16. Juni 2017 · Kommentare deaktiviert für „Warum sich die Mittelmeer-Route kaum schliessen lässt“ · Kategorien: Europa, Libyen · Tags: , ,

Welt | 16.06.2017

Die EU versucht seit zwei Jahren, die Zahl der Migranten aus Nordafrika drastisch zu reduzieren. Doch „es ist wie Don Quichottes Kampf gegen Windmühlen“. Wie wirksam sind die einzelnen Pläne? Wo liegen die Probleme?

Die Lage auf dem Mittelmeer spitzt sich zu: Rund 60.000 Flüchtlinge sind seit Anfang dieses Jahres von Nordafrika nach Europa geflohen – ein Anstieg von 35 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Im vergangenen Jahr kamen allein 170.100 Personen über Libyen, in diesem Jahr werden es laut Schätzungen in Brüssel weit mehr als 200.000 sein.

Die EU-Regierungen sind alarmiert. Österreichs Außenminister Sebastian Kurz forderte jetzt zum wiederholten Male die komplette Schließung der Mittelmeerroute. Es müsse sichergestellt werden, sagte Kurz, „dass jemand, der sich illegal auf den Weg macht, nicht in Mitteleuropa ankommt“. Doch das ist leichter gesagt als getan.

Eigentlich kennt Kurz sich aus. Er hatte im Herbst 2015 als Erster die Schließung der Balkanroute gefordert. Es hagelte Kritik aus Brüssel und Berlin. Aber am Ende setzte sich Österreichs neuer Politstar durch. Die Situation auf dem Mittelmeer ist aber mit jener in Südosteuropa kaum zu vergleichen. Die Westbalkanstaaten sind politisch stabil, Polizei und Militär funktionieren. Mit Ländern wie Mazedonien kann die EU Deals machen.

Libyen: Chaos und Gewalt

Ebenso mit der Türkei, die – trotz massiver Rechtsstaatsverstöße – in der Flüchtlingspolitik ein verlässlicher Partner ist. Ankara hat die Grenze zu Syrien im Griff und hat sie weitgehend geschlossen – das ist einer der wichtigsten Gründe, warum kaum noch Flüchtlinge über die Türkei in die EU gelangen.

Und wer es dennoch schafft, muss das griechische Festland erreichen, zahlreiche Zäune überwinden und scharfe Grenzkontrollen passieren – ein brutaler Hürdenlauf, um in Österreich oder Deutschland zu landen.

Bei der Schließung der Mittelmeerroute sind andere Spieler auf dem Feld: Libyen, neben dem Niger das wichtigste Transitland in der Region, spielt die entscheidende Rolle. Anders als auf dem Westbalkan und in der Türkei herrschen in Libyen Chaos und Gewalt. Das Land mit sechs Millionen Einwohnern ist ein Flickenteppich: Zwei Regierungen und zahlreiche Milizen konkurrieren um die Macht. Faktisch wird Libyen von Hunderten marodierenden Kampfgruppen regiert.

Brüssels Zehn-Punkte-Plan für Libyen

Die EU tut einiges, um Ordnung in das Land zu bringen. Die Europäer haben zuletzt aus ihrem „Treuhandfonds“ 100 Millionen Euro zusätzlich nach Libyen gepumpt. Anfang März verabschiedeten die Staats- und Regierungschefs einen Zehn-Punkte-Plan für den Wüstenstaat. „Es ist noch sehr, sehr viel Arbeit zu leisten“, sagte Kanzlerin Angela Merkel damals.

Wie ein Klempner versucht die EU seit zwei Jahren, die undichten Stellen für Migranten in Libyen zu schließen. Überall wird geschraubt. Bisher ohne großen Erfolg. Und die Aussichten sind düster. „Es ist wie Don Quichottes Kampf gegen Windmühlen“, sagt ein erfahrener EU-Diplomat.

Und in einem internen Lagebild deutscher Sicherheitskreise heißt es: „Der Migrationsdruck über die zentralmediterrane Route ist anhaltend hoch.“ Wie wirksam sind die einzelnen Pläne? Wo liegen die Probleme? Die WELT stellt die wichtigsten Maßnahmen vor:

EU-Soldaten im Mittelmeer:

Die EU-Marinemission „Sophia“ kreuzt zusammen mit Nato-Schiffen in internationalen Gewässern vor Libyen. Sie soll Schleuser festsetzen und ihre Boote zerstören. Der Erfolg ist bisher eher bescheiden. „Aber nennen Sie mir eine Alternative“, sagt ein britischer Militär verzweifelt. Seit Sommer 2015 wurden lediglich 109 Schleuser verhaftet und nur 445 Boote zerstört. Grund: EU und Nato dürfen sich nur außerhalb der Zwölf-Meilen-Zone bewegen.

Bis dahin haben die Schleuser die Boote längst verlassen. Die Menschenschmuggler setzen auf europäische Rettungsschiffe, deren Position von sogenannten Schiffstrackern vor der Abfahrt in Libyen geortet wird. Seit einem Jahr bilden die Europäer auch libysche Küstenschutzkräfte aus. Sie sollen die Migranten möglichst schon an Land von einer Flucht abhalten. Bisher wurden rund 100 Beamte ausgebildet.

Viel zu wenig, um einen Küstenstreifen von 1770 Kilometern professionell zu sichern. Schon jetzt gibt es Nachwuchssorgen, es fehlen geeignete Bewerber, und es gibt Probleme bei der Bezahlung. Hinzu kommt: Niemand weiß, ob die neuen Küstenschützer wirklich im Sinne der EU arbeiten oder nicht doch mit Schleusern und Milizen paktieren. Interne Analysen der EU betonen zudem, dass es völlig unklar ist, ob die Einsatzkräfte an einem der Hauptausgangspunkte für Migranten, der westlibyschen Hafenstadt Sabrata, tätig werden können – dort regieren weitgehend Milizen. Fazit: gute Idee, aber wenig Durchschlagskraft.

Asylzentren in Nordafrika:

Diese Idee wurde bis vor zwei Monaten von Rom und Berlin vertreten. Der Plan: Migranten, die auf dem Mittelmeer gerettet werden, sollen künftig nicht mehr nach Italien, sondern in Asylzentren in Nordafrika gebracht werden, wo eine erste grobe Asylprüfung vorgenommen wird. Tunesien und Ägypten winkten trotz millionenschwerer Finanzspritzen aus Europa dankend ab. Man fürchtet, dass die Lager zum Tummelplatz für islamistische Terroristen werden könnten. In Libyen wiederum fehlt eine Regierung, die die Pläne verlässlich umsetzen könnte.

Außerdem gibt es rechtliche Hürden: Wer aus Seenot gerettet wird, darf nur in sichere Häfen gebracht werden. Keines der nordafrikanischen Länder kann aber als sicheres Drittland gelten. Schon gar nicht Libyen. Dort herrschen in den Lagern „KZ-ähnliche Verhältnisse“, wie das Auswärtige Amt in einem vertraulichen Drahtbericht feststellte.

Es gibt Sklavenmärkte für Migranten. Anfang März erschossen Schmuggler an der libyschen Küste 22 Menschen aus der Subsahara, weil sie sich weigerten, bei starkem Regen in ein Boot zu steigen. Eine Ordnungsmacht gibt es in Libyen nicht, das Land ist instabil und kaum berechenbar. Das wird sich auch in den kommenden Jahren nicht ändern. Fazit: Asylzentren sind ein Rohrkrepierer.

Migrationspartnerschaften:

Sieben Länder in Afrika, darunter Mali, Nigeria und der Niger, sollen besonders gefördert werden. Wer Reformen durchführt, Ausbildungsplätze schafft, Schleuser erfolgreich bekämpft und Migranten zurücknimmt, erhält weitere Millionenzahlungen. Seitdem ist die Migration vom Niger nach Libyen deutlich zurückgegangen. Fazit: Richtiger Ansatz, aber zähe Umsetzung. Viele afrikanische Regierungen sind korrupt und kaum verlässlich. Echte Entwicklungserfolge dauern meistens Jahre.

Kontrolle der Südgrenze Libyens:

Die 1800 Kilometer lange Südgrenze Libyens wird von örtlichen Milizen, Stämmen und Schleusern dominiert. Für sie ist der Menschenhandel teilweise ein überlebensnotwendiges Geschäft. Vielerorts herrscht Anarchie. Italien wollte die Stämme versöhnen, den Milizen Geld für Grenzkontrollen geben. Resultate blieben bisher aus. Mitte Mai forderten Innenminister Thomas de Maizière und sein italienischer Kollege Marco Minniti eine EU-Mission an der Grenze zwischen dem Niger und Libyen.

Intern kritisierte das Auswärtige Amt de Maizière deswegen scharf. Ein geheimer EU-Bericht erklärt nun, die Zeit für eine solche Mission sei noch nicht reif. Auch die zuständigen EU-Botschafter sind dagegen. „Eine EU-Mission an der Südgrenze Libyens ist aus unserer Sicht ein Sicherheitsrisiko. Außerdem ist nicht zu erwarten, dass die Mitgliedstaaten die notwendige Zahl an Beamten und Polizisten zur Verfügung stellen werden“, sagt ein EU-Spitzendiplomat. Fazit: Libyens Südgrenze wird auch künftig löchrig sein wie ein Schweizer Käse.

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