27. Januar 2017 · Kommentare deaktiviert für „Die Festung Europa nimmt Konturen an“ · Kategorien: Deutschland, Europa, Frankreich, Österreich · Tags: ,

Quelle: Welt | 27.01.2017

Bundesinnenminister Thomas de Maizière will keine irregulären Migranten mehr nach Europa lassen, die EU-Kommission das Asyl-Chaos beenden. Und Österreich macht sich für eine Obergrenze stark.

Langsam, aber sicher werden die Pläne zum Schutz der europäischen Außengrenzen konkret. Schon in der kommenden Woche könnten die EU-Regierungschefs auf dem Sondertreffen in Maltas Hauptstadt Valletta das Ende der aktuellen Hauptflüchtlingsroute Libyen–Italien einläuten.

Mit mehr als 100 Millionen Euro sollen die Südgrenzen des Bürgerkriegsstaates Richtung Zentralafrika abgeriegelt werden, die Vereinten Nationen sollen die Versorgung für Migranten innerhalb Libyens aufstocken. Am Donnerstag berieten sich schon einmal die EU-Innenminister in Malta zur künftigen Asylpolitik, was der deutsche Vertreter nutzte, um erneut für Aufnahmelager in Afrika zu werben.

In der europäischen Asylreform seien „zusätzliche Regeln“ nötig, sagte Thomas de Maizière (CDU), „wenn die Zahlen so groß werden, dass man von einem Massenzustrom sprechen kann“. Ziel müsse es dann sein, „dass Flüchtlinge gar nicht erst nach Europa gebracht werden, sondern zurückgebracht werden in sichere Orte“. Von diesen sicheren Lagern außerhalb der EU könnten dann „die Schutzbedürftigen – und nur die Schutzbedürftigen – nach Europa“, geholt werden, sagte er. Bisher werden die Zuwanderer von staatlichen und privaten Schiffen vor der nordafrikanischen Küste aus ihren Booten geholt und nach Italien gefahren.

Mehrfach hatte sich de Maizière bereits für eine Abkehr von der Aufnahme irregulär eingereister Flüchtlinge ausgesprochen – er präferiert die Vorgehensweise der klassischen Einwanderungsländer USA und Kanada, die Schutzsuchende fast ausschließlich über Kontingente aufnehmen. Deutschland engagiert sich hier nur in verschwindend geringem Umfang.

Der Bundesinnenminister unterstrich am Donnerstag seinen Kurs: „Wenn Schlepper entscheiden, wer nach Europa kommt, ist das die inhumanste Form der Auswahl.“ Menschen, die sich auf Schlepper eingelassen hätten, müssten an einen sicheren Ort gebracht werden. Nur die Schutzbedürftigen sollten von sicheren Orten außerhalb Europas ein Einreisevisum erhalten.

Auch in anderen EU-Staaten scheint sich dieser Paradigmenwechsel der europäischen Asylpolitik – weg von der illegalen Zuwanderung, hin zu legaler Flüchtlingsaufnahme – durchzusetzen. In Österreich fordern nicht nur ÖVP und FPÖ, sondern auch Sozialdemokraten dieses Umdenken. So will Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) durchsetzen, dass Asylanträge nicht in Österreich, sondern in Asyl- und Migrationszentren im Niger, in Usbekistan oder Jordanien gestellt werden. Außerdem möchte er eine EU-weite Obergrenze zur Aufnahme dieser Flüchtlinge festlegen.

Bewachte Außengrenzen, kontrollierte Innengrenzen

In Frankreich kündigte der Favorit für die Präsidentenwahl, François Fillon, vor einer Woche an, sollte er die Wahlen gewinnen, werde er jedes Jahr vom Parlament Einwanderungsquoten nach Herkunftsland abstimmen lassen. Der konservative Kandidat fordert bewachte Außengrenzen, aber auch kontrollierte Innengrenzen in Europa, was das Schengen-Abkommen langfristig infrage stellt. Auch die Dublin-Vereinbarung, wonach Migranten dort Asyl beantragen müssen, wo sie nach Europa einreisen, will Fillon kippen.

Damit weiß er sich einig mit den Südeuropäern, die fast alle Flüchtlinge Europas aufnehmen müssten, wenn Dublin eingehalten würde. Weil dies allerdings nie der Fall war und viele Migranten einfach weiterzogen, wehren sich Staaten gegen eine zusätzliche Flüchtlingsumverteilung aus Südeuropa nach Norden und Osten. Diese Differenzen konnten die EU-Innenminister auch am Donnerstag nicht beseitigen, obwohl dies einmal als Hauptziel des Treffens genannt wurde.

Die Zeit drängt allerdings, denn mit über 180.000 kamen im vergangene Jahr mehr irreguläre Zuwanderer über das Mittelmeer nach Italien denn je. Anders als in früheren Jahren bleiben aber inzwischen viele von ihnen dort, weswegen das Land 2016 nach Deutschland die meisten Asylanträge und -entscheidungen verzeichnete. Allerdings gelingt es jeden Monat immer noch Tausenden, nach Deutschland zu reisen. Die EU arbeitet derzeit allerdings an Plänen, das Asylhopping zu beenden, indem sie die nationalen Standards und Systeme angleicht. Derzeit weichen Anerkennungsquoten, Chancen auf Einbürgerung und Sozialleistungen stark voneinander ab.

Von der rechtlichen Möglichkeit, über sichere Drittstaaten – Deutschland ist ausschließlich von solchen umgeben – einreisende Ausländer an der Grenze abzuweisen, macht die Bundesrepublik nur ausnahmsweise Gebrauch.

Eigentlich sollte es im Schengenraum gar keine Grenzkontrollen geben. Doch wie Österreich und die Skandinavier hat sie auch Deutschland in der Flüchtlingskrise wieder eingeführt. Die EU-Staaten können sie jeweils um drei Monate auf Vorschlag der EU-Kommission verlängern. Am Mittwoch empfahl sie eine erneute Verlängerung bis Mitte Mai und gab den Hinweis, wenn Deutschland seine Kontrollen wie auch Frankreich mit Terrorgefahr begründe, seien erneute Verlängerungen unkomplizierter.

De Maizière vernahm das Signal und folgte ihm. Er sagte in Valetta, künftig werde Deutschland die Grenzkontrollen mit der Terrorgefahr und nicht mit der Flüchtlingskrise begründen.

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siehe auch: Zeit Online | 27.01.2017

Der Lehrmeister dankt ab

Kommende Woche reisen die Staats- und Regierungschefs nach Malta, das derzeit den EU-Ratssitz innehat. Das wird kein Routinegipfel werden, sondern einer, in dem die Europäische Union sich verabschieden wird von einem Selbstbild an dem sie hartnäckig festhält. Die Union will zwar „Weltmacht“ sein, aber dennoch anders bleiben als die anderen Mächte. Nicht so rücksichtslos wie die USA, nicht so kriegerisch wie Putins Russland, nicht so autoritär wie China. Die EU hatte immer etwas Lehrmeisterliches an sich. Sie wollte weicher, besser und dadurch erfolgreicher sein als die anderen.

Wie schwierig das ist, entdeckte die Union spätestens seit der großen Wanderung des Jahres 2015. Völlig überwältigt, zerrissen, ja geradezu verwirrt taumelte die EU durch dieses Jahr. Die Europäer entdeckten damals, dass es in der Welt, wie sie ist, sehr schwierig ist, besser zu sein als die anderen.

Ein Wall in Libyen?

In Malta, nur 350 Kilometer von der libyschen Küste entfernt, werden die 27 Staats- und Regierungschefs weitere Beschlüsse fassen, um die Festung Europa auszubauen. Denn auch wenn es so nicht gesagt wird, die Abschottung Europas ist beschlossene Sache. Es geht jetzt nicht mehr um das Ob, sondern um das Wie.

Dabei konzentriert sich die EU auf Libyen. Über diesen zerfallenen Staat kamen allein im letzten Jahr rund 180.000 Migranten nach Europa. Die EU scheint fest entschlossen, die libysche Route für Migranten zu schließen. Inzwischen ist in Brüssel schon von einem Wall die Rede, den man in Libyen errichten müsse. Wie der aussehen solle, ob er funktionieren kann, das ist noch völlig unklar.

Die Union versucht auch auf anderen Ebenen, die Migration in geordnetere Bahnen zu leiten. Sie bemüht sich um ein einheitliches europäisches Asylsystem, sie will in den Herkunftsländern der Migranten investieren, um dort Perspektiven zu schaffen.

Die EU hat es eilig

Alle Beteiligten wissen aber, dass diese Maßnahmen – wenn überhaupt – nicht schnell wirken werden. Der Faktor Zeit aber ist für die Union von existenzieller Bedeutung.

Wenn sie nämlich den Migrationsdruck nicht schnell verringern kann, wenn sie die Grenzen nicht kontrollieren kann, dann wird ihre innere Legitimität weiter leiden. Dann wird das europäische Superwahljahr 2017 vielleicht wirklich zum Jahr der Populisten. Der Niederländer Geert Wilders spricht jetzt schon vom „patriotischen Frühling“ Europas. Die Französin Marine Le Pen sieht den Einsturz des „Völkergefängnisses EU“ schon kommen.

Die Europäische Union schottet sich aus existenzieller Not ab. Wenn sie es nicht tut, bricht sie in ihrem Inneren zusammen. Sie errichtet Wälle und Zäune, um Zeit zu gewinnen. Zeit, um zu beweisen, dass sie Migration beherrschen kann.

Das ist der durch die Realität erzwungene Abschied der EU von ihrer moralischen Überlegenheit. Das ist das Ende des Lehrmeisters.

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