24. Januar 2017 · Kommentare deaktiviert für Kenia schließt Flüchtlingslager: „Wir wollen nicht nach Europa“ · Kategorien: Afrika · Tags: ,

Quelle: n-tv | 23.01.2017

von Simone Schlindwein, Dadaab

Das weltweit größte Flüchtlingslager wird geschlossen. Hundertausende Somali sollen von Kenia in ihre Heimat gebracht werden. Die meisten weigern sich, suchen nach Auswegen. Europa ist für sie aber keine Option.

Jafar Aleh blättert in seinem Physikbuch. Es ist stickig in der Wellblechhütte, ihm läuft der Schweiß über die Stirn. Der 26-jährige Flüchtling aus Somalia büffelt für seinen Schulabschluss. Sein großer Traum: zur Universität zu gehen.

Die Wellblechhütte, in welcher Jafar mit seinen vier Geschwistern und der gebrechlichen Mutter haust, steht inmitten des bislang größten Flüchtlingslagers der Welt. Es liegt nicht etwa in Syrien oder der Türkei, sondern in Afrika: Dadaab – so der Name der gigantischen Stadt aus weißen Plastikzelten inmitten der kenianischen Peripherie. Fast eine halbe Million Menschen beherbergte das Lager zu Hochzeiten. Mit den Fotos von sterbenden Kindern im Wüstensand erlangte Dadaab, das auf keiner Karte verzeichnet ist, traurige Berühmtheit. Jetzt soll es dem Erdboden gleichgemacht werden.

„Es muss ein Ende haben, Flüchtlinge zu beherbergen“, hatte Kenias Regierung im vergangenen Jahr verkündet und die Schließung zuerst auf Ende November festgesetzt. Auf Druck der internationalen Gemeinschaft wurde die Frist auf Mai 2017 verschoben. Die Europäer fürchteten, die Flüchtlinge würden sich auf den Weg in Richtung Mittelmeer machen.

Doch auch diese Zeit reicht für Jafar nicht aus: „Wenn sie das Lager schließen, bevor ich mein Examen abgelegt habe, dann war alles umsonst“, sagt er. Seine Befürchtungen: In sein nach 20 Jahren Krieg zerstörtes Heimatland Somalia abgeschoben zu werden, wo es keine Schulen gibt, geschweige eine funktionierende Universität. Wo er Gefahr läuft, von Milizen zwangsrekrutiert oder arbeitslos zugrunde zu gehen. Viel lieber würde er in Dadaab bleiben: „Die Schulen hier sind umsonst und auf Englisch, damit kann ich weltweit auf Jobsuche gehen“, lächelt er stolz.

Rückkehrer bekommen 150 Dollar

Aufgewachsen im Lager inmitten der kargen Wüste hat er von der Welt noch nicht viel gesehen, gibt er zu. Selbst die rund tausend Kilometer entfernte kenianische Hauptstadt Nairobi kennt er nur aus dem Fernsehen. Träumt er von einer Reise nach Europa? Vom Studium in Berlin, London oder Amsterdam? Jafar runzelt die Stirn: „Nein“, sagt er, ohne Zögern. „Ich würde gerne in Kenia eine gute Ausbildung machen, um dann in Somalia mein Land aufzubauen.“

Auf dem Rollfeld hinter den abertausenden weißen UN-Zelten röhren die Turbinen eines weißen UN-Flugzeugs. Die Luft flimmert in der Mittagshitze. Unter einer Zeltplane müssen Flüchtlingsfamilien, die nach Somalia zurückkehren, ihre Fingerabdrücke auf einem Formular des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR hinterlassen.

Mehrfach täglich fliegt die Maschine zwischen Dadaab und Somalia hin und her. Seit dem Beschluss, das Lager dicht zu machen, haben rund 17.000 somalische Flüchtlingsfamilien ihre Habseligkeiten gepackt. In Somalia wurden vier Zonen definiert, die für die Rückkehrer als sicher gelten, darunter die Hauptstadt Mogadishu. 150 Dollar und Lebensmittelrationen für sechs Monate bekommen Rückkehrwillige pro Person von UNHCR.

„Die Welt hat uns vergessen“

Die Schließung Dadaabs ist umstritten. Kenias Regierung nennt als Gründe die Terrorbedrohung sowie die fehlenden Mittel und beruft sich auf das trilaterale Abkommen zwischen Kenia, Somalia und UNHCR von 2013, in welchem die freiwillige Rückführung der somalischen Flüchtlinge bis Ende November 2016 vereinbart worden war. Auch Somalias Präsident Hassan Sheikh Mohammud unterstützte den Plan. Er besuchte Dadaab und versprach seinen Landsleuten Unterkünfte, Bildung und Gesundheitsversorgung, wenn sie nach Hause kommen. Wer dafür bezahlen soll, darüber schwieg er sich aus. Internationale Hilfsorganisationen bauen erst langsam ihr Engagement in Somalia aus.

Die Rückkehr ist auch für die Europäische Union relevant. 2015 stellten 20.000 Somali in den EU-Mitgliedstaaten Asylanträge, den meisten wurde stattgegeben, denn Somalia gilt noch als Kriegsgebiet. Doch wenn jetzt massenweise Flüchtlinge aus Kenia zurückkehren, lässt sich das Land vielleicht bald als sicher einstufen – dann kann auch abgeschoben werden. 50 Millionen Euro investiert die EU in Hilfsprogramme für Rückkehrer. In Brüssel, Paris und Berlin wird befürchtet, die Somali würden die beschwerliche Reise nach Europa antreten, wenn Dadaab geschlossen wird. Sie hat ein geheimes Strategiepapierpapier entworfen, wie bald mehr Somali in ihre Heimat abgeschoben werden können. (Hervorhebung ffm)

„Man will uns loswerden, die Welt hat uns vergessen“, folgert daraus Abdullahi Ali Aden, Flüchtlingsvorsitzender in Dadaab. Er warnt die NGOs: „Wenn jetzt alle jungen Männer zurück geschickt werden und es in Somalia keine Schulen gibt, werden sie rekrutiert.“ 90 Prozent der verbliebenen Flüchtlinge wollen in ein anderes Land oder Lager gebracht werden, erklärt er. Viele diskutieren, woanders hin zu fliehen, nach Uganda beispielsweise. Auch nach Europa? Aden lacht: „Wie soll man denn da hinkommen?“ Aus der Wüste um Dadaab führt eine einzige Straße hinaus gen Süden. Die ist abgeriegelt von Kenias Soldaten. Flüchtlinge dürfen sich laut Gesetz nur in Lagern aufhalten, sonst werden sie verhaftet. „Der einzige Weg hinaus für uns führt nach Somalia, doch dort ist es nicht sicher.“

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