31. Juli 2016 · Kommentare deaktiviert für „Private Seenotretter im Mittelmeer: Bitte nennt uns nicht Gutmenschen“ · Kategorien: Alarm Phone, Mittelmeer · Tags:

Quelle: Spiegel Online

Das Mittelmeer ist zum Krisengebiet geworden. Täglich brechen Verzweifelte von Libyen per Schlauchboot nach Europa auf. Nadia Kailouli war drei Wochen mit einem privaten Rettungsschiff unterwegs.

Das Mittelmeer ist zum Krisengebiet geworden. Täglich brechen Verzweifelte von Libyen per Schlauchboot nach Europa auf. Nadia Kailouli war drei Wochen mit einem privaten Rettungsschiff unterwegs.

https://youtu.be/_KBtV-LpQHY

„Nadia, you come with me.“ Dem ersten Offizier an Bord widerspricht man nicht, also nehme ich meinen Rucksack und folge ihm ins Schiff. Schmale Gänge, steile Treppen. Oben rechts Kabine Nr. 2. Für die nächsten drei Wochen ist sie mein Rückzugsort für schlaflose Nächte.

Ich begleite das Team der nicht-staatlichen Organisation SOS Mediterranee, um in Seenot geratene Menschen vor der libyschen Küste zu retten. Von Sizilien aus beginnt unsere Reise. An Bord: Mehr als 1000 Decken, Proviant für drei Wochen und 27 Gutmenschen, die so nicht genannt werden wollen. Seemänner, Ärzte, Krankenschwestern, ein Fotograf, ein Übersetzer, ein Projekt- und eine Kommunikationsmanagerin – Menschen, die mit ihren Fähigkeiten mehr erreichen wollen als nur Geld zu verdienen. Die meisten haben sich Urlaub genommen, um hier dabei zu sein.

Rettungsleiter Mathias Menge ist schon seit März im Einsatz, als festes Crewmitglied bekommt er dafür eine Aufwandsentschädigung, finanziert aus Spenden. Zusammen mit seinem Team hat er Hunderte Menschen aus dem Meer gerettet. „Helden sind wir nicht“, sagt er.

Zwei Tage brauchen wir, um die libyschen Hoheitsgewässer zu erreichen. Um 4.40 Uhr werde ich von einem lauten Klopfen geweckt. „We will have a rescue in one hour“, schallt es durch die Gänge. Eine Stunde bis zum ersten Rettungseinsatz.

Die Küchencrew hat schon Kaffee aufgesetzt, der Kapitän leuchtet mit Scheinwerfern aufs Meer. Dann ist es in der Ferne zu sehen: Ein weißes Plastikboot schaukelt auf und ab. Die Wellen lassen es keine Sekunde stillstehen. Bis an den Rand kauern Menschen, die sich in der Nacht von Tripolis aus auf das offene Meer gewagt haben. Das Team macht sich für den Einsatz bereit, Rettungswesten werden in zwei Motorboote gepackt.

Frauen und Kinder werden zuerst an Bord genommen. Viele brechen zusammen, können sich kaum auf den Beinen halten. Farvilla und Stephanie sind die Ärzte an Bord, mit schnellen Blicken suchen sie die Notfälle heraus. Zusammen mit zwei Krankenschwestern versorgen sie 116 Menschen und ein Baby, wir anderen helfen, wo wir können. Verteilen Decken, Wasser, Essen.

Die meisten Flüchtlinge sind völlig durchnässt, eine Mischung aus Salzwasser und Benzin hat sich in ihre Haut geätzt. Die Schlepper haben ihnen Kanister zum Nachtanken mitgegeben, bei jeder Welle ist Benzin herausgeschwappt. Stundenlang haben die Menschen in dieser Giftmischung gesessen. Manche haben auch Schusswunden.

„Als Schwarzer bist du nichts wert in Libyen. Sie sperren dich ein, auch wenn du nichts getan hast, und raus kommst du nur, wenn du ihnen Geld gibst“, sagt ein Mann. Er spricht Englisch, wie viele der Flüchtlinge, die wir an Bord genommen haben. Sie kommen aus allen Ländern Afrikas: Eritrea, Mali, Somalia, Nigeria, Gambia, Sudan oder der Elfenbeinküste. Manche hatten gar nicht vor, nach Europa zu reisen. Sie wollten in Libyen arbeiten – und landeten dort im Gefängnis.

Jeder, mit dem ich rede, erzählt mir von der Brutalität in Libyen, von Vergewaltigungen, Schlägen, Sklaverei. Wie Menschen als Arbeiter verkauft oder festgenommen werden, um Lösegeld von den Angehörigen zu erpressen. Rettungsleiter Mathias kennt die Geschichten schon: „Diese Menschen haben so viel Schlimmes erlebt, lieber sterben sie im Meer als noch einen Tag länger in Libyen zu bleiben.“

Der nächste Notruf kommt am späten Nachmittag. Die MS Aqaurius ist wieder einsatzbereit, die italienische Marine hat die Geretteten abgeholt, um sie aufs italienische Festland zu bringen. Wieder brauchen wir eine Stunde, um das Boot zu erreichen. Es hat schon viel Luft verloren, steht voller Wasser. Als die Menschen die Aqaurius sehen, springen die ersten ins Wasser.

Mathias und seine Helfer versuchen, sie zu beruhigen, doch die Lage verschärft sich, der Wind wird von Minute zu Minute stärker, die Wellen höher. Jeder zieht so viele Menschen aus dem Wasser, wie er kann. Panisch, zitternd und teilweise komplett unbekleidet kommen die Flüchtlinge an Bord.

Wir verteilen heißen Tee, ein Junge fragt nach seiner Schwester. Erst später wird ihm einer der Ärzte sagen, dass sie unter den Toten ist. Sechs Leichen wurden an Bord gefunden, zwei Menschen sind während der Rettungsaktion ertrunken.

Übersetzer Zen spricht fünf Sprachen, darunter Arabisch und Tigriny, eine Sprache aus Eritrea. Er übersetzt für mich ein Gespräch mit einem jungen Mann aus dem Sudan. „Uns wurde gesagt, dass sie uns auf ein richtiges Schiff bringen, und dann standen wir vor diesem Plastikboot und waren viel zu viele Menschen“, sagt er. „Aber wenn du nicht in dieses Boot steigst, erschießen sie dich, die Geschäftsmänner stehen mit Waffen und Schlagstöcken am Strand. Du hast keine andere Wahl. Sie lassen es nicht zu, dass du zurückgehst, weil du dann das Geschäft kaputt machen würdest.“

Wir steuern die italienische Insel Lampedusa an. An der Reling steht ein junger Mann mit einer Wunde an der Schläfe und weint. „Sie haben uns in dieses Boot geschlagen“, sagt er. „Wir wollten doch nicht auf dieses Boot, und jetzt ist meine Frau tot.“

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