06. Juli 2016 · Kommentare deaktiviert für „GIZ-Bericht: Mehr Hilfe gegen die Fluchtursachen“ · Kategorien: Afrika, Deutschland, Europa

Quelle: Handelsblatt

Angesichts der Flüchtlingskrise drängen die EU-Staaten darauf, Krisenregionen zu stabilisieren, um Flüchtlingsströme zu verhindern oder einzudämmen. Die klassische Hilfe zur Selbsthilfe reicht da nicht mehr.

Donata Riedel

Deutschland beschränkt sich bei der Unterstützung armer Länder nicht mehr allein auf Hilfe zur Selbsthilfe. Mit der direkten Entwicklungs- und Aufbauhilfe, vor Ort umgesetzt von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), will die Bundesregierung inzwischen gezielt Flüchtlingsströme eindämmen. Und dass die EU in Afrika auch die Ausbildung militärischer Kräfte unterstützen will, damit die nächste Rebellentruppe nicht gleich die frisch gebohrten Brunnen wieder zerstört, findet, wenn auch verhalten, Zustimmung in der Großen Koalition.

„Dies kann in bestimmten Fällen zur Schaffung von Stabilität und Sicherheit dort beitragen. Das Konzept der vernetzten Sicherheit sieht ohnehin ein Ineinandergreifen von militärischen und entwicklungspolitischen Maßnahmen vor“, sagte die für Entwicklungspolitik zuständige Unionsfraktionsvize Sabine Weiss. Allerdings findet sie: Finanzieren sollte dies die EU nicht aus dem Entwicklungshilfetopf, sondern sie müsse eine andere Lösung finden.

Wie die Nachrichtenagentur AFP berichtet, will die EU-Kommission „in einigen eng gefassten Sonderfällen“ auch Streitkräfte in Entwicklungsländern, etwa mit Ausbildern, in die Lage versetzen, für Sicherheit zu sorgen. Es geht dabei um Mittel aus dem „Instrument für Stabilität und Frieden“ der EU, ein Topf mit 2,3 Milliarden Euro für die Jahre 2014 bis 2020. Bisher fließen die Mittel in die Ausbildung von Polizisten und die Unterstützung von Bürgerinitiativen, die sich um Konfliktbewältigung vor Ort bemühen. Der Grünen-Abgeordnete Reinhard Bütiköfer sprach von einem „Tabubruch“, denn die EU-Kommission will jetzt auch die Streitkräfte in Mali oder Somalia, die von Armeen der EU-Staaten ausgebildet werden, direkt unterstützen.

Hintergrund ist die Flüchtlingskrise: Die Regierungen der EU-Staaten, einschließlich der deutschen, drängen darauf, Krisenstaaten zu stabilisieren, um Flüchtlingsströme zu verhindern. Grüne und Linke kritisieren, dass so „fragwürdige Grenzregime zur Flüchtlingsabwehr“ gefördert würden.

Allerdings machen auch deutsche Entwicklungshelfer die Erfahrung, dass ihre Aufbauarbeit vergeblich bleibt, wenn es den Regierungen der Entwicklungsländer nicht gelingt, Sicherheit herzustellen: Etwa im Norden Nigerias, wo die Terrorgruppe Boko Haram agiert. Die GIZ etwa hat ihr Sicherheits-Analysezentrum von drei auf 14 Mitarbeiter aufgestockt. Das Entwicklungsministerium tauscht inzwischen gezielt Erfahrungen mit der Bundeswehr aus, etwa in Mali.

„Moralisch inakzeptabel“

Fluchtursachen vor Ort bekämpfen, lautet das übergeordnete Ziel der schwarz-roten Koalition. Seit vergangenem Jahr heißt dies auch, dass die zusätzlichen Mittel aus dem Entwicklungsetat in die Flüchtlingscamps in Jordanien, dem Libanon, dem Irak und der Südosttürkei fließen. „Die Menschen wollen nah ihrer Heimat bleiben“, sagte GIZ-Chefin Tanja Gönner auf der Bilanzpressekonferenz ihrer Organisation am Dienstag. „Keine Perspektive für ihre Kinder zu haben, lässt Eltern weiter flüchten.“

Um das zu verhindern, baut die GIZ in den Camps Schulen: Bis zum Ende des nächsten Schuljahres soll jedes Flüchtlingskind in den drei Ländern einen Schulplatz haben. Für Jugendliche schafft die GIZ Ausbildungsplätze, vorrangig in Berufen, die später beim Wiederaufbau der Kriegsländer Syrien und Irak gefragt sein werden, etwa auf dem Bau. Erwachsene sollen durch das Programm „Work for cash“ Arbeit in den Lagern finden; etwa indem sie eine funktionsfähige Abfallbeseitigung organisieren. 30.000 Menschen finden in dem Programm in diesem Jahr bezahlte Arbeit, 150.000 Menschen fänden so ein Auskommen, so die GIZ.

Die deutsche Hilfe kommt dabei auch den Gemeinden zugute, in denen die Camps liegen. Die Mittel für diese Hilfen wurde von 179 Millionen Euro des Jahres 2015 auf 408 Millionen Euro im ersten Halbjahr dieses Jahres aufgestockt.

Die Gründlichkeit, mit der der Leitsatz, Flüchtlingen nahe ihrer Heimat zu helfen, umgesetzt wird, wirkt auch auf die Verhandlungen der EU mit Tunesien und Marokko: Beide Länder sollen nicht nur eigene Staatsangehörige, sondern auch Menschen aus anderen afrikanischen Staaten, die über Marokko und Tunesien nach Europa geflohen sind, zurücknehmen. Im Gegenzug fließt mehr Entwicklungshilfe.

Auf dem letzten EU-Gipfel hatten die Staats- und Regierungschefs der EU beschlossen, „wirksame Anreize“ für ausgewählte Staaten in Afrika zu schaffen, um Flüchtlingsströme zu reduzieren und „irreguläre Einwanderer“ in ihre Heimat zurückzubringen. Der Zustrom von Menschen über Libyen nach Italien müsse verringert werden, forderte der Gipfel – auch, um zu verhindern, dass immer mehr Menschen auf der gefährlichen Überfahrt im Mittelmeer ertrinken.

Als „moralisch inakzeptabel“ kritisiert dies die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl. Die Entwicklungshilfe werde daran gekoppelt, „dass die Empfängerländer bereit sind, für Europa die Drecksarbeit zu machen“, sagte der Geschäftsführer der Flüchtlingshilfsorganisation, Günter Burkhardt: Das Ziel sei, dass kein Flüchtling mehr die Festung Europa erreiche.

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Quelle: Spiegel Online

Krisenstaaten: EU-Kommission will Entwicklungshilfe für Militär ausgeben

Die EU-Kommission will Entwicklungshilfegelder dazu nutzen, das Militär in Krisenstaaten zu stärken. Selbst die eigenen Juristen haben Bedenken.

Von Markus Becker, Brüssel

Frieden und wirtschaftliche Entwicklung hängen eng zusammen – das ist das offizielle Mantra der EU. Jetzt aber will die Kommission beides auf eine Art vermengen, die sowohl rechtlich als auch politisch heikel ist: Mittel aus der Entwicklungshilfe sollen dafür genutzt werden, das Militär und die Sicherheitskräfte von Krisenstaaten zu unterstützen.

Eine entsprechende Änderung des sogenannten Instruments für Stabilität und Frieden (ISP) will die EU-Kommission voraussichtlich am Dienstag in Straßburg beschließen und dann dem Europaparlament und dem Rat der EU-Mitgliedstaaten vorlegen.

Das ISP ist laut Kommission „eines der wichtigsten Instrumente für die Außenhilfe“, es verfügt für die Jahre 2014 bis 2020 über ein Budget von rund 2,3 Milliarden Euro. Laut dem Änderungsentwurf, der SPIEGEL ONLINE vorliegt, sollen mit ISP-Mitteln künftig auch Militärs unterstützt werden, sofern es um das „übergeordnete Ziel“ einer nachhaltigen Entwicklung gehe. Konkret genannt werden „Ausbildung, Betreuung und Beratung, die Lieferung von Ausrüstung, die Verbesserung von Infrastruktur“.

Voraussetzung sei, dass Stabilität, Sicherheit und Entwicklung nicht von zivilen Kräften gewährleistet werden können oder der gesamte Staat nicht mehr funktioniere. Zudem sollen die EU-Gelder ausdrücklich nicht für den Kauf von Waffen und Munition oder für reines Kampftraining verwendet werden.

100 Millionen Euro aus Topf für Armutsbekämpfung

Wie viel Geld für die Militärhilfe ausgegeben werden und woher es kommen soll, steht in dem Entwurf nicht. Ideen aber gibt es. So hat der EU-Generaldirektor für Internationale Zusammenarbeit und Entwicklung, Fernando Frutuoso de Melo, in einem Rundschreiben vom November 2015 vorgeschlagen, Geld aus anderen Töpfen umzuwidmen. Für die Jahre 2016 bis 2018 könnten rund 100 Millionen Euro an ungenutzten Mitteln aus dem Instrument für Entwicklungszusammenarbeit entnommen werden, das eigentlich zur Bekämpfung von Armut gedacht ist.

Der Vorschlag zur Erweiterung des ISP um eine militärische Komponente ist das Ergebnis intensiven Drucks mehrerer EU-Staaten. Aktueller Hintergrund ist der weiterhin ungebremste Zustrom von Migranten aus Nordafrika. Anders als die Türkei, mit der die EU bereits einen umstrittenen Flüchtlingspakt geschlossen hat, verfügen Staaten wie Libyen, Mali oder Niger weder über die Mittel noch die Strukturen, um große Zahlen von Migranten aufzuhalten oder zurückzunehmen. Eine Stärkung der Sicherheitskräfte dieser Länder soll helfen, das zu ändern.

Im April haben Deutschland, Belgien, Tschechien, Finnland, Frankreich, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Portugal und Spanien in einem Grundsatzpapier die Verschmelzung militärischer und ziviler Komponenten gefordert, um einen „ganzheitlichen Ansatz“ in der Sicherheits- und Entwicklungspolitik zu erreichen. Und das EU-Instrument für Stabilität und Frieden sei kurzfristig das beste Mittel, dieses Ziel zu erreichen, hieß es in dem Papier. Nun scheint es so, als hätte die Kommission den Wunsch erhört.

Kritik von Juristen

Doch das Vermischen von Entwicklungshilfe und Sicherheitspolitik stößt nicht nur bei Hilfsorganisationen auf oft scharfe Kritik. Auch der Europäische Gerichtshof hat derartige Versuche bereits mehrfach gestoppt. 2007 etwa wollte die EU-Kommission ein Grenzschutzprojekt auf den Philippinen mit Geldern aus einem Entwicklungshilfetopf für Asien und Lateinamerika finanzieren – und scheiterte am Widerspruch der Richter.

Gegen die jetzt anstehende Änderung des ISP hat der Rechtsdienst der Kommission selbst Bedenken angemeldet. Die Finanzierung des Militärs „kann nicht gleichzeitig Teil der Entwicklungszusammenarbeit der EU und ihrer gemeinsamen Sicherheits- und Außenpolitik sein“, warnten die Fachleute in einer Stellungnahme vom 24. Mai. „Insbesondere für Interventionen in Entwicklungsländern bieten die EU-Verträge nicht die notwendigen Befugnisse, Streitkräfte von Drittstaaten zu finanzieren.“ Auch der juristische Dienst des Europäischen Rats hat im Dezember Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Kommissionsplans geäußert.

Bei der Kommission gibt man sich dagegen unbeirrt. „Der Vorschlag wird auf juristisch sicherem Boden stehen“, sagte eine EU-Beamtin. Entwicklung und Sicherheit „gehen Hand in Hand.“ Deshalb wolle die Kommission alle Akteure auf dem Gebiet der Sicherheit unterstützen – „und in besonderen Fällen auch das Militär“.

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