19. Juli 2017 · Kommentare deaktiviert für „Aufruhr im Lager auf Lesbos“ · Kategorien: Griechenland, Türkei · Tags: ,

Telepolis | 19.07.2017

Mehr als zwei Jahre nach dem offenen Ausbruch der Flüchtlingskrise hat sich europaweit die frühere Willkommenskultur ins Gegenteil verwandelt

Wassilis Aswestopoulos

In Griechenland werden Flüchtlinge und Immigranten immer noch dem gleichen Procedere unterzogen. Gemäß dem Flüchtlingsdeal der EU mit der Türkei müssen sämtliche Neuankömmlinge auf den griechischen Inseln bleiben, auf denen sie angekommen sind. Erst nach abgeschlossener Überprüfung des Asylantrags ist eine Weiterreise auf das griechische Festland oder aber, nach Abschluss eines möglichen Widerspruchs gegen eine Ablehnung, eine Ausweisung in die Türkei möglich.

Die gesamte Zeit über müssen die Flüchtlinge und Immigranten in den in vieler Hinsicht unzureichenden Lagern verbleiben. Dies wiederum strapaziert die wirtschaftlichen Interessen der mit dem Tourismus befassten Insulaner, welche ihrerseits in der Furcht über ihre eigene Existenz zu xenophoben Überreaktionen neigen.

Ein Ergebnis dieses explosiven Klimas sind Konflikte auch in den Lagern. Am Dienstagmittag kam es erneut zu einer Eskalation, als im Lager Moria auf Lesbos aus Afrika stammende, beim Asylverfahren eher aussichtlose Immigranten vor den Büros der Asylbehörde protestierten. Die Mitarbeiter fühlten sich bedrängt und zogen es vor, ihre Arbeit zu unterbrechen und sich in Sicherheit zu bringen.

Das wiederum goutierten die Afghanen nicht. Sie fürchteten, dass der Protest der Afrikaner ihnen einen noch längeren Aufenthalt im ungeliebten Lager bescheren würde. Schließlich erhält ihre Volksgruppe im Gegensatz zu den Afrikanern leichter Asyl. Die Afghanen äußerten gegenüber den protestierenden Afrikanern ihren Unmut und letztere reagierten mit einem Amoklauf durchs Lager. Alles, was brennbar erschien, wurde angezündet. Es kam zu umfangreichen Sachbeschädigungen auch gegen die Streifenwagen der eintreffenden Polizei.

Während den offiziellen Berichten gemäß Flüchtlinge bei der Brandbekämpfung halfen, wurden sie und die Feuerwehr dabei von den Afrikanern angegriffen. Darüber hinaus flüchteten Lagerinsassen im Chaos aus dem Lager. Unter den Geflüchteten befinden sich ebenfalls Randalierer. Der Aufruhr dauerte bis zum Nachmittag an. Die Polizei versucht nun, der Randalierer habhaft zu werden.

Dabei kam es, wie Berichte von der Insel bestätigen, zu Steinwürfen von Polizisten auf die randalierenden Immigranten. Von Seiten der Betroffenen und von Hilfsorganisationen gibt es dagegen Berichte über übermäßigen Einsatz polizeilicher Gewalt. So soll eine Schwangere geschlagen worden sein, ein Kind erlitt direkten Beschuss mit Tränengas. Die Afrikaner berufen sich in einem Facebook-Post auf Selbstverteidigung, welche ihrerseits Steinwürfe erforderlich gemacht habe.

Derartige Vorfälle sind es, welche die Fronten auf beiden Seiten verhärten lassen. Die griechische Regierung reagiert auf die Entwicklungen hilflos. Für das Lager Moria gab es bereits im Vorfeld ernste Warnungen von Ärzten. Die Ärzte ohne Grenzen entdeckten im Lager einen Syrer, der bei der Flucht nach Griechenland Verletzungen von Messerstichen erlitt und nach vier Tagen Aufenthalt im Lager noch keinen Arzt zu Gesicht bekommen hatte.

Sie werfen dem Staat vor, zu lange mit der Neuanstellung von Zeitarbeitern für die Betreuung zu warten. Aus Kreisen des Ministeriums wird dagegen darauf verwiesen, dass die auf den griechischen Inseln ankommenden Flüchtlingsboote zu mindestens der Hälfte mit verletzten Flüchtlingen und Immigranten besetzt sind. Es seien Zustände die entweder als „seltsamer Zufall“ oder als „Verschwörung“ zu werten seien, meint das Ministerium.

Kein Willkommensklima mehr

Tatsächlich versucht auch die griechische Regierung, die Inseln als Fluchtort so unattraktiv wie möglich zu gestalten. Die Boote der Hilfsorganisationen, welche die Seegrenze nach Schlauchbooten mit Flüchtlingen absuchen, müssen ihre Fahrten mindestens vierundzwanzig Stunden im Voraus anmelden. Sie dürfen pro Tag nur eine Fahrt unternehmen.

Damit entspricht die griechische Politik dem neuen Konsens der EU, der in den Aktionen der Retter eine indirekte Schleppertätigkeit sieht. Dieser Konsens wird von den italienischen Behörden gestützt. Auch für die Hilfsorganisationen, welche die von Libyen nach Italien Flüchtenden retten möchten, gibt es immer mehr Einschränkungen.

In diesen Zusammenhang passt die Tatsache, dass die Meldung über einen EU-Ministerratsbeschluss, der eine Begrenzung von Exporten für Schlauchboote und Außenbordmotoren nach Libyen vorsieht, von der Syriza gehörenden Webseite left.gr unkommentiert wiedergegeben wurde. Zu Beginn der Flüchtlingskrise, als die Regierung noch auf ihre humanitäre Mission pochte, wurden solche Meldungen mit verachtenden Kommentaren zur EU kommentiert.

Das Willkommensklima hat sich auch in Griechenland abgeschwächt. In der griechischen Medienwelt finden sich nur noch wenige Publikationen, welche Menschenrechtsverletzungen der Behörden gegen Flüchtlinge und Immigranten regelmäßig anprangern. Für die meisten übrigen Medien sind solche Meldungen nur dann interessant, wenn zum Beispiel im Guardian über Verfehlungen der griechischen Regierung berichtet wird.

Push back auch an der Landgrenze

An der Landgrenze Griechenlands zur Türkei am Evros-Fluss ist es bereits mehrfach zur sofortigen Rückabschiebung von türkischen Asylsuchenden gekommen. Die griechische Regierung fürchtet offenbar die Wut des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, wenn sie seinen Regimekritikern Obdach bietet.

Neu ist, dass von den internationalen Recht widersprechenden Abschiebungen auch Syrer betroffen sind. So berichtete ein in Deutschland als Asylant anerkannter Syrer gegenüber der griechischen Zeitung EfSyn über die Abschiebung seiner Familie, welche ihm über den Landweg nachfolgen wollte.

Seine Frau wurde zusammen mit ihren Kindern und weiteren Syrern direkt nach dem Grenzübertritt kurz in einem Lager festgehalten, verpflegt und dann per Bus zurück in die Türkei gebracht. Eine von den Syrern verlangte Möglichkeit zum Stellen eines Asylantrags wurde nicht gegeben.

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