19. August 2015 · Kommentare deaktiviert für ‚Foto von Flüchtlingen auf Kos: „Noch nie hat mich eine Situation so berührt“‚ · Kategorien: Griechenland · Tags:

Quelle: Spiegel Online

Sonnenaufgang auf Kos, Flüchtlinge schleppen sich an den Strand. Daniel Etter hat eine Familie bei der Ankunft auf der griechischen Insel fotografiert. Das Bild geht um die Welt. Im Interview erzählt er, wie es entstanden ist.

Von Kevin Hagen

Laith Majid ist ein Mann wie ein Bär. Mächtige Unterarme, Dreitagebart, ein Gesicht, als habe er schon so manche Rauferei durchgestanden. Jetzt steht Majid da, seine Tochter, seinen Sohn, seine Frau eng umschlungen. Majid weint: Sie leben.

Hunderte Flüchtlinge kommen jeden Tag am Strand der griechischen Insel Kos an. Flüchtlinge, die in winzigen, wackligen Booten von der Türkei aus versuchen, in die EU zu gelangen. Flüchtlinge wie der Syrer Majid und seine kleine Familie. Daniel Etter hat sie getroffen, hat den Moment ihrer Ankunft im Morgengrauen festgehalten. Es ist ein besonderes Foto, mit dem die renommierte „New York Times“ ihre Flüchtlingsberichterstattung illustriert. Ein Foto, das tausendfach in den sozialen Netzwerken geteilt wird. Es geht um die Welt.

„Damit habe ich nicht gerechnet“, sagt Etter. Der 34-Jährige lebt in Barcelona. Als freier Fotograf reist er zu den Orten, an denen die Flüchtlingskrise ein Gesicht hat. „Vielleicht bin ich nicht der emotionalste Mensch“, schreibt Etter auf Facebook, aber Majids Reaktion „bringt mich immer noch zum Weinen“. Auf SPIEGEL ONLINE erzählt er die Geschichte des Bildes.

SPIEGEL ONLINE: Herr Etter, Ihr Foto zeigt eine sehr emotionale Szene auf Kos. Fällt es Ihnen in solchen Momenten schwer, Ihre Arbeit zu machen?

Daniel Etter: Nein, da bin ich völlig auf meine Arbeit konzentriert. Es geht alles wahnsinnig schnell, die Boote kommen an, alle wollen sofort vom Strand weg. Aber natürlich war das ein sehr emotionaler Moment, auch für mich. Laith Majid wirkt ja nicht gerade gefühlsduselig. Dann mitzuerleben, wie all die Angst und die Sorgen um die Familie von ihm abfallen, war sehr bewegend. Bei mir kam das alles später hoch, als ich das Foto immer wieder angesehen habe. Mir sind immer wieder die Tränen gekommen. Das ist mir noch nie vorher passiert.

SPIEGEL ONLINE: Wie ist das Bild entstanden?

Etter: Ich bin gegen 4.30 Uhr an den Strand von Kos gegangen. Die meisten Flüchtlinge kommen während des Sonnenaufgangs an. Ich habe in der Ferne das kleine Schlauchboot entdeckt. Zwölf Personen saßen darin, ausgelegt war es vielleicht für drei oder vier. Nach über zwei Stunden Fahrt hatte das Boot Luft verloren, Wasser war hineingelaufen, die Flüchtlinge waren durchnässt, als sie am Ufer ankamen. Sie waren dann völlig erleichtert, heil angekommen zu sein.

SPIEGEL ONLINE: Was wissen Sie über die Familie, die Sie fotografiert haben?

Etter: Sie kommen aus Deir ez-Zor, einer syrischen Stadt, die seit Jahren im Kampf zwischen Islamisten und der Regierung in Grund und Boden bombardiert wird. So lange es irgendwie ging, haben sie es dort ausgehalten. Sie wollten nicht weg. Die Mutter arbeitete als Englischlehrerin. Jetzt sucht die Familie nach einem Ort, an dem ihre Kinder sicher leben können. Sie wollen nach Deutschland.

SPIEGEL ONLINE: Wie hat die Familie auf Sie reagiert?

Etter: Die haben mich zunächst überhaupt nicht wahrgenommen. In diesem Moment kam bei ihnen alles zusammen: Die Freude, es geschafft zu haben; die Liebe für die Familie; die Trauer über das, was früher war. Ich war aber dann länger mit ihnen unterwegs, habe ihnen erklärt, wo sie sich melden müssen. Als sie mich ein bisschen kennengelernt haben, waren sie wahnsinnig liebenswert.

SPIEGEL ONLINE: Was ist aus ihnen geworden?

Etter: Ich habe sie noch einmal in Kos getroffen. Da haben sie in einem einfachen Zelt an der Strandpromenade übernachtet. Die Tochter hatte nach der anstrengenden Reise hohes Fieber, auch der Sohn hat die ganze Zeit geschlafen. Am Abend wollten sie auf die Fähre gehen, die als eine Art Auffanglager dienen soll. Ob sie das geschafft haben, weiß ich nicht.

SPIEGEL ONLINE: Haben Sie die vielen positiven Reaktionen auf das Bild überrascht?

Etter: Ich wusste schon, dass das ein gutes Bild ist. Ich arbeite seit ein paar Jahren als Fotograf und habe viele emotionale Szenen erlebt. Aber es hat mich noch nie eine Situation so berührt wie diese. So etwas in einem Bild einfangen zu können, ist der Grund, warum ich Fotojournalist bin. Ich hatte aber nicht damit gerechnet, dass das Foto auch so viele andere Menschen bewegt. Das ist ein tolles Gefühl.

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