11. Juli 2017 · Kommentare deaktiviert für „Flüchtlinge: Vorwürfe gegen Ex-Premier Renzi wegen EU-Deals“ · Kategorien: Europa, Italien · Tags: ,

der Standard | 11.07.2017

Rettungsschiffe des europäischen Triton-Programms sollen auch nichtitalienische Häfen anlaufen. Doch Rom hat ein Glaubwürdigkeitsproblem

DOMINIK STRAUB

Die erneute Forderung nach einer gerechteren Verteilung der Flüchtlinge und Migranten wird Italien am Dienstag an die Konferenz der EU-Grenzschutzagentur Frontex in Warschau stellen. Frontex ist federführend beim Programm Triton, dessen Schiffe zusammen mit der italienischen Küstenwache und Schiffen von privaten Hilfsorganisationen im Mittelmeer patrouillieren und in Seenot geratene Migranten und Flüchtlinge retten. Die Triton-Schiffe operieren unter der Flagge verschiedener EU-Staaten, darunter auch Deutschland und Frankreich. Bisher brachten sämtliche Triton-Einheiten die Migranten in italienische Häfen.

Rechtlich gesehen ist dies unhaltbar: Nach internationalem Seerecht gelten Schiffe als nationales Territorium desjenigen Staates, unter dessen Flagge sie registriert sind. Migranten, die beispielsweise von einem deutschen Schiff in internationalen Gewässern gerettet werden, betreten deshalb auf diesem Schiff formal gesehen deutschen Boden. Und laut dem europäischen Dublin-Abkommen ist derjenige Staat für die Aufnahme und die Behandlung des Asylgesuchs zuständig, in dem die Migranten und Flüchtlinge ankommen, in diesem Fall also Deutschland.

Italien könnte aussteigen

In Italien sieht deshalb kaum noch jemand ein, warum die Triton-Schiffe mit den Migranten nicht auch einmal Marseille, Barcelona, La Valletta oder Hamburg anlaufen können. „Es ist doch eine Heuchelei sondergleichen, wenn sich die EU auf ein gemeinsames Rettungsprogramm einigt, aber bei der Aufnahme und der Versorgung der Geretteten die gesamte Verantwortung auf ein einziges Land abschiebt“, erklärte Italiens Innenminister Marco Minniti schon vergangene Woche beim Treffen mit seinen EU-Amtskollegen im estnischen Tallinn.

Der Italiener ist, wie man weiß, abgeblitzt: Das Thema wurde am Treffen der EU-Innenminister nicht einmal auf die Tagesordnung gesetzt. Doch Rom will nicht lockerlassen: Sollten die europäischen Partner am Dienstag auch in Warschau jedes Entgegenkommen verweigern, könnte die Regierung von Paolo Gentiloni in einem einseitigen Akt aus der Operation Triton aussteigen, berichteten italienische Medien in den vergangenen Tagen.

Ausnahmeregel zugestimmt

Doch Italien hat ein Glaubwürdigkeitsproblem: Das Land mag zwar das See- und EU-Recht an seiner Seite wissen. Doch als im Jahr 2014 die rein italienische Seerettungsaktion Mare Nostrum durch die europäische Triton-Mission abgelöst wurde, hatte die damalige Regierung von Matteo Renzi der Ausnahmeregelung zugestimmt. Diese besagt, dass alle Rettungsschiffe italienische Häfen anlaufen müssen. Enthüllt wurde das unlängst von der früheren Außenministerin Emma Bonino. Sie habe sich zunächst „selber darüber gewundert“, warum die Regierung das zugelassen habe, sagte Bonino im italienischen Fernsehen.

Aber dann habe sie erfahren, dass die EU im Gegenzug versprochen habe, Italien bezüglich seines chronisch defizitären Haushalts etwas mehr Flexibilität zugestehen. Renzi bestreitet einen solchen Deal, aber der Expremier ist aufgrund der Aussagen der früheren Außenministerin und EU-Kommissarin stark unter Druck geraten. Von der Opposition wird ihm vorgeworfen, die Interessen seines Landes verraten zu haben: „Renzi hat Italien an die EU verkauft, um sich dank der größeren Flexibilität mit Steuergeschenken politischen Konsens zu erkaufen“, kritisierte der Fraktionschef von Silvio Berlusconis Forza Italia, Renato Brunetta.

Wahlwerbung für Opposition

Die Regierung von Paolo Gentiloni macht sich deshalb wenig Illusionen, wenn es um die Bereitschaft der EU-Partner am Dienstag in Warschau in Bezug auf neue Triton-Einsatzregeln geht. Es ist außerdem gut möglich, dass es bezüglich des Ausstiegs aus Triton bei einer Drohung bleiben wird – genauso wie es bei der angedrohten Schließung der italienischen Häfen für NGO-Schiffe geschehen ist.

Italien bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise weiterhin alleinzulassen, kann mittelfristig trotzdem keine erfolgsversprechende Strategie sein: Die Haltung der EU-Partner bringt weite Teile der italienischen Bevölkerung gegen die EU auf und ist allerbeste Wahlwerbung für die fremdenfeindliche Lega Nord und die populistische Protestbewegung von Beppe Grillo. Diese werden, wenn Europa so weitermacht, bei den Parlamentswahlen im kommenden Frühling einen Erdrutschsieg davontragen.

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