11. August 2015 · Kommentare deaktiviert für „Wir haben nichts“ · Kategorien: Balkanroute, Bulgarien, Serbien

Quelle: Sieh die Welt

Flüchtlingsansturm auf serbische Kleinstadt

Der Ort Preševo in Ser­bien erlebt der­zeit einen Flücht­lings­an­sturm. Die Men­schen wei­chen hier­her aus, weil das EU-Land Bul­ga­rien seine Gren­zen dicht macht. Nie­mand in der Klein­stadt ist dar­auf vor­be­rei­tet. Die huma­ni­tä­ren Umstände sind ent­spre­chend verheerend.

von HAUKE HEUER

Das ist also der Arsch der Welt“, sagt mein guter Freund Daniel und schüt­telt ungläu­big mit dem Kopf. Wir waren nach Preševo in Süd­ost­ser­bien gekom­men, um einen ehe­ma­li­gen Kom­man­dan­ten der alba­ni­schen Unter­grund­ar­mee UÇK zu inter­viewen. Die Klein­stadt wirkte wie aus­ge­stor­ben, wie eine ver­las­sene Wes­tern­stadt inmit­ten der ärms­ten Region Ser­bi­ens. Einer jener Orte, in dem die brau­nen Zie­gel­mau­ern Ohren haben und maro­die­rende Kin­der­ban­den mit gro­ßen Augen hin­ter den Ecken lau­ern und einen auf Schritt und Tritt beschat­ten. Ich war froh, als wir den Ort wie­der ver­las­sen konn­ten. Das war vor eini­gen Wochen.

Nun ist es Anfang Juli und ich schlu­cke ordent­lich als eine ser­bi­sche Kol­le­gin mir rät: „Fahr nach Preševo. Da ist im Moment die Hölle los.“ Die 35.000-Seelen-Gemeinde solle seit rund zwei Wochen einem Flücht­lings­la­ger glei­chen. Immer mehr Men­schen wäh­len die Route über Süd­ser­bien, um nach Mit­tel­eu­ropa zu gelan­gen. Der Grund: Die Sicher­heits­vor­keh­run­gen an der nahe­ge­le­ge­nen bul­ga­ri­schen Grenze wer­den per­ma­nent ver­schärft. Ein Durch­kom­men ist dort kaum noch möglich.

Flüchtlings-Kolonnen

Gemein­sam mit Mit­ar­bei­tern der ser­bi­schen NGO „Cen­tar E8“ will ich die Situa­tion begut­ach­ten. Schon auf der Schnell­straße sehen wir die ers­ten Kolon­nen. Große Grup­pen mar­schie­ren von Preševo aus nach Nord­ser­bien. Sie tra­gen kaum Gepäck – nur ihre Schlaf­sä­cke am Gür­tel. Die Frage nach dem Weg erüb­rigt sich. Ein jun­ger Mann schwenkt bereits die Hand­flä­che, wie die Kelle eines Ver­kehrs­po­li­zis­ten, als wir die Scheibe her­un­ter­las­sen und zeigt unmiss­ver­ständ­lich in Rich­tung Zen­trum, in Rich­tung Poli­zei­sta­tion. Wir par­ken den Wagen unweit der Moschee. Als wir aus­stei­gen, ruft der Muez­zin auf­fal­lend lei­ernd zum Gebet. „Das kommt nur vom Band. Mehr kann man sich hier nicht leis­ten“, sagt eine meine Begleiterinnen.

In den Stra­ßen rund um die Poli­zei­sta­tion bestä­ti­gen sich die Berichte mei­ner Kol­le­gin. Hun­derte Män­ner, Frauen und Kin­der – vor­wie­gend aus dem Mitt­le­ren Osten sowie Nord- und Zen­tral­afrika – hocken auf den Bord­stei­nen oder direkt auf der Stra­ßen und war­ten auf ihre Doku­mente für die Wei­ter­reise in Rich­tung Ungarn.

Über­all liegt Müll. Leere Plas­tik­fla­schen und Ver­pa­ckun­gen fül­len den Stra­ßen­gra­ben. Die Mas­sen drän­gen sich dazwi­schen unter den Bäu­men, um Schutz im Schat­ten zu fin­den. Einige hän­gen mit allen vier Glied­ma­ßen am Zaun der Poli­zei­sta­tion und ver­su­chen mit der Hand­voll Poli­zis­ten zu ver­han­deln, die das Gelände vor der Stür­mung sichern. Die Beam­ten rea­gie­ren nicht, sie tra­gen Mund­schutz, wie man ihn aus Kran­ken­häu­sern kennt, und Gummihandschuhe.

Die Ner­ven lie­gen blank

Wir tre­ten mit halb geho­be­nen Hän­den durch das Tor und suchen das Gespräch mit dem rang­höchs­ten Uni­form­trä­ger. Der zeigt sofort mit dem Fin­ger ent­ge­gen unse­rer Lauf­rich­tung. Wir dis­ku­tie­ren, fra­gen nach kon­kre­ten Zah­len. „Bis vor ein paar Wochen sind hier 20 bis 30 Per­so­nen am Tag auf­ge­taucht. Heute regis­trie­ren wir bis zu 600 Men­schen täg­lich“, nuschelt der Poli­zist durch sei­nen Mund­schutz und schiebt uns bestimmt Rich­tung Aus­gang. „Wie ist die Situa­tion?“, fragt meine ser­bi­sche Beglei­te­rin. „Wir sind zu wenige und voll­kom­men über­for­dert. Das sehen sie doch!“, ant­wor­tet der Beamte denk­bar pat­zig und schließt mit einem lau­ten Knall hin­ter uns das Tor. Die Ner­ven lie­gen blank.

Wie­der auf der Straße wird die Über­for­de­rung sicht­bar – es geht ein­fach nichts voran. Lange Schlan­gen bil­den sich vor einem pro­vi­so­ri­schen Büro gegen­über der Poli­zei­sta­tion. Num­mern wer­den mit schwar­zer Tinte auf die Hand­rü­cken der War­ten­den geschrie­ben – die Ein­tritts­karte für den umzäun­ten Hof der Poli­zei. Hier gibt es die eigent­li­chen Doku­mente. Teil­weise müs­sen die Flücht­linge bis zu drei Tage war­ten bis sie das ent­spre­chende Papier in der Hand halten.

Wäh­rend­des­sen brennt die heiße Bal­kan­sonne und die zwei ein­zi­gen gro­ßen blauen Was­ser­ka­nis­ter sind leer. Ein­mal am Tag kom­men die Hel­fer des Ser­bi­schen Roten Kreu­zes und ver­tei­len Lebens­mit­tel. Nur unge­fähr ein Drit­tel der Men­schen erhält eine Ration. Der Rest wird auf den Fol­ge­tag ver­trös­tet. „Wir haben nichts! Unser Essen geben wir den Kin­dern und den Alten“, sagt Muham­med aus Damas­kus, der mit sei­ner sie­ben­köp­fi­gen Fami­lie auf dem Weg nach Deutsch­land ist, um dem syri­schen Bür­ger­krieg zu entkommen.

Berichte von Miss­hand­lung durch maze­do­ni­sche Polizei

Gemein­sam mit sei­nem Vater und der klei­nen Schwes­ter steht Muham­med am ein­zi­gen Was­ser­hahn, den die Bevöl­ke­rung den Flücht­lin­gen zur Ver­fü­gung gestellt hat und füllt Plas­tik­fla­schen auf. In Maze­do­nien sei es ihm noch schlim­mer ergan­gen, berich­tet er. „Die Poli­zei in Maze­do­nien hat uns ein­fach ange­hal­ten, mit Knüp­peln geschla­gen und Geld gefor­dert, damit sie wie­der verschwinden“.

Ins­ge­samt 500 Euro habe Muham­meds rund 20-köpfige Rei­se­gruppe her­aus­rü­cken müs­sen, um die Poli­zis­ten zu befrie­den. Es ist eine unter vie­len ver­gleich­ba­ren Erfah­run­gen, von denen die Flücht­linge aus dem Nach­bar­land berich­ten. Seit Mona­ten lei­det Maze­do­nien unter innen­po­li­ti­schen Kon­flik­ten und gewalt­tä­ti­gen Aus­schrei­tun­gen. Im ser­bi­schen Preševo fühlt sich der ehe­ma­lige Archi­tek­tur­stu­dent des­halb rela­tiv sicher.

Zudem ist die alba­ni­sche Bevöl­ke­rung hier über­wie­gend mus­li­misch und auch die Flücht­linge kom­men meist aus mus­li­mi­schen Län­dern. Sie hof­fen in Preševo daher auf mehr Soli­da­ri­tät als in den christ­li­chen Nach­bar­re­gio­nen. Der alba­ni­sche Serbe Agon Ajeti möchte diese Hoff­nung nicht ent­täu­schen. „Als immer mehr Men­schen in unse­ren Ort kamen, haben wir leer­ste­hende Gebäude zumin­dest für die Fami­lien zur Ver­fü­gung gestellt und ver­sucht, soviel Trink­was­ser und Nah­rungs­mit­tel auf­zu­trei­ben, wie wir konn­ten“, sagt er.
Ajeti führt uns durch die not­dürf­tig mit Decken aus­ge­leg­ten Abriss­häu­ser, die in sei­nem Besitz sind. Auf den nack­ten Beton­bö­den lie­gen ein paar Decken. Nur wenn es reg­net, dür­fen Hun­derte der Frem­den in die nahe­ge­le­gene Gast­stätte von Faz­lin Bes­nir, in der sonst Hoch­zei­ten gefei­ert werden.

Von ser­bi­scher Regie­rung allein gelassen

Gemein­sam mit meh­re­ren Män­nern aus Preševo sit­zen wir im Saal der Gast­stätte und lau­schen. Sie alle sind empört, mit der Lage in ihrem Ort über­for­dert und füh­len sich von der ser­bi­schen Regie­rung, die die alba­ni­schen Gebiete tra­di­tio­nell links lie­gen lässt, allein gelassen.

Ajeti, ein groß­ge­wach­se­ner jun­ger Mann in den Drei­ßi­gern, ergreift das Wort: „Wir rufen die Euro­päi­sche Union und NGOs auf, uns zu hel­fen. Wir brau­chen ein­fach alles“, sagt er mit erns­ter Miene. Seine Mit­strei­ter nicken bestimmt. „Die Flücht­linge sind unsere Brü­der. Sie kom­men zu uns, weil sie die Moschee sehen und wis­sen, dass ihnen hier gehol­fen wird. Und natür­lich hel­fen wir, denn wir Alba­ner wis­sen, wie es ist, auf der Flucht zu sein“, sagt ein jun­ger Mann und fügt kopf­schüt­telnd hinzu, „alles orga­ni­sie­ren wir sel­ber: Unter­künfte, Essen, Was­ser, Win­deln und Ärzte, aber unsere Kapa­zi­tä­ten sind über­schrit­ten. Diese Stadt ist sehr arm. Mit die­ser Ent­wick­lung hat nie­mand gerechnet“.

Wir gehen zurück zu den Flücht­lin­gen und suchen das Gespräch. Die Stim­mung ist gespannt. Schnell sind wir von meh­re­ren Dut­zend Men­schen umringt, die sich gegen­sei­tig schub­sen, wild durch­ein­an­der reden und hof­fen, von uns Infor­ma­tio­nen zu erhal­ten, die ihre Wei­ter­reise beschleu­ni­gen. Sie grei­fen nach jedem Stroh­halm. Den meis­ten Män­nern sieht man die Stra­pa­zen ihrer Reise an. Sie wir­ken müde, aus­ge­mer­gelt und rastlos.

“Unser Haus ist zerbombt”

Der Paläs­ti­nen­ser Rodi spricht am bes­ten Eng­lisch. Sein Dorf nahe Damas­kus sei von der Ter­ror­mi­liz Isla­mi­scher Staat ange­grif­fen wor­den. “Unser Haus ist zer­bombt”, sagt er. Nun sucht er Zuflucht und ein bes­se­res Leben in Europa. „Wir rei­sen in Grup­pen. Nur so sind wir geschützt. Dafür dau­ert es Tage bis alle ihre Doku­mente haben“, erklärt Rodi. Es sei nicht gut, ein­fach nur auf der Stelle zu sit­zen und zugrunde zuge­hen. Er wolle ein­fach nur noch wei­ter. Nach Ungarn und von dort aus nach Deutsch­land. „Ich will mög­lichst schnell die Spra­che ler­nen und stu­die­ren. Damit meine Fami­lie stolz auf mich sein kann. Zurück kann ich nicht“, sagt der 26-Jährige und lüf­tet sein Basecap.

Weil ich weiß, wie man in Europa und Deutsch­land mit Flücht­lin­gen umgeht, ver­su­che ich Rodi zu erklä­ren, dass das nicht so leicht sein wird. Dass es wahr­schein­lich schwer sein wird, eine Auf­ent­halts­ge­neh­mi­gung zu bekom­men. Ich ernte reihum ent­täuschte Bli­cke. Gefolgt von Widerworten.

Viele der Flücht­linge hier wur­den in Grie­chen­land regis­triert. Die Poli­zei greift die Men­schen auf, meist nach­dem sie die Ägäis mit einem Boot über­quert haben, und nimmt Fin­ger­ab­drü­cke. Einen Antrag auf Asyl stel­len die Flücht­linge in Grie­chen­land meist nicht, denn sie wol­len nach Mit­tel­eu­ropa. Und die Grie­chen las­sen sie zie­hen. Dass die Flücht­linge in den mit­tel­eu­ro­päi­schen EU-Staaten aber Gefahr lau­fen, wie­der zu den kri­sen­ge­plag­ten Hel­le­nen abge­scho­ben zu wer­den, ist ihnen nicht bekannt.

Immer mehr Men­schen scha­ren sich um uns, wäh­rend wir die euro­päi­sche Flücht­lings­po­li­tik erklä­ren. Meh­rere Män­ner über­set­zen simul­tan aus dem Eng­li­schen. Doch die Flücht­linge schüt­teln ungläu­big mit dem Kopf. Zu groß ist ihre Hoff­nung. Zu nah ist das Ziel Mit­tel­eu­ropa. Sie klam­mern sich an ihren Optimismus.

Rote Kreuz scheint überfordert

Kurz vor unse­rem Auf­bruch bah­nen sich zwei Wagen des Ser­bi­schen Roten Kreu­zes ihren Weg durch die war­tende Men­schen­masse. Es wer­den Nah­rungs­mit­tel ver­teilt – wie­der ein­mal zu wenig. Wir spre­chen einen Hel­fer auf die feh­len­den Zelte an – es wur­den bis­her nur zwei auf­ge­stellt – und fra­gen nach dem Grund für die unzu­rei­chende Wasserversorgung.
Erst will der Hel­fer nicht mit uns reden und schaut weg. Wir fra­gen noch ein­mal nach. „Das wird sich mor­gen alles ändern. Wir tun, was wir kön­nen. Hier gibt es kein Pro­blem“, blafft der Mann ent­nervt zurück – auch das Rote Kreuz scheint über­for­dert. Nur eines ist sicher: Die Abrie­ge­lung der EU-Grenze in Bul­ga­rien hält die Flücht­linge nicht auf. Sie treibt die Men­schen durch eine der der­zeit ärms­ten und poli­tisch insta­bils­ten Regio­nen Euro­pas. Das Elend ist vorprogrammie

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