11. April 2017 · Kommentare deaktiviert für „Frankreich : Flüchtlingslager brennt vollständig nieder“ · Kategorien: Frankreich · Tags:

Zeit Online | 11.04.2017

Nach einer Messerstecherei unter Flüchtlingen sind deren Holzhütten im französischen Grande-Synthe in Flammen aufgegangen. Das Feuer soll absichtlich gelegt worden sein.

In Nordfrankreich hat ein Großbrand ein Flüchtlingslager vollständig zerstört. Hunderte Flüchtlinge mussten ihre Holzhütten im Camp in Grande-Synthe bei Dünkirchen verlassen, wie die Polizei mitteilte. Sie wurden in nahegelegenen Turnhallen untergebracht.

Vor Ausbruch des Feuers hatten sich nach Behördenangaben etwa 100 bis 150 kurdische und afghanische Flüchtlinge im Lager eine Schlägerei geliefert. Dabei wurden auch Messer benutzt. Fünf Menschen wurden verletzt, drei von ihnen kamen mit Stichverletzungen im Krankenhaus. Die Kämpfe dauerten bis nach Mitternacht an. Polizisten einer Spezialeinheit griffen ein, vereinzelt wurden sie mit Steinen beschmissen, berichtete ein Korrespondent der Nachrichtenagentur AFP.

Die Behörden vermuten einen Zusammenhang zwischen der Auseinandersetzung und dem Großbrand. „Es müssen an mehreren Stellen Feuer gelegt worden sein, anders ist das nicht möglich“, sagte ein hochrangiger Mitarbeiter des örtlichen Bürgermeisters. Durch die Flammen wurden zehn Menschen verletzt.

In dem Flüchtlingslager lebten bislang etwa 1.500 Flüchtlinge in 300 Holzhütten. Die meisten von ihnen sind Kurden aus dem Irak. Nach Angaben des französischen Regionaldépartements halten die Behörden das Camp für überfüllt. Im vergangenen Monat sei entschieden worden, die Bewohnerzahl auf 700 zu senken und mehr Sicherheitspersonal gegen Schleuser einzustellen. Zudem hatte Innenminister Bruno Le Roux Mitte März angekündigt, er wolle das Lager so schnell wie möglich auflösen. Die Zustände seien unhaltbar. Zur Begründung nannte er Prügeleien zwischen Flüchtlingen.

Viele Flüchtlinge stammen aus Calais

Das Lager in Grande-Synthe war im vergangenen Jahr von der Organisation Ärzte ohne Grenzen gebaut worden, nachdem das umstrittene, etwa 30 Kilometer westlich liegende Flüchtlingslager von Calais abgerissen worden war. Viele Flüchtlinge kamen von dort nach Grande-Synthe. Zunächst aufgestellte Zelte wurden später durch Holzunterkünfte ersetzt.

Grande-Synthe liegt an der Straße zwischen Dünkirchen und Calais. In der vergangenen Woche hatten Migranten versucht, den Verkehr anzuhalten, in der Hoffnung per Lastwagen oder Auto nach Großbritannien zu gelangen.

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Al Jazeera | 11.04.2017

Fire ravages migrant camp near Dunkirk’s Grande-Synthe

Camp housing 1,500 people destroyed in blaze, which officials said began during a fight between Afghans and Kurds.

A huge fire, apparently started deliberately, reduced the Grande-Synthe migrant camp near the northern French city of Dunkirk, to „a heap of ashes“, according to officials.

Firefighters said at least 10 people had been injured in the blaze at the camp late on Monday, which was home to some 1,500 people, mostly Iraqi Kurds, living in closely packed wooden huts.

„There is nothing left but a heap of ashes,“ Michel Lalande, prefect of France’s Nord region, said at the scene as firefighters continued to battle the flames which were visible from several kilometres away.

„It will be impossible to put the huts back where they were before.“

The camp was being evacuated and the migrants would be rehoused in emergency accommodation, the prefect said, adding that the Dunkirk suburb of Grande-Synthe had already made two gymnasiums available.

Lalande said the blaze had been started after a fight on Monday afternoon between Afghans and Kurds at the camp that had left six injured with knife wounds.

„There must have been fires deliberately set in several different places,“ said Olivier Caremelle, chief of staff of Grande-Synthe Mayor Damien Careme, an environmentalist who supported the building of the camp last year.

„It is not possible otherwise. It seems that it is related to fights between Iraqis and Afghans.“

Plans to dismantle camp

Fights between the migrants continued after midnight, with riot police struggling to contain them and occasionally being pelted with stones, according to an AFP news agency correspondent.

„No one is able to explain how these events could have happened,“ said Lalande.

The population of the Grande-Synthe camp has swelled since the destruction last October of the squalid „Jungle“ camp near Calais, about 40km away.

According to several witnesses, disagreements arose after an increase in the number of Afghans who arrived from the „Jungle“ camp.

The Afghans were apparently unhappy at being put up in the communal kitchens while the Kurds slept in chalets.

Their arrival had increased tensions, according to Caremelle.

There have been several violent incidents at the Grande-Synthe camp, with police intervening last month after five men were injured in a fight. Another man was stabbed in November.

French officials had said in mid-March that security forces were planning to start dismantling the camp following clashes at the site.

The camp, built by the humanitarian group MSF (Doctors Without Borders), opened in March 2016 over the objections of the central government.

For more than a decade France’s northern coast has been a magnet for refugees and migrants trying to reach Britain, with French authorities repeatedly tearing down camps in the region.

Migrants gather along the northern coast in France seeking to break into trucks heading to Britain or pay smugglers to help them get across the Channel.

The issue is a constant source of friction between Britain and France and an embarrassment for the French government, which has been criticised by the UN refugee agency for failing to provide adequate accommodation.

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NZZ | 11.04.2017

Humanitäres Modell ein Raub der Flammen: Flüchtlingslager Grande-Synthe niedergebrannt

Beim Streit zwischen Flüchtlingen verschiedener Herkunft ist im «Modell-Camp» Grande-Synthe ein Brand ausgebrochen, der das Lager vollständig zerstört hat. Auf das Drama reagieren auch die Politiker.

von Rudolf Balmer, Paris

Ein riesiger Brand hat in der Nacht auf den Dienstag das Flüchtlingslager von Grande-Synthe im Westen des Atlantikhafens von Dunkerque fast vollständig zerstört. Auch Infrastrukturen wie Küchen, Duschen und Toiletten sind weitgehend verbrannt. Die Regierung, die dieses Camp ohnehin räumen wollte, schliesst allein schon deshalb einen Wiederaufbau aus. Als Ursache des Feuers wird eine Brandstiftung im Verlauf von Auseinandersetzungen zwischen Afghanen und Kurden vermutet. Einer der Kurden sagte am Fernsehen, die Afghanen hätten sie mit Messern und Steinen attackiert. Pierre Henry, der Leiter des Hilfswerks France terre d’asile, bestätigt, die Spannungen zwischen den Flüchtlingen aus verschiedenen Ländern hätten in den letzten Wochen massiv zugenommen, zudem habe es auch Konflikte mit kriminellen Schleppern gegeben.

Mindestens sechs Verletzte

Es war nicht der erste gewaltsame Streit im Lager von Grande-Synthe, bei dem es ursprünglich um Wohnplätze und den Zugang zu den sanitären Anlagen gegangen sein soll. Er war laut Angaben des nordfranzösischen Polizeipräfekten am Montagabend mit ausserordentlicher Heftigkeit ausgebrochen. Bei den Handgreiflichkeiten, die bis in die Nacht hinein andauerten und sechs Verletzte forderten, sei an mehreren Orten in diesem aus dreihundert Holzhütten bestehenden Flüchtlingscamp von Unbekannten Feuer gelegt worden. Die rund 1500 Bewohner, unter ihnen zahlreiche Familien, mussten auf ihrer Flucht meistens ihre wenigen Habseligkeiten zurücklassen. Etwa 600 von ihnen wurden in drei Turnhallen provisorisch aufgenommen, die anderen sind untergetaucht oder irren auf der Suche nach einem Obdach in der Gegend am Ärmelkanal umher.

Das Lager Grande-Synthe sollte ursprünglich einen humanitären Modellcharakter haben. Es war im März 2016 auf Initiative des grünen Bürgermeisters Damien Carême in Zusammenarbeit mit dem Hilfswerk Médecins sans Frontières als Alternative zum «Schandfleck» in Calais entstanden. Die Lebensbedingungen in diesem Camp sollten darum den Uno-Normen für Flüchtlingslager entsprechen. Die 300 soliden Holzhütten waren für etwa 700 Menschen gedacht. Zuerst wurden namentlich kurdische Familien untergebracht, die vorher in der Nähe in Zelten hausten.

Mit der polizeilichen Räumung in Calais kamen ganze Gruppen neuer Obdachsuchender hinzu, für die Grande-Synthe nur eine Etappe vor einer Überquerung des Ärmelkanals sein sollte. Carême macht heute die Regierungsbehörden für die wachsende Überbelegung und die daraus resultierenden Spannungen verantwortlich. Es gebe in Frankreich bei weitem nicht genug Plätze in den Aufnahmezentren für Neuankommende (CAO), bedauert der Bürgermeister.

Er möchte nicht eingestehen, dass mit dem Brand auch sein Traum von einer humaneren Flüchtlingspolitik in Flammen aufgegangen sei. Er nutzte die Gelegenheit der Interviews für einen Appell an die Solidarität seiner Bürgermeisterkollegen in den 36 000 Gemeinden eines Lands, das sich gern als «Heimat der Menschenrechte» feiern lasse. Er wisse von vielen Kontakten und Besuchen, dass das Zusammenleben mit den Asylbewerbern selbst in Dörfern und Kleinstädten viel reibungsloser klappe, als dies leider oft in den Medien dargestellt werde.

Reaktionen der Kandidaten

Wie zu erwarten war, hatte das Ende seiner Initiative in Grande-Synthe auch sofort ein Echo im laufenden Wahlkampf: Die Rechtsextremistin Marine Le Pen sieht sich in ihrer Meinung bestätigt, dass es sich bei den meisten Flüchtlingen um verkappte illegale Immigranten und um ein Sicherheitsrisiko handle. Für sie ist «der durch Schlägereien zwischen Migranten verursachte Brand ein Anzeichen für das grosse Chaos der Migration, das unser Land seit Jahren heimsucht». Ihr bürgerlicher Gegner François Fillon meinte, die Vorfälle bewiesen nur, dass die Räumung von Calais nicht ausreichend gewesen sei. «Die einzige Lösung sind die Kontrolle der Grenzen und die Heimkehr der Migranten ohne Anrecht auf Asyl», erklärte Fillon. Ein Sprecher des Linksliberalen Emmanuel Macron meinte ausweichend, es komme nicht infrage, «politisches Business zu machen mit tragischen Ereignissen, bei denen Menschenleben auf dem Spiele standen».

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