13. April 2017 · Kommentare deaktiviert für „Kampf um Ressourcen: Flüchtlinge im kenianischen Grenzgebiet“ · Kategorien: Afrika · Tags: ,

DW | 12.04.2017

Kakuma war mal ein winziges Nest im Norden Kenias. Heute ist Kakuma das zweitgrößte Flüchtlinslager des Landes. Der Strom von Menschen, die aus dem benachbarten Südsudan fliehen, reißt nicht ab.

Das alte Holz hat die ganze Nacht vor sich hingekokelt. Alice Maraka und ihre Familie haben es auf langen Fußmärschen im Dürregebiet gesammelt, um daraus Holzkohle zu machen. Wenn die Glut erkaltet ist, wandert Alice zum benachbarten UN-Flüchtlingslager Kakuma, um die Holzkohle gegen Lebensmittel zu tauschen. Für eine Schüssel Kohle kriegt sie zwei Teller Hirse oder Bohnen.

„Der Handel mit den Flüchtlingen ist alles, was wir noch haben. Aber es drängeln sich immer mehr dazwischen. Die Flüchtlinge machen inzwischen auch selber Holzkohle und dann gehen wir leer aus“, klagt die junge Frau.

Teufelskreis Holzkohle

Alice gehört zum Hirtenvolk der Turkana, das der Region ihren Namen gibt. Das Flüchtlingslager Kakuma liegt im Westen der Turkana, bis zur südsudanesischen Grenze sind es etwa 100 Kilometer. Dort tobt ein blutiger Bürgerkrieg, der immer mehr Menschen in die Flucht Richtung Nordkenia treibt. Hier treffen die Flüchtlinge auf eine sehr traditionelle Bevölkerung. Viele Familien der knapp eine Million Turkana leben bis heute nomadisch und ziehen wie Alice mit ihren Viehherden umher. Ziegen, Schafe, Kühe und Kamele liefern Fleisch, Milch, Blut und Leder. Doch die anhaltende Dürre tötet das Vieh. Die Menschen verlieren ihre Lebensgrundlage. Die ohnehin sehr trockene und unterentwickelte Region bietet ihnen kaum Alternativen. Durch die zunehmende Holzkohleproduktion verschwinden Bäume und Sträucher – und damit wichtige Wasserspeicher. Das macht die Turkana noch anfälliger für zukünftige Dürren.

Auch Alice und ihre Familie haben in den vergangenen Wochen fast alle Tiere verloren. Jetzt haben sie ihre Rundhütten in der Nähe des großen UN-Flüchtlingslagers aufgebaut – in der Hoffnung auf Nahrung und Wasser. „Wir haben bisher nicht viel von den Flüchtlingen mitbekommen. Aber jetzt fühlen wir, dass sie uns unser Land wegnehmen und unser Wasser verschmutzen.“

Knappe Ressourcen in getrennten Welten

Die rund 180.000 Flüchtlinge, die derzeit im Lager Kakuma leben, werden vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen und anderen Hilfsorganisationen betreut. Für die einheimische Bevölkerung ist vor allem die kenianische Regierung verantwortlich. Turkana und Flüchtlinge leben in getrennten Welten. Berührungspunkte gibt es an den Wasserstellen und auf dem Markt.

„Wir können den Flüchtlingen nicht befehlen, zurück nach Hause zu gehen. Aber es gibt Probleme. Unsere Regierung muss uns helfen. Die Flüchtlinge schaden uns. Wenn wir mit unseren überlebenden Tieren umherziehen, stehlen sie unser Vieh. Und wenn wir unsere Tiere zurückverlangen, bedrohen sie uns“, berichtet Alice.

Gerüchte machen im Lager schnell die Runde

Die Dürre verschärft den Kampf um die knappen Ressourcen. In Kakuma leiden die rund 180.000 Flüchtlinge darunter, dass das Welternährungsprogramm (WFP) seine Nahrungsmittelhilfe wegen fehlender Mittel um die Hälfte reduzieren musste. Das Lager ist überfüllt, es gibt wenig Abwechslung. Die Flüchtlinge verbringen die meiste Zeit mit Warten. Auch aus ihren Reihen gibt es Beschwerden – über die Turkana. Sie seien aggressiv und Diebe, berichten selbst neu angekommene Südsudanesen. Gerüchte machen im Lager schnell die Runde.

Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) versucht mitten in der Dürre, eine Brücke zwischen den getrennten Welten der Flüchtlinge und der lokalen Bevölkerung zu bauen. Weil das Lager Kakuma die Grenzen seiner Kapazität erreicht hat, entsteht in der Nachbarschaft in Kalobeyei eine neue Modellsiedlung, in der Flüchtlinge und Angehörige der Turkana gemeinsam leben sollen. Das Projekt soll die Integration fördern und für Entwicklung durch Handel sorgen. Doch der Prozess sei schwierig, gibt Honorine Sommet-Lange zu, die das UNHCR-Büro in Kakuma leitet: „Es geht uns um Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit. Wir wollen die Abhängigkeit von der internationalen Gemeinschaft vermeiden. Auch deshalb, weil die finanzielle Unterstützung abnimmt.“ Doch die Belastung durch die Dürre sei deutlich zu spüren. „Wir erleben, dass Einheimische unsere Konvois blockieren, wenn wir aus dem Lager in die neue Siedlung fahren. Wenn wir die Menschen fragen warum sie uns aufhalten, dann sagen sie uns: weil wir jetzt Wasser brauchen.“

Das Flüchtlingscamp gibt es seit 1992 – und es wächst

Ende März siedelten bereits knapp 30.000 Menschen in der kargen Pilot-Siedlung in Kalobeyei – erneut fast ausschließlich Flüchtlinge. Die meisten leben in schnell errichteten Notunterkünften aus Holz und Plastikplanen. Der Druck ist groß. Zurzeit überqueren jeden Monat bis zu 2000 Flüchtlinge die südsudanesisch-kenianische Grenze.  Es gebe Unterstützung, aber sie reiche einfach nicht, sagt Sommet-Lange: „Für die Kenia-Operation im vergangenen Jahr hätten wir 226 Millionen Dollar gebraucht, um die Flüchtlinge und die lokale Bevölkerung rund um die großen Flüchtlingslager zu versorgen. Aber wir haben nur rund 20 Prozent der Summe bekommen.“

Die Idee der neuen Siedlung in Kalobeyei wird von der Realität überrollt. Es ist eins der erklärten Ziele, Geisterstädte zu verhindern, wenn die Flüchtlinge irgendwann in ihre Heimat zurückkehren. Doch es deutet nichts auf ein Ende des Bürgerkriegs im Südsudan hin. Das Lager Kakuma gibt es seit 1992. Es wächst – mitten im kenianischen Dürregebiet. Die Turkana erlebt in immer kürzeren Abständen Dürreperioden. Die aktuelle ist so ernst, dass die Turkana am Rand einer Hungersnot taumelt.

 

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