12. April 2017 · Kommentare deaktiviert für „Sea Eye schickt zweites Boot ins Mittelmeer“ · Kategorien: Deutschland, Mittelmeer · Tags: ,

ND | 12.04.2017

Private Seenotretter intensivieren ihren Einsatz / Bundesregierung geht von deutlich mehr Flüchtlingen vor der libyschen Küste aus

Stefan Otto

Die Flüchtlingsorganisation Sea Eye ist künftig mit einem zweiten Rettungsschiff vor der libyschen Küste aktiv. Am Dienstag lief in Stralsund der Fischkutter namens »Seefuchs« aus. In drei Wochen soll das Schiff Malta erreichen. Von dort aus wird es gemeinsam mit dem Mutterschiff »Sea Eye« im Mittelmeer kreuzen, um schiffbrüchige Flüchtlinge aufzuspüren. »Unsere Besatzungen können vor Ort Erste Hilfe leisten, die Schiffe sind mit Rettungswesten und Schwimminseln ausgestattet«, erklärt Hans-Peter Buschheuer, Sprecher der Initiative, gegenüber »nd«. »Eine Evakuierung muss dann ein europäisches Marineschiff vornehmen«, dafür sei der 58 Jahre alte Kutter »Seefuchs« nicht groß genug. Koordiniert werden alle Rettungseinsätze im zentralen Mittelmeer von der Seenotrettungsleitstelle MRCC in Rom.

Die komplett von Spenden finanzierte Initiative Sea Watch hat vor einem Jahr im Mittelmeer ihre Arbeit aufgenommen. Seitdem konnten die Helfer nach eigenen Angaben bereits mehr als 6000 Menschen in Seenot retten. »Aber wir haben zu wenige Schiffe im Einsatz, die Lücken sind zu groß«, begründet Buschheuer die Ausweitung der Einsätze, die in diesem Jahr rund eine halbe Million Euro kosten werden.

Nach Schätzungen der EU flüchteten im vergangenen Jahr rund 180 000 Menschen über das Mittelmeer nach Europa. Die meisten von ihnen versuchten, von der libyschen Küste aus Italien zu erreichen. Doch nur selten sind die Boote der Flüchtlinge hochseetauglich, viele kenterten, es gab mehr als 5000 Tote, so viel wie nie zuvor.

Dieser Trend setzt sich auch in diesem Jahr fort. In den ersten drei Monaten haben bereits viel mehr Menschen als 2016 den gefährlichen Weg über das Mittelmeer gewählt. »Wenn wir das hochrechnen, könnten in diesem Jahr 300 000 bis 400 000 Menschen in Italien ankommen«, sagte Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) vor einigen Tagen.

Angesichts dieser Prognosen wird der Ton gegenüber den privaten Hilfsorganisationen im Mittelmeer zunehmend rauer. »Viele Flüchtlinge wissen natürlich, dass es diese Boote vor der Küste gibt«, meinte der libysche Ministerpräsident Fajes al Sarradsch. Sobald sie eines dieser Schiffe erreichen, könnten sie ihre Reise nach Europa sicher beenden. Weil die EU dies dulde, gibt er der Union eine Mitverantwortung an dem hohen Flüchtlingsaufkommen in Libyen.

Auch dem österreichischen Außenminister Sebastian Kurz sind die Nichtregierungsorganisationen längst ein Dorn im Auge. Er unterstellte den Helfern, sie würden auf dem Meer aktive Fluchthilfe leisten. Buschheuer spricht von »Diffamierungen« ihrer Arbeit – die in den letzten Monaten zugenommen hätten. Er weiß natürlich um die Brisanz der Rettungseinsätze. Mehrmals gab es bereits Übergriffe seitens der libyschen Küstenwache auf private Seenotretter.

Im vergangenen September wurden zwei Mitglieder von Sea Eye auf einem Schnellboot festgenommen, weil sie angeblich libysches Hoheitsgebiet befahren hätten, was die Initiative aber umgehend dementiert hatte. Das Boot sei noch immer beschlagnahmt, erzählt Buschheuer.

Noch gravierender war der Übergriff auf eine Rettungsaktion der Initiative Sea Watch Ende Oktober, bei dem ein Flüchtlingsboot kenterte und nach Angaben der Organisation 25 bis 30 Flüchtlinge ertranken.

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