03. Juli 2017 · Kommentare deaktiviert für „Kommentar Flüchtlingsgipfel in Paris: Leere Versprechen“ · Kategorien: Europa, Italien

taz .| 03.07.2017

Trotz der Beschlüsse der EU-Innenminister bleibt Italien weiterhin mit den Flüchtlingen alleine. Die Maßnahmen klingen nach viel, ändern aber wenig.

Michael Braun

Darf man der italienischen Regierung und den italienischen Medien glauben, dann war der italienisch-französisch-deutsche Flüchtlingsgipfel in Paris ein voller Erfolg. Die Innenminister, so heißt es, hätten in gleich drei Punkten die italienischen Wünsche zur gemeinsamen Marschroute gemacht.

In Zukunft soll es bindende Vorschriften für die vor Libyens Küste mit ihren Rettungsschiffen aktiven NGOs geben, die vor allem ihre Bilanzen transparent gestalten sollen. Außerdem soll die Umverteilung der Flüchtlinge von Italien in andere EU-Länder endlich in Gang kommen. Und schließlich soll es mehr Geld für Libyen geben, für seine Küstenwache ebenso wie für engmaschige Kon­trollen an der Südgrenze.

Das klingt nach viel – ist aber ziemlich wenig. Schon jetzt haben die meisten NGOs ihre Bilanzen offengelegt, schon jetzt operieren sie koordiniert von Italiens Küstenwache. Kaum etwas wird sich auch bei der Umverteilung der Flüchtlinge ändern. 40.000 von ihnen sollten von Italien in andere EU-Länder gehen, bisher waren es nur gut 7.000, auch weil der Umverteilungsplan nur für Syrer, Iraker, Somalier und Eritreer gilt.

Und schließlich die Aufrüstung Libyens: Da soll ein Staat fit gemacht werden, der gar keiner ist, in dem weiterhin Warlords und Milizen im Schlepperbusiness eine wichtige Rolle spielen.

Bliebe noch Italiens Drohung, bei einem Misserfolg der Beschlüsse vom Sonntag seine Häfen für die NGO-Schiffe dicht zu machen. Doch auch diese Drohung lässt sich kaum durchhalten. Was, wenn ein Schiff mit Hunderten Flüchtlingen abgewiesen, was, wenn es zur Odyssee durchs Mittelmeer gezwungen würde? Sofort stünde Italien am Pranger. So darf sich die Regierung in Rom nur über eines freuen: Wieder einmal, wie schon so oft in den letzten Jahren, erhielt sie schöne Solidaritätsbekundungen, wieder einmal auch wird sie faktisch alleingelassen.

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Telepolis | 03.07.2017

Migranten aus Libyen: „Verhaltenskodex“ für NGO-Schiffe gefordert

Vorschläge der EU-Innenminister zur Entlastung Italiens: Die Öffnung der Häfen bleibt ein Streitpunkt

Thomas Pany

Nein, es werden keine anderen europäischen Häfen für das Anlanden von Schiffen mit Migranten aus dem Mittelmeer geöffnet, um Italien zu entlasten, das sei „kontraproduktiv“, denn das wäre nur ein weiterer Pull-Faktor, erfuhr der Sender Europe 1 gestern aus dem Kreis um den französischen Innenminister Gérard Collomb.

Für die italienische Nachrichtenagentur Ansa scheint das Thema hingegen noch nicht abgeschlossen. Beim Treffen der EU-Innenminister in Tallinn am kommenden Donnerstag gehöre die Frage, ob Schiffe mit einer ausländischen Flagge in anderen europäischen Ländern (außer Italien) anlegen dürfen, zu den umstrittenen Themen, berichtet Ansa heute.

In der offiziellen Mitteilung des französischen Innenministeriums taucht diese Option erst gar nicht auf. Dort werden sechs Punkte aufgelistet, die aus Beratungen in Paris gestern Abend resultierten. Dort hatten sich der deutsche Innenminister de Maizière, sein italienischer Kollege Minniti und EU-Flüchtlingskommissar Avramopoulous beim Gastgeber Collomb getroffen.

Anlass war der Notruf, den Italien vergangene Woche abgesandt hatte. Das Land sei am Limit wegen der Migranten aus Libyen, lautete der Alarm, der Solidarität von anderen EU-Staaten einforderte und mit einem strikteren Vorgehen gegen NGO-Schiffe drohte (vgl. Migration aus Libyen: Italien erwägt Hafenverbot für NGO-Schiffe.

Gleich der erste Punkt geht auf die hitzigen Debatten um die Rolle der NGOs ein. Italien soll demnach einen „Verhaltenskodex“ für die Nichtregierungsorganisationen ausarbeiten, um die Zusammenarbeit mit den NGOs zu verbessern, die bei der Seenotrettung im Mittelmeer eine bedeutende Rolle spielen.

Einzelheiten dazu, wie der Verhaltenskodex aussehen soll, gibt es noch nicht. Die NGOs waren zuletzt vor allem in Italien einer Kritik ausgesetzt, die ihnen Zusammenarbeit in unterschiedlichsten Formen mit den Schleusern untertstellt. Die NGOs reagierten darauf mit großer Empörung, schließlich bestehe ihre Arbeit darin, Menschenleben zu retten.

Die anderen fünf Punkte des Plans sind Bekräftigungen bereits bekannter Vorschläge:

  1. Verstärkte Unterstützung der libyschen Küstenwache, intensivierte Ausbildung, mehr Geld, striktere Überwachung
  2. Mehr Geld für die Internationale Organisation für Migration (IOM) und das UNHCR, damit die „Infrastruktur“ in Libyen auf internationale, den Menschenrechten entsprechende Standards gehoben wird. Gemeint sind damit vor allem die Zentren zur Aufnahme von Migranten, die im Grunde Haftanstalten sind.
  3. Die Prüfung von konkreten Optionen, um die Kontrollen an der libyschen Südgrenze zu verbessern. Eine verbesserte Zusammenarbeit mit den Nachbarländern
  4. Die Verbesserung der Strategien zur Rückführung von Migranten sowie die Neubewertung der Visa-Politik mit Drittländern, um die Zahl der Rückführungen zu erhöhen
  5. Die Beschleunigung der Umverteilung der Flüchtlinge in der EU

Die ersten kritischen Reaktionen betreffen die beiden ersten Punkte, den Verhaltenskodex für die NGOs und die erneuten Geldströme in die Kassen der Küstenwache. Sehr deutlich fällt die Kritik bei der Linken-Abgeordneten Ulla Jelpke aus. Die Bundestagsabgeordnete bezeichnet die Vorschläge als eine „Ansammlung flüchtlingsfeindlicher Maßnahmen“.

Dass die Innenminister den zivilen Flüchtlingsrettern einen „Verhaltenskodex“ vorschreiben wollen, sei eine Unverschämtheit. Einen solchen Verhaltenskodex hätten vor allem die EU-Innenminister nötig, damit sie menschenrechtsgerecht und völkerrechtskonform mit Flüchtlingen umgehen.

Geradezu kriminell ist die Vereinbarung, die Kooperation mit der ‚libysche Küstenwache‘ auszubauen. Denn bei dieser Truppe handelt es sich in Wahrheit um eine in Menschenhandel verwickelte Bürgerkriegsmiliz. Auch der Vorschlag von EU-Auffanglagern für Flüchtlinge in Libyen ist unverantwortlich und zynisch. Schließlich hatten selbst deutsche Botschaftsvertreter die bestehenden Lager in dem Bürgerkriegsland Libyen als von Erschießungen, Folter und Vergewaltigungen geprägt beschrieben.

Ulla Jelpke

Die Kritik ist zugespitzt, aber sie entspricht Realitäten in Libyen. Die Küstenwache ist in den lukrativen Handel mit Migranten verstrickt. Nach Aussage eines britischen Boulevardmediums auch in den Sklavenhandel. Die Zeitung Express beruft sich dabei auf Augenzeugen. Überprüft ist das nicht. Im Gesamtzusammenhang erscheinen solche Einzelfälle im gescheiterten Staat aber plausibel.

Brutale Bedingungen im gescheiterten Staat

Reportagen von anderen Medien, wie aktuell von der Washington Post über Zustände in sogenannten „Detentions-Camps“ in Libyen, wo irreguläre Grenzübergänger eingesperrt werden, zum Beispiel in der Küstenstadt az-Zawiya, verdeutlichen die brutalen Umstände, denen die Migranten ausgesetzt sind. Dazu gehören Zwangsarbeiten, Folter, Vergewaltigung, erzwungene Prostitution und weitere Qualen, die bereits von mehreren Berichten angeprangert worden sind.

Das Infame ist, dass Verbesserungen oft nur scheinbare Verbesserungen sind. So wurde, wie die Reportage der US-Zeitung berichtet, zwar die Miliz, die für die Aufsicht eines Lagers zuständig war, offiziell abgelöst, aber deren Mitglieder sind weiter im Lager tätig. Sie haben ihr Geschäft nicht verloren. Ähnliches dürfte wohl auch für die Küstenwache gelten, deren Verstrickung in den Schleuserhandel auch der EU bekannt ist.

Die Frage wird sein, ob es gelingt in Libyen einen Neustart für die Bildung eines Staates zu schaffen, der eine verlässliche Ordnung herstellen kann. Aktuelle Ereignisse bestätigen, dass auch Minister der Regierung weiterhin nicht vor den Milizen sicher sind.

Eine gewisse Hoffnung wird auf den Strongman General Haftar gesetzt, der die Unterstützung Frankreichs und damit wohl auch großer Teile der EU hat. Auch Russland hat enge Kontakte zu Haftar. Wie es derzeit laut Beobachtern aussieht, drängt Haftar noch mehr als zuvor auf eine militärische Lösung, um in Libyen wieder eine Ordnung herzustellen.

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Statewatch | 03.07.2017

Migration: Joint declaration by Commissioner Avramopoulos and the Ministers of Interior of France, Germany and Italy

The Ministers of Interior of France, Germany and Italy and the European Commissioner for Migration and Home Affairs met in Paris on 2 July 2017 to discuss the challenges posed by the increasing migratory flow on the Central Mediterranean route.

They expressed strong solidarity with Italy, which faces rising numbers of arrivals.

In order to provide increased support to Italy and contribute to stem the migratory flow, they agreed on the following measures:

  • Work on a code of conduct for NGO’s, to be drafted and presented by Italy, in order to improve coordination with NGO’s operating in the Mediterranean Sea.
  • Enhance support to the Libyan coast-guard by increasing training activities and providing additional financial support, while ensuring close monitoring of activities.
  • Provide additional support to the International Organisation for Migration (IOM) and United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) to allow facilities in Libya to reach international standards in terms of living conditions and human rights.
  • Encourage the examination of possible concrete options to reinforce border controls at the Southern border of Libya in order to stem irregular migratory flows, in close coordination with Libya’s neighbouring countries.
  • Reinforce the EU strategy on returns, making full use of capacities provided by the European Border and Coast Guard Agency (Frontex) as well as of the agreed coordinated reassessing of visa policy toward third countries in order to enhance readmission rates where needed.
  • Make full use and accelerate the agreed EU relocation scheme in order to strengthen relocation of persons in need of protection. France and Germany have expressed their commitment to increase their relocation efforts.

In order to allow swift progress in support of Italy, the Ministers of Interior of France, Germany and Italy and the European Commissioner for Migration and Home Affairs call on all EU partners to consider these action points at the next EU informal Council meeting in Tallinn on 6 July.

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