02. Juli 2018 · Kommentare deaktiviert für Das Geschäft mit den Flüchtlingen · Kategorien: Afrika, Deutschland, Europa · Tags:

FAZ | 01.07.2018

Rainer Hank

Auffanglager für Migranten in Drittstaaten (gemeint ist: Afrika) sollen Flüchtlinge künftig davon abhalten, den riskanten Weg nach Europa auf sich zu nehmen. Das ist einer der zentralen Beschlüsse des EU-Gipfels Ende vergangener Woche in Brüssel. In sogenannten „regionalen Anlandungszentren“ könnten Schutzersuchen geprüft werden. Dadurch erhofft man sich eine abschreckende Wirkung auf Migranten.

Die Idee klingt verlockend: Die EU würde sich das ganze unappetitliche Geschachere um Dublin III ersparen, wenn ein Großteil der Flüchtlinge gar nicht erst in Europa aufschlüge, sondern schon vor der Außengrenze abgefangen würde. Doch die EU hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Bislang hat sich noch kein Land gefunden, das bereit ist, solche Anlandungszentren zu errichten.

Die afrikanischen Staaten wären auch schön blöd, muss man hinzufügen. Denn Flüchtlinge sind ein Geschäft für sie. Migration lohnt sich (meistens) nicht nur für die Auswanderer, sondern (fast immer) für ihre Heimatländer. Dort nämlich lindern sie den vom raschen Bevölkerungswachstum erzeugten Druck und entlasten den heimischen Arbeitsmarkt. Einmal angekommen, alimentieren die Migranten ihr Heimatland, weil sie einen Teil ihres für afrikanische Verhältnisse hohen Erwerbs- und Transfereinkommens nach Hause überweisen. Weil die afrikanischen Staaten sich wie ein Homo oeconomicus verhalten, haben sie die EU längst diskret wissen lassen, dass die Einrichtung regionaler Anlandezentren einen hohen Preis hätte: Europa müsste den erwarteten Ausfall der Einnahmen aus der Flüchtlingsindustrie mit viel Geld kompensieren. Es wäre der Preis für relative Ruhe in einem ziemlich aus den Fugen geratenen Europa.

Reicheres Land – mehr Migranten

Wer sagt, das alles sei ein zynisches Geschäft, muss hinzufügen, dass die EU solche Gegengeschäfte seit langem betreibt, allerdings mit unzureichenden Mitteln und kontraproduktiven Folgen. Unter dem moralisch schöngefärbten Namen „Fluchtursachen bekämpfen“ wurden zuletzt die Ausgaben für Entwicklungshilfe erhöht, um Armut zu lindern. Bessern sich die wirtschaftlichen Verhältnisse in den Entwicklungsländern, schwände der Anreiz zur Migration, so das Kalkül der Europäer.

Inzwischen ist durch eine erdrückende Zahl von Studien belegt, dass das Gegenteil passiert: Eine mit Entwicklungsgeldern erreichte Verbesserung der Einkommen in den armen Ländern führt auf lange Zeit zu mehr und nicht zu weniger Migration. Auswanderung muss man sich leisten können; sie hat hohe Investitionskosten. Mit dem höheren Einkommen können Flugtickets bezahlt und Schleuser entlohnt werden. So nährt paradoxerweise die Entwicklungshilfe die Zunahme der Flucht, die sie eigentlich eindämmen wollte. Anstatt weniger Flüchtlingen kommen noch mehr Flüchtlinge. Die Möglichkeiten auszuwandern werden sogar größer, weil Länder, aus denen viele Menschen kommen, noch mehr Entwicklungshilfe erhalten, die als Halteprämie wirken soll, in Wahrheit aber zum Fluchtbeschleuniger wird.

Was kann man tun? Schwer zu sagen. Geld für die Entwicklungshilfe durch Geld für die Auffanglager zu ersetzen böte Entwicklungsländern willkommene Einnahmen, deren korrekte Verwendung schwer zu überwachen wäre. Die Entwicklungshilfe einzustellen ist auch keine Lösung, obwohl sie in ihrer Wirkung umstritten ist. Aber es gibt bessere und weniger gute Entwicklungshilfe: Bessere Entwicklungshilfe kümmert sich um den Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen, um das Vertrauen der Menschen in ihren Staat zu entwickeln und lokale Märkte entstehen zu lassen. Europa müsste zudem endlich seine Handels-, Agrar- und Fischereipolitik liberalisieren und die Exportsubventionen für seine Bauern streichen. Doch solche „Fluchtursachen“ anzupacken gilt der EU als Tabu.

Und wohlgemerkt: Es sollte nicht darum gehen, Migration zu verhindern. Es geht darum, die Kontrolle zurückzuerhalten.

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