20. März 2017 · Kommentare deaktiviert für „Bundesamt für Migration und Flüchtlinge rückt Geflüchteten mit neuer Software auf die Pelle“ · Kategorien: Deutschland · Tags:

Netzpolitik | 17.03.2017

Weil viele Asylsuchende ohne Papiere bei den Behörden vorstellig werden, setzt die Bundesregierung verstärkt auf Technik zur Bestimmung ihrer Herkunft. Eine Software soll Sprachen und Dialekte analysieren. Per Gesetz werden die Betroffenen gezwungen, Telekommunikationsgeräte und Zugangsdaten herauszugeben.

von Matthias Monroy

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) könnte zukünftig eine Software zur Dialekterkennung einsetzen. Das berichtet die Tageszeitung „Welt“ unter Berufung auf den Referenten für den Bereich „Grundsatzstrategie Digitalisierung und IT-Programmmanagement“ des BAMF. Noch im März will die Bundesbehörde mit Tests beginnen. Die Einführung des Systems erfolge aber frühestens 2018.

Zum Einsatz käme ein Verfahren zur sogenannten Sprecherauthentifizierung, wie es auch Banken und Versicherungen nutzen. Dabei wird verifiziert, ob das gesprochene Wort bekannten Sprachen oder Dialekten nahe kommt. Hierfür müsste eine Datenbank mit Trainingsdaten angelegt werden, wie ein Computerlinguist gegenüber der „Welt“ erläutert. Diese müssten möglichst repräsentativ die Gruppe der zu untersuchenden Personen abbilden und dabei das Alter und die echte Herkunft berücksichtigen. Fehlten Sprachen oder Dialekte, würde Asylsuchende aus bestimmten Regionen benachteiligt.

Mit der Technik will das BAMF über einen weiteren Indikator verfügen, um die Herkunft und Staatsangehörigkeit von Asylsuchenden festzustellen. Bis zu sechzig Prozent der seit 2015 angekommenen Geflüchteten verfügten der Behörde zufolge über keine gültigen Ausweispapiere.

Auslesen von Mobiltelefonen, USB-Sticks, Tablets, Laptops

Auch der am kommenden Donnerstag im Bundestag zu beratende Entwurf eines „Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“ setzt auf Technik zur Bestimmung der Herkunft. Neben der Einführung eines neuen Abschiebehaftgrunds für „Gefährder“, dem Zwang zum Tragen einer Fußfessel, der Ausweitung des Ausreisegewahrsams und der Rechtsgrundlage für überfallartige Abschiebungen enthält das Gesetz die Befugnis für alle Stellen des BAMF zum Auslesen von Datenträgern.

Schon jetzt können die Ausländerbehörden der Bundesländer Personen dazu zwingen, ihnen Mobiltelefone, USB-Sticks, Tablets oder Laptops auszuhändigen, um diese für die Feststellung der Identität zu nutzen. Eine entsprechende Regelung findet sich im Aufenthaltsgesetz unter § 48 Abs. 3, das die Mitwirkungspflichten bei der Beschaffung eines gültigen Identitätspapiers regelt. Die Behörden wollen auf diese Weise nachvollziehen, ob sich über angerufene Telefonnummern oder Adressbücher Hinweise auf die Herkunft oder Identität ergeben. Die Betroffenen sind laut Gesetz sogar verpflichtet, die notwendigen Zugangsdaten „für eine zulässige Auswertung“ zur Verfügung zu stellen.

Auch Telekommunikationsdienstleister zur Mitwirkung verpflichtet

Mit dem neuen Gesetz würde die Befugnis auf die einhundert Einrichtungen zur Erstaufnahme von Asylsuchenden ausgeweitet. Wie beim Aufenthaltsgesetz ist die Rede nicht nur von Mobiltelefonen, sondern „auch anderen Datenträgern, die die Betreffenden mit sich führen“. Dabei dürften die MitarbeiterInnen des BAMF notfalls auch mit Zwang auf die Herausgabe der Geräte pochen. Bleibt dies erfolglos, kann die Polizei hinzugezogen werden. Ein Richtervorbehalt ist dafür nicht vorgesehen, es genügt wie im Aufenthaltsgesetz das zweite Staatsexamen als JuristIn.

Geben die Betroffenen die Geräte nicht freiwillig heraus, wird dies als „fehlende Mitwirkungsbereitschaft“ gewertet. Laut einem FAQ-Papier des Innenministeriums könnte sich dies sogar „negativ auf die Asylentscheidung auswirken“. Sofern die Asylsuchenden den Zugang auf ihr Handy trotzdem verweigern, darf das BAMF die begehrten Informationen bei dem zuständigen Telekommunikationsdienstleister herausverlangen. Die Firmen werden laut dem Gesetzentwurf gezwungen, die Daten unverzüglich zu übermitteln. Dies könnte jene Fälle bezeichnen, in denen sich die BesitzerInnen der Geräte das Zugangspasswort verschweigen.

17.000 Euro pro „Auslesepunkt“

Die Stellen unter der Verantwortung des BAMF sollen nun mit Technik zum Auslesen der Datenträger ausgestattet werden. Das Bundesinnenministerium schätzt die Anschaffungskosten hierzu auf 3,2 Millionen Euro. Mehr als die Hälfte des Geldes wird für die forensische Hard- und Software sowie die Schulung der MitarbeiterInnen aufgewendet. Jeder einzelne „Auslesepunkt“ wird dabei mit 10.000 Euro für die Hardware und 7.000 Euro für die Softwarelizenz angesetzt. Jährlich sollen für jeden Arbeitsplatz weitere 3.000 Euro an Lizenzen gezahlt werden.

Mit einer Markterkundung will das BAMF Anbieter entsprechender Lösungen eruieren, anschließend folgt ein reguläres Vergabeverfahren. Schließlich sollen die ausgelesenen Daten in das Vorgangsbearbeitungssystem MARIS integriert werden, mit dem das BAMF die Asylverfahren protokolliert. Eine benötigte Schnittstelle und ein „Informationsmodul“ sollen insgesamt eine Million Euro kosten.

Kritik am geplanten Gesetz kommt unter anderem von Nichtregierungsorganisationen. Pro Asyl befürchtet einen „Großen Lauschangriff“ gegen Flüchtlinge und sieht das Grundrecht der Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme verletzt. Die Organisation warnt, dass sich das Auslesen persönlicher Daten vermutlich nicht auf den Zweck der Feststellung von Identität und Staatsangehörigkeit beschränkt. Tatsächlich hieß es im Referentenentwurf über Asylsuchende, dass deren „Reisewegangaben oft nicht immer klar nachvollziehbar“ seien. Möglicherweise verfolgt das Innenministerium das Ziel, über das Auslesen der Handy-Daten den Ersteinreisestaat zu bestimmen, um daraufhin nach dem Dublin-Abkommen dorthin abzuschieben.

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