Quelle: FAZ
Frauen fliehen oft aus Gründen, die wenig mit Politik zu haben. Nicht alle von ihnen können in Deutschland auf Asyl hoffen, auch wenn ein grausamer Leidensweg hinter ihnen liegt.
von Charlotte Sophie Meyn
„Einer der Gründe, weshalb ich nicht nach Gambia zurück will“, sagt Oumie Jallow, „ist, dass ich eine Tochter habe. Sie soll nicht dasselbe durchmachen wie ich.“ Gambia ist eine der schlimmsten Diktaturen des afrikanischen Kontinents. Aber die 24 Jahre alte Frau, die seit vier Jahren in Deutschland lebt, redet nicht über Politik, sondern über zutiefst persönliche Dinge- die Verstümmelung ihrer Genitalien. Als sie vier Jahre alt war, wurde sie von ihrer Familie in den Busch gebracht, nahe des Dorfs an der gambischen Küste, in dem sie mit ihrer Familie lebte. Mit einem Rasiermesser schnitt eine Frau ihre Klitoris weg. Sie berichtet, dass sie danach noch tagelang unter Fieber und Schmerzen litt.
In Gambia ist sie keine Ausnahme- ein Unicef-Report von 2013 spricht von 76 Prozent aller Frauen, die dort verstümmelt werden. Eine uralte Tradition, die nur langsam ausstirbt in einer Gesellschaft, die sich schwertut damit, Frauen eine selbstbestimmte Sexualität zuzusprechen. So sagt auch Oumie: „Wenn ich mit einem Mann schlafe, fühle ich nichts.“ Ihrer Tochter will sie nicht dasselbe antun. „Ich habe Angst, dass, wenn ich in Gambia bin und sie auch nur kurz aus den Augen lasse, meine Familie sie hinter meinem Rücken beschneiden lässt.“
Auch ihre ein Jahr ältere Freundin Adama Jallow, die ebenfalls aus Gambia kommt, den gleichen Nachnamen trägt, aber nicht mit ihr verwandt ist, wurde mit vier Jahren beschnitten. „Oft wird für Hunderte von Mädchen dasselbe Messer benutzt, ohne es zu desinfizieren“ erzählt Adama. „Dabei kann es vorkommen, dass sie sich mit Krankheiten anstecken.“ Die Frauen berichten, dass sie noch heute gelegentlich Schmerzen beim Toilettengang haben, und dass es für sie eine Tortur war, ihre Kinder zu bekommen.
Insgesamt leben in Deutschland 48.000 genitalverstümmelte Frauen; dies berichtete die Hilfsorganisation „Terre des Femmes“ vergangene Woche. Die Anzahl ist seit 2014 um 37 Prozent gestiegen; dies liegt in erster Linie daran, dass zunehmend Flüchtlinge aus Ländern wie Eritrea und Somalia ins Land gekommen sind, in denen die grausame Praxis weit verbreitet ist.
Doch dies ist nicht der einzige Grund, weshalb die beiden Gambierinnen geflohen sind. „Viele Familien in Gambia verheiraten ihre Töchter in jungem Alter an ältere Männer. Dieses Problem hatte ich auch“, berichtet Adama. Auch Oumie sollte an einen Sechzigjährigen verheiratet werden, der bereits drei Ehefrauen hatte; Polygamie ist in Gambia nicht unüblich. Ihre Partner wurden von ihren Familien nicht akzeptiert, da sie anderen Ethnien angehörten, erzählen die Frauen.
Fluchtgeschichten wie die von Adama und Oumie sind schwer überprüfbar. Fest steht aber, dass Zwangsehen in Gambia keine Ausnahme sind. Fast die Hälfte aller Mädchen wird laut einer Unicef-Studie von 2005 sogar vor dem achtzehnten Geburtstag verheiratet. Dies hat unterschiedliche Gründe: Oft geht es der Familie um den Brautpreis, aber auch die Angst, das Mädchen könne unehelich schwanger werden und den Ruf der Familie ruinieren, spielt eine Rolle.
„Zwangsheirat allein ist kein zwingender Grund für Asyl in Deutschland, das liegt im Einzelfall immer im Ermessen der Gerichte, die viele Faktoren mitberücksichtigen, Herkunftsland, Lebensumfeld, ob der Betroffenen Verfolgung droht.“, sagt Andelka Krizanovic vom Verein Pro Asyl. Das selbe gilt für Genitalverstümmelung. Diese ist als Asylgrund eher problematisch, so die Hilfsorganisation Terre des Femmes, da es nicht möglich sei, drohende Genitalverstümmelung nachzuweisen.
Oumie hat bereits Asyl bekommen und ist mit ihrer Tochter in eine eigene Wohnung in Schwäbisch Hall gezogen. Adama und ihr Sohn hingegen warten noch in ihrem Flüchtlingsheim in der gleichen Stadt auf die Anhörung. Seit Anfang des Jahres ist Genitalverstümmelung in Gambia illegal: nachdem Präsident Yahya Jammeh die Islamische Republik ausrief, erklärte er, die Praxis sei unislamisch. Oumie ist jedoch skeptisch: „Wenn Leute ihre Kinder beschneiden wollen, werden sie es weiter tun, nur heimlich.“