24. Mai 2016 · Kommentare deaktiviert für Video „Räumung Idomeni“ · Kategorien: Nicht zugeordnet

Quelle: WDR Aktuelle Stunde

24.05.2016 | 3 Min. | Verfügbar bis 24.05.2017 | Quelle: WDR

Die griechischen Behörden machen ernst: Wie angekündigt, haben sie damit begonnen, das Flüchtlingslager in Idomeni an der Grenze zu Mazedonien zu räumen. Die rund 8400 Menschen sollen in Aufnahmezentren im Landesinneren gebracht werden.

 

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siehe auch: Süddeutsche Zeitung

Keine Hoffnung mehr: Flüchtlinge von Idomeni räumen das Feld

Athen/Idomeni (dpa) – Monatelang harrten sie im Dreck aus in ihren kleinen Zelten, den Nato-Stacheldraht zur Grenze von Mazedonien fest im Blick. Nun wurde auch ihre letzte Hoffnung zerschlagen, die Grenze nach Mitteleuropa doch noch zu überqueren.

Am Dienstag haben die Flüchtlinge und Migranten von Idomeni angesichts eines gewaltigen Aufgebots der griechischen Polizei begonnen, ihre Sachen zu packen und in staatliche Flüchtlingslager umzuziehen.

Endlose Müdigkeit und vor allem Resignation stehen den Menschen aus Ländern wie Syrien, Irak und Afghanistan ins Gesicht geschrieben. An den Wegen des Lagers türmen sich Berge von Gepäck – Rucksäcke, aber auch Einkaufstaschen und Mülltüten, in denen die Flüchtlinge ihr weniges Hab und Gut verstauen und zur Abreise bereitstellen. Zelte werden abgebaut, Busse bestiegen. Manche der unfreiwilligen Passagiere winken bei der Abfahrt.

Es geht in eines der neuen Auffanglager, die von der griechischen Regierung in Windeseile organisiert wurden. Dazu hat man im ganzen Land alte Industriegebäude angemietet und ehemalige Militärkasernen reaktiviert. Rund 54 000 Flüchtlinge und Migranten sind mittlerweile in Griechenland gestrandet. Immerhin stagniert die Zahl der Neuankömmlinge seit dem Inkrafttreten des Flüchtlingspakts von EU und Türkei; derzeit setzen täglich nur ein paar Dutzend Menschen über, im Frühjahr waren es noch bis zu 3000 am Tag.

Knapp 9000 Flüchtlinge und Migranten lebten zuletzt im Camp von Idomeni und waren nicht zur Umsiedlung zu bewegen. Schlagzeilen gab es immer wieder: Mehrfach versuchten die Menschen, den Grenzzaun zu stürmen, mazedonische und griechische Grenzbeamte und Polizisten griffen mit Tränengas und Blendgranaten ein, es gab Verletzte. Beim Versuch, über einen reißenden Fluss nach Mazedonien zu gelangen, kamen sogar drei Afghanen ums Leben.

So wurde Idomeni zum traurigen Sinnbild für die Flüchtlingskrise und das Versagen europäischer Politik. Viele kamen, sich das Elend anzuschauen und zu mahnen. Der ehemalige Arbeitsminister Norbert Blüm verbrachte im März sogar medienwirksam eine Nacht in einem Flüchtlingszelt. „Bei Millionen, die in Not sind, wegzugucken“, sagte er damals entsetzt, „was ist denn das für ein Europa?“

In Griechenland fragt man sich angesichts der reibungslos gestarteten Räumung von Idomeni vor allem eines: Warum nicht schon viel früher? Seit der Nachbarstaat Mazedonien die Grenze auf Drängen Österreichs im Februar endgültig dicht machte und mehr als 13 000 Flüchtlinge über Nacht vor verschlossenen Toren standen, nahm das Elend von Idomeni seinen Lauf. Sogar den Bahnübergang besetzten die verzweifelten Menschen – der griechischen Wirtschaft entstand durch die Unterbrechung des Warenverkehrs ein Schaden in Millionenhöhe.

Doch die Regierung wollte mit Blick auf die vielen Familien mit Kindern im Lager auf Gewalt verzichten. Und diese Maßgabe bleibt auch jetzt bestehen: Flankiert von Übersetzern streiften am Dienstagmorgen friedliche Beamte durch das Lager, um die Menschen zum Packen aufzufordern. Um das Camp herum: 1400 Bereitschaftspolizisten in voller Montur, die im Falle von Gegenwehr eingreifen sollten. Daneben: Viele Busse, die die Menschen in staatliche Auffanglager bringen sollen.

Bleibt die Frage, was die Flüchtlinge nun erwartet: Die griechischen Auffanglager stehen nicht gerade im Ruf, die besten Unterkünfte zu sein. Immer wieder treten dort Flüchtlinge in den Hungerstreik, um gegen die Zustände zu demonstrieren; in der Nähe der Stadt Larissa sammelten sie sogar Skorpione und Schlangen in Einmachgläsern, um auf die Zustände im Lager aufmerksam zu machen. Ramona Lenz von der Hilfsorganisation medico international kritisiert denn auch: „Die Räumung (von Idomeni) ist eine Bankrotterklärung der europäischen Flüchtlingspolitik. Es geht nicht darum die Lage der Gestrandeten zu verbessern, sondern sie unsichtbar zu machen.“

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siehe auch: Frankfurter Rundschau

„Moralische Bankrotterklärung“

Die Räumung des Flüchtlingslager bei Idomeni an der griechisch-mazedonischen Grenze hat begonnen. Hilfsorganisationen üben heftige Kritik an der Asyl-Politik der EU.

Polizisten mit Schildern und Helmen, ein Hubschrauber am Himmel und viele leere Busse: Am frühen Dienstagmorgen hat die Räumung des improvisierten Flüchtlingscamp nahe der griechischen Ortschaft Idomeni begonnen. Schätzungen zufolge lebten dort nahe der mazedonischen Grenze noch bis zu 9000 Menschen aus Ländern wie Syrien, Irak und Afghanistan. Sie hofften auf eine Öffnung der Balkan-Route, um dann nach Mittel- und Nordeuropa weiterreisen zu können. Nach und nach sollen sie nun mit Bussen in staatliche betriebene Auffanglager gebracht werden. „Man räumt das Symbol ab, damit das Elend aus den Augen verschwindet, es wird aber nur noch schlimmer“, sagte dazu Karl Kopp, Europareferent der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl, dieser Zeitung.

Agenturmeldungen zufolge verlief die Räumung, die erst in mehreren Tagen abgeschlossen sein soll, zunächst friedlich. Am Morgen verließen bereits mehrere Busse mit einigen hundert Menschen das Camp. Eine blockierte Eisenbahnlinie dort solle in „zwei, drei Tagen“ wieder befahrbar sein, hieß es. Journalisten berichteten, dass sie daran gehindert wurden, das Vorgehen der Polizei aus der Nähe zu beobachten.

Das Zeltlager bei Idomeni war zum Symbol für die humanitäre Krise entlang der inzwischen geschlossenen Balkan-Route mitten in Europa geworden. Die Bilder gingen um die Welt: Von Zelten im Matsch, von Kindern die unter widrigsten Bedingungen dort lebten oder von den mit Tränengas zurückgeschlagenen Versuchen einiger Bewohner, die Grenze doch noch zu überwinden. Die „Orte des Transits, die Orte des Elends, die Orte der verschlossenen Grenzen“, wie Calais oder Idomeni, seien „Ausdruck des Scheiterns der europäischen Flüchtlingspolitik“, sagte Kopp am Dienstag. Den Menschen drohten in den staatlichen Camps teilweise schlechtere Zustände – und das abseits des Fokus‘ der medialen Öffentlichkeit. Die Hilfsorganisation Medico International äußerte sich ähnlich.

Es gehe nicht darum, das Idomeni-Camp zu erhalten, sondern legale Ausreisemöglichkeiten zu schaffen und die vorhandenen zu nutzen. Viele der rund 54.000 in Griechenland Gestrandeten hätten Anspruch darauf, weiterzureisen, würden aber nicht registriert. So seien die Menschen den Schleppern ausgeliefert. „Dann gilt das Gesetz des Dschungels: Die Starken kommen weiter und die Schwachen bleiben zurück.“ Es sei skandalös, dass bisher nur rund 400 Flüchtlinge über das europäische Relocation-Programm in andere Länder ausreisen konnten. „Griechenland ist insgesamt in einer schwierigen Lage, alles was dort passiert, ist Sache Europas“, so Kopp. „Im Moment haben wir dort einen Freiluftversuch und sehen zu, ob die Lage kollabiert oder nicht. Das ist eine moralische Bankrotterklärung.“

Erik Marquardt, Parteiratsmitglied der Grünen, hat das Camp nahe Idomeni mehrfach besucht, zuletzt vor zwei Wochen. Sein Eindruck von dort sei ambivalent, sagte er dieser Zeitung am Dienstag. „Mich hat beeindruckt, wie die Menschen mit der Situation umgehen, wie viel Kraft sie aufbringen, das Beste daraus zu machen.“ Viele hätten aber resigniert.

Auch Marquardt kritisiert den Umgang mit den Flüchtlingen. Deutschland habe genug Kapazitäten in Erstaufnahmeeinrichtungen, um in Griechenland festsitzende Geflüchtete aufzunehmen, sagte der 28-Jährige. Es sei eine „schäbige Situation“, dass die Menschen im Stich gelassen würden. Es müsse ein „politischer Ausweg“ gefunden werden. Die Parteivorsitzende der Grünen, Simone Peter, hatte bereits im März nach einem Besuch in Griechenland gefordert, dass Deutschland „im Alleingang die Flüchtlinge aus Idomeni aufnehmen“ sollte, solange in Europa keine Solidarität herrsche.

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