa der deutschen Organisation Jugend Rettet nahm am Samstag 400 Schiffbrüchige an Bord. Es war daraufhin selbst manövrierunfähig und musste einen Notruf absetzen. Weitere 400 Menschen trieben derweil ohne Rettungswesten in kleinen Booten in der Nähe der Iuventa. „Wenn nicht schnellstmöglich Hilfe kommt, werden wir hier bald hunderte Tote haben“, sagte der Kapitän der Iuventa am Sonntag.

Zwar schickte die italienische Marine von der Insel Lampedusa Schiffe. Diese mussten aber schon unterwegs so viele andere Flüchtlinge an Bord nehmen, dass sie wieder umkehrten. Erst am Montagvormittag gab die Iuventa Entwarnung.

Auch das Schiff Sea-Eye der gleichnamigen deutschen Rettungsorganisation nahm am Samstag vor der libyschen Küste 210 Flüchtlinge an Bord. Dabei ertranken nach Angaben von Sea-Eye „vermutlich acht bis zehn Menschen“. Weil die Sea-Eye selbst nur für acht Personen ausgelegt ist, trieb sie bis Montagmittag auf halbem Weg zwischen Libyen und Italien. Am Montag kam ein italienischer Seenotrettungskreuzer hinzu. Die Flüchtlinge konnten jedoch wegen hohen Wellengangs nicht von der Sea-Eye auf den italienischen Kreuzer wechseln.

1.500 Menschen in neun Schlauchbooten gerettet

Die maltesische NGO MOAS war über 24 Stunden unentwegt im Einsatz. Dabei rettete sie nach eigenen Angaben mehr als 1.500 Menschen von neun Schlauchbooten. Im Laufe des Samstags hatte das MOAS-Schiff Phoenix vor der Küste Libyens 437 Menschen an Bord genommen, seine Aufnahmekapazität war damit erschöpft. Weil keine weiteren Schiffe zur Hilfe kamen, musste die Phoenix jedoch die Nacht zum Sonntag über Wache neben rund 1.000 weiteren Menschen auf manövrierunfähigen Schlauchbooten halten. Erst am Sonntag wurden diese schließlich von anderen Schiffen aufgenommen.

Die Initiative Watch the Med Alarmphone erhielt am Samstagmorgen den Notruf eines Schlauchbootes mit 150 Menschen, das am Vorabend nördlich des libyschen Al-Chums in See gestochen war. „Wir haben sie über 24 Stunden am Telefon begleiten müssen, bevor endlich Rettung kam“, sagt Hagen Kopp vom Alarmphone. Die vom Alarmphone informierte Rettungsleitstelle in Rom wies den Tiertransporter Lady Rasha und den Frachter AS Elenia vergeblich an, die Flüchtlinge an Bord zu nehmen.

Nur der vom Alarmphone veranlasste Einsatz eines privaten Suchflugzeugs machte das Schlauchboot ausfindig. Schließlich kehrte die AS Elenia wieder um und hielt die Nacht über Wache bei den Schiffbrüchigen. Die Crew wollte aber nicht eingreifen, solange das Schlauchboot nicht kenterte. 24 Stunden nach Absetzen des ersten Notrufs kam schließlich ein norwegisches Frontex-Schiff und nahm die Menschen auf.

„Alle reden davon, dass in Libyen Tausende warten, um bei gutem Wetter die Überfahrt zu wagen“, sagte Kopp. „Dann passiert das und es gibt keine Rettungskapazitäten.“ Es sei ein Wunder, dass das Osterwochenende „nicht das tödlichste seit Jahren wurde“. Kopp macht der EU-Anti-Schlepper-Militärmission EUNAVFOR MED Vorwürfe. Diese sei mit vielen Schiffen vor Ort. „Sie haben die Kapazitäten, aber sie retten längst nicht so, wie es ihre Möglichkeiten hergeben würden“. Dies sei „offensichtlich politisch so gewollt“, sagte Kopp.

:::::

ARD Tagesschau | 17.04.2017

„Iuventa“ und „Sea-Eye“: Entwarnung auf dem Mittelmeer

Das Rettungsschiff „Iuventa“ hat Entwarnung gemeldet. Die Crew konnte alle Flüchtlinge an ein anderes Rettungsboot übergeben. Auch das Rettungsschiff „Sea-Eye“ ist außer Gefahr. Wegen zu vieler Flüchtlinge an Bord waren die Schiffe in Seenot geraten.

Das private deutsche Rettungsschiff „Iuventa“ im Mittelmeer befindet sich nicht mehr in Seenot. Die Flüchtlinge an Bord konnten auf ein anderes Rettungsboot gehen. Die „Iuventa“ steuerte danach in Richtung Malta, schrieb die Besatzung auf Facebook. Das Schiff der Berliner Hilfsorganisation „Jugend rettet“ war wegen zu vieler Flüchtlinge an Bord manövrierunfähig.

Auch das Schiff „Sea-Eye“ der gleichnamigen Organisation aus Regensburg trieb mit rund 210 Flüchtlingen an Bord auf halbem Weg zwischen Libyen und Italien manövrierunfähig im Mittelmeer. Die „Sea-Eye“ werde inzwischen von einem italienischen Seenotrettungskreuzer begleitet, sagte der Chef der Organisation, Michael Buschheuer, der Nachrichtenagentur AFP.

Beide Besatzungen hatten insgesamt etwa 600 Flüchtlinge an Bord genommen. Weitere 400 Flüchtlinge befanden sich in kleinen Booten und ohne Rettungswesten in der Nähe der Schiffe. Die „Iuventa“ und die „Sea-Eye“ sendeten am Ostersonntag das Notsignal „Mayday“ an die Seenotrettungsstelle in Rom.

„Niemand hat jemals etwas Vergleichbares gesehen“

In den vergangenen drei Tagen haben die italienische Küstenwache und Hilfsorganisationen nach Angaben von Medien rund 5000 Flüchtlinge aus dem Mittelmeer gerettet. Der Gründer der maltesischen Rettungsorganisation „Migrant Offshore Aid Station“ (MOAS), Christopher Catrambone, sagte dem US-Sender CNN, „niemand hat jemals etwas Vergleichbares gesehen, wie wir an diesem Wochenende“.

Die „Iuventa“ war im Sommer 2016 von Emden aus zu ihrer Rettungsmission im Mittelmeer aufgebrochen. Der 33 Meter lange frühere Fischtrawler wurde von dem Verein erworben und umgerüstet. „Jugend Rettet“ war 2015 von jungen Menschen in Berlin gegründet worden, nachdem mehr als 800 Flüchtlinge bei einem Unglück im Mittelmeer gestorben waren.

:::::

NZZ | 17.04.2017

Eine Hilfsorganisation rettet zu viele Flüchtlinge aus Seenot – und wird selbst zum Rettungsfall

Mehrere Tausend Menschen sind am Osterwochenende von privaten Hilfsorganisationen aus Seenot gerettet worden. Angesichts der ungewöhnlich hohen Zahl an Flüchtlingen und Migranten wurden die Hilfsorganisationen selbst zum Seenotrettungsfall.

(dpa/afp) Am Sonntag setzte die die deutsche Organisation Iuventa Jugend rettet ein Notsignal ab, am Ostermontag folgte das Schiff Sea Eye. Beide Schiffe waren mit geretteten Flüchtlingen in unruhiger See überladen und manövrierunfähig geworden.

Nach den Notrufen kamen ihnen andere Schiffe zur Hilfe. Für zehn Flüchtlinge sei aber jede Hilfe zu spät gekommen. «Sie sind mit Sicherheit ertrunken, weil sie keine Schwimmwesten hatten», sagte der Sprecher der Initiative Sea Eye, Hans-Peter Buschheuer, der Nachrichtenagentur dpa.

Tanker kommen zu Hilfe

Am Montag zeichnete sich nach Stunden des Wartens Hilfe ab. Die zentrale Seenotrettungsleitstelle (MRCC) in Rom dirigierte einen 250 Meter langen Tanker zur Iuventa, der dem Rettungsschiff mit 400 Menschen an Bord Schutz vor Wind und Wellen gab.

«Insofern hat sich die Situation entspannt», sagte Julian Pahlke, der sich an Bord des Schiffes befindet, der dpa in Rom. Man warte auf ein Schiff aus Malta, das der Hilfsorganisation die Migranten abnehmen und diese ans Festland bringen sollte.

Ein deutsches Marineschiff brachte am Montag 1181 gerettete Flüchtlinge und Migranten ans italienische Festland. 1267 wurden laut Nachrichtenagentur Ansa im Hafen von Messina erwartet.

Die Sea Eye mit 210 Menschen an Bord befand sich am Montag nach dem Notruf im Geleit des Tankers La Donna sowie des Küstenwachenschiffs, teilte die Organisation in Regensburg mit. In deren Windschatten solle die Bergung der Migranten stattfinden, sagte Buschheuer.

Raue See und keine Schwimmwesten

Am Sonntag hatte sich die Situation für die Seenotretter zugespitzt: «Wir sind komplett manövrierunfähig, weil so viele Personen an Bord sind», berichtete Pauline Schmidt, Sprecherin der Organisation.

«Zusätzlich zieht schlechtes Wetter auf und circa 400 Personen, die meisten Frauen und Kinder, befinden sich ohne Rettungswesten auf Booten in der Nähe.» Der Kapitän der Iuventa, Kai Kaltegärtner, hatte gesagt: «Wenn keine Hilfe kommt, werden wir Leute verlieren.» Denn die Geretteten befinden sich auf dem offenen Deck des Schiffes.

Die privaten Retter sprachen am Wochenende von einer beispiellosen Situation auf dem Mittelmeer. Am Freitag hatten mehrere Nichtregierungsorganisationen (NGO) nach eigenen Angaben 1800 bis 2000 Menschen von Schlauch- und Holzbooten gerettet.

Am Samstag machten Iuventa Jugend Rettet, Moas und Sea-Eye weitere 3000 Flüchtlinge und andere Migranten etwa 20 Meilen von der libyschen Küste entfernt aus. «Das ist so für uns noch nicht da gewesen», sagte Kaltegärtner. Am Sonntag kamen etwa 1000 weitere Menschen hinzu.

Teilweise seien an Bord eines Bootes 700 Menschen gewesen, sagte der Kapitän. Es seien auch Menschen ertrunken, darunter ein achtjähriger Junge, wie die die Hilfsorganisation Moas mitteilte. Wie viele starben, war aber zunächst unklar.

Frontex soll helfen

Die Hilfsorganisation SOS Méditerranée sprach auf Twitter von einer «dramatischen Situation». Sie forderte Unterstützung bei der Suche nach Schiffbrüchigen und der Rettung auf dem Mittelmeer.

«Wo waren die Frontex-Schiffe, als ein Rettungsschiff einer NGO Unterstützung brauchte, um Tausende Leben zu retten? Wo war die EU?», twitterte die Organisation Ärzte ohne Grenzen. Die Nichtregierungsorganisationen fordern von der EU ein Seenotrettungsprogramm.

Die europäische Grenzschutzagentur Frontex hatte kürzlich den Einsatz der Rettungsschiffe privater Organisationen vor der libyschen Küsten kritisiert, weil dadurch Menschen zur Flucht ermuntert werden könnten.

Auf der gefährlichen Flucht von Afrika nach Europa über das Mittelmeer starben seit Jahresbeginn fast 800 Menschen, wie die Internationale Organisation für Migration (IOM) berichtete.

 

Kommentare geschlossen.